Deutscher Gewerkschaftsbund

03.09.2007

Rentenreform 2004: Die Erfindung des Nachhaltigkeitsfaktors

Schon die Riester-Rentenreform (2001)  hat Rentnerinnen und Rentner stark belastet. Durch den erneuten Eingriff in die Rentenanpassung im RV-Nachhaltigkeitsgesetz (2004), aber auch durch andere Verschlechterungen (höhere Zuzahlungen und Einführung von Praxisgebühren, voller Krankenversicherungsbeitrag auf Betriebsrenten, voller Pflegebeitrag auf Renten, keine Anrechnung mehr von Schul- und Hochschulzeiten, Einschränkung des Vorruhestandes, Einführung des Nachhaltigkeitsfaktor) wurden die Leistungsempfängerinnen und -empfänger erneut zur Kasse gebeten.

Die damals amtierende rot-grüne Bundesregierung hat im Rahmen des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes zwar auf Druck des DGB eine Niveausicherungsklausel verabschiedet. Diese Schutzklausel reicht aber bei weitem nicht aus, denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen in Zukunft circa 30 Jahre mit durchschnittlichem Verdienst arbeiten, um eine Rente auf dem heutigen Grundsicherungsniveau zu erhalten. Wer über längere Phasen weniger als der Durchschnitt verdient oder arbeitslos ist, wird in Zukunft auf ergänzende Grundsicherung angewiesen sein.

Belastungen Schlag auf Schlag

Seit dem 1. Januar 2004 zahlen Rentnerinnen und Rentner den vollen Krankenversicherungsbeitrag auf ihre Betriebsrenten - statt wie bislang der Hälfte des Beitrags. Bei einer durchschnittlichen Betriebsrente von 330 Euro und einem durchschnittlichen Krankenversicherungsbeitrag von 14 Prozent entspricht das einer Mehrbelastung von etwa 23 Euro im Monat. Hinzu kommen höhere Zuzahlungen und die Praxisgebühren, die die Gesundheitsreform 2003 den Versicherten bescherte. Seit April 2004 ist zudem der volle Pflegebeitrag auf die Renten fällig. Das entspricht einer Rentenkürzung von 0,85 Prozent.

Nachhaltigkeitsfaktor drückt Rentenniveau

Seit 2005 kommt der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor zur Anwendung. Er bedeutet nichts anderes als eine weitere Kürzung des Rentenniveaus - zusätzlich zur Riester-Formel. Das Zusammenwirken von Nachhaltigkeitsfaktor und Riester-Reform mindert bis 2011 die Rentenanpassung in erheblichen Umfang.
Ab 2012, wenn die Rentenminderung in Folge der Einführung der Riester-Rente vollständig umgesetzt ist, wirkt der Nachhaltigkeitsfaktor immer noch. Und zwar grundsätzlich zeitlich unbegrenzt. Es sei denn, die Politik schreibt doch noch ein verbindliches und akzeptables Mindestniveau der Rente vor, wie es der DGB fordert.

Arbeitslosigkeit kommt teuer zu stehen

Für Rentnerinnen und Rentner, die länger arbeitslos waren, hat sich mit der Einführung des Arbeitslosengeld II (im Jahr 2005) die Absicherung für die Rente erheblich verschlechtert. Ursprünglich wurden Alg II-Empfangende so gestellt, als hätten sie in 4.800 Euro im Jahr verdient. Arbeitslosenhilfe-Empfänger hatten für die Dauer der Arbeitslosigkeit noch Rentenansprüche erzielt, die einem Jahresgehalt von 9.800 Euro entsprochen haben. Mittlerweile hat sich die Absicherung noch einmal verschlechtert. Die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden für Alg II-Empfangende von 78 Euro auf 40 Euro nahezu halbiert.

Vorruhestand wird eingeschränkt

Eine weitere Verschlechterung für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für Arbeitslose besteht darin, dass die Altersgrenze für den Vorruhestand (nach Altersteilzeit oder wegen Arbeitslosigkeit) ab 2006 auf 63 Jahre angehoben wurde. Bis dahin galt: Wer über 55 Jahre alt ist und vor dem 1. Januar 2004 arbeitslos wurde, kann ab 60 in Rente gehen. Ab dem Jahr 2012 soll nun das gesetzliche Rentenalter generell auf 67 Jahre ansteigen - wie im RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz (2007) beschlossen.

Hochschulausbildung bleibt  unberücksichtigt

Nachteile entstehen auch dadurch, dass ab 2008 die Hochschulausbildung bei der Rentenberechnung nicht mehr berücksichtigt wird. Der Renten-Verlust beträgt fast 60 Euro pro Monat (im Westen; im Osten: 52 Euro). Das trifft die mäßig verdienende Sozialarbeiterin wesentlich härter als den wohlhabenden Unternehmensberater.

Kürzungen erhöhen das Armutsrisiko

Die Kürzungen bei der Rente treffen die sozial Schwächeren besonders hart. Das Nettorentenniveau (es gibt das Verhältnis von durchschnittlichen Netto-Arbeitseinkommen und durchschnittlichen Nettorenten wieder) sinkt nach Berechnungen der Rentenversicherung bis 2040 von 69 Prozent auf 52 Prozent. Berücksichtigt man die Belastung der abhängig Beschäftigten und der Rentnerinnen und Rentner mit Sozialversicherungsbeiträgen, sieht es so aus: Das sogenannte steuerbereinigte Nettorentenniveau fällt von heute 53 Prozent auf 43 Prozent (2030). Das Absicherungsniveau - verglichen mit den Arbeitseinkommen - sinkt also um ca. ein Fünftel. Mit tief greifenden Folgen: Wer nicht zusätzlich vorsorgt oder vorsorgen kann, wird den Lebensstandard im Alter in aller Regel nicht sichern können. Die Altersarmut wird deshalb in den kommenden Jahren massiv zunehmen.

Die Rentenreform 2004 im Detail

Die Rentenreform 2004 besteht aus zwei Bestandteilen: zum einem aus dem Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz, das die Rentenleistungen kürzt, zum anderen aus dem Alterseinkünftegesetz, das die künftige Besteuerung der Renten regelt.

Das RV-Nachhaltigkeitsgesetz soll die Finanzierungsfähigkeit der Rentenversicherung langfristig sichern. Deshalb enthält das Gesetz - anders als die Rentenreform 2001 - ausschließlich Leistungsverschlechterungen. Die Details im Überblick:

Der Nachhaltigkeitsfaktor

Die Rentenformel zur Berechnung der Rentenhöhe wurde um einen sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor ergänzt. Zwar orientiert sich die Rentenanpassung auch in Zukunft weiter an der Entwicklung der Bruttolöhne - allerdings wird seine Höhe mit Hilfe von zwei Faktoren korrigiert: Zum einen durch die Einbeziehung der Entwicklung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie zur kapitalgedeckten Altersvorsorge in die Rentenformel.

So werden die Rentenanpassungen von 2003 bis 2011 wegen des Anstiegs der steuerlichen Förderung der Riester-Rente (von anfangs ein Prozent auf später vier Prozent des Bruttoeinkommens) gemindert. Und zum anderen mit Hilfe des sogenannten Nachhaltigkeitsfaktors. Er berücksichtigt die Entwicklung des zahlenmäßigen Verhältnisses von Rentnern zu Beitragszahlern: Steigt die Zahl der Rentnerinnen und Rentner pro Beitragszahler, wird die Rentenanpassung gemindert; sinkt die Zahl der Rentner im Verhältnis zu den Beitragszahlern, werden die Renten stärker erhöht, als dies sonst auf Grund der allgemeinen Lohnentwicklung der Fall gewesen wäre.

Das Rentenniveau

Das Rentenniveau sinkt durch den Nachhaltigkeitsfaktor schneller und stärker als in der Rentenreform 2001 noch vorgesehen. Es wird von heute 53 Prozent auf 46 Prozent im Jahr 2020 und auf 43 Prozent im Jahr 2030 sinken - also um ca. ein Fünftel. Allerdings legt das RV-Nachhaltigkeitsgesetz auch fest, dass die Bundesregierung dem Bundestag regelmäßig berichten muss, welche Maßnahmen möglich sind, um ein Absinken des Rentenniveaus unter 46 Prozent zu verhindern.

Berechnung des Rentenniveaus

Bislang wurde das Rentenniveau als Nettoniveau errechnet. Dabei wurde -vereinfacht gesagt - die Netto-Standardrente mit dem durchschnittlichen Nettoeinkommen aller Erwerbstätigen verglichen. Künftig wird das Rentenniveau als Rentenniveau vor Steuern berechnet, bei dem sowohl bei den Einkünften der Rentnerinnen und Rentner als auch bei dem der Berufstätigen die Steuerbelastung außer Acht gelassen werden. Die Belastung mit Sozialabgaben wird jedoch berücksichtigt. Das heißt: Die Brutto-Standardrente wird um die Sozialabgaben der Rentnerinnen und Rentner vermindert und anschließend ins Verhältnis mit dem Brutto-Durchschnittsentgelt der Berufstätigen gesetzt, das ebenfalls um die Sozialabgaben vermindert wird.

Anrechnungszeiten und Höherbewertung

Durch die Rentenreform 2004 wird die Berücksichtigung von schulischen Zeiten erheblich eingeschränkt. Der Schulbesuch oder das Studium, für die es bislang noch drei Jahre rentenerhöhende Anrechnungszeit gab, werden ab 2009 nicht mehr als rentenerhöhend bewertet. Bis dahin wird die Bewertung schrittweise verringert. Der Verlust von drei Jahren Anrechnungszeit bedeutet eine Verringerung der Rente um ca. 59 Euro (Ostdeutschland: 52 Euro). Lediglich berufsbildende Fachschulzeiten werden noch berücksichtigt.

Außerdem wird die Höherbewertung von niedrigen Beiträgen in den ersten 36 Kalendermonaten eingeschränkt. Unterdurchschnittliche Einkommen zu Beginn des Erwerbslebens wurden bislang auf 75 Prozent der durchschnittlichen Arbeitseinkommen aufgewertet. Künftig soll diese Höherwertung nur noch erfolgen, wenn die Versicherten in einer Berufsausbildung standen. Andere Zeiten, wie zum Beispiel Aushilfstätigkeiten, werden nicht mehr höher bewertet.

Anhebung des Rentenalters bei Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit

Das RV-Nachhaltigkeitsgesetz sieht vor, dass für Versicherte, die ab dem 1. Januar 1946 bis zum 30. November 1948 geboren sind, das Alter für die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit in Monatsschritten von 60 bis auf 63 erhöht wird. Für Versicherte, die ab dem 1. Dezember 1948 geboren sind und die die Vertrauensschutzregelungen nicht nutzen konnten, ist eine Inanspruchnahme nur noch ab dem 63. Lebensjahr möglich. Die Abschläge berechnen sich während und nach der Übergangszeit jeweils auf das gesetzliche Rentenalter von derzeit 65 Jahre.

Vertrauensschutz hatten lediglich alle Personen, die bis zum 31. Dezember 1951 geboren sind (für Jüngere gibt es die Rente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit ohnehin nicht mehr) und

  • am 1. Januar 2004 arbeitslos waren, 
  • oder deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 1. Januar 2004 erfolgt ist, nach dem 31. Dezember 2003 beendet worden ist, 
  • oder vor dem 1. Januar 2004 Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes vereinbart haben, 
  • oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben.

Nur für den so beschriebenen, engen Personenkreis gilt, dass sie weiterhin ab 60 die Rente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit in Anspruch nehmen können.

Nachhaltigkeitsrücklage

Die Nachhaltigkeitsreserve hieß bislang Schwankungsreserve und soll die Liquidität der Rentenversicherung gewährleisten und kurzfristige konjunkturelle Schwankungen ausgleichen helfen. Die Reserve soll zwischen 0,2 und 1,5 Monatsausgaben liegen. Wird der untere Wert in der jährlichen Vorausschau unterschritten, ist eine Beitragserhöhung notwendig; wird der obere Wert in der Prognose überschritten, werden die Beiträge gesenkt. Durch die Schaffung eines oberen Zielwerts für die Schwankungsreserve bzw. Nachhaltigkeitsrücklage von 1,5 Monatsausgaben wird es der Rentenversicherung ermöglicht, in Aufschwungphasen größere Finanzreserven aufzubauen - nach dem Prinzip: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Die vorgeschlagene Regelung wird dazu führen, dass sich die Beitragssatzentwicklung stabilisiert und nicht auf jede kurzfristige Erholung mit einer Beitragssenkung reagiert wird.

DGB fordert Umsteuern

Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich langfristig auf ein verlässliches und ihrer Lebensleistung angemessenes Einkommen im Alter verlassen können. Es untergräbt die Akzeptanz der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn die gesetzliche Rente für die meisten Menschen nicht nennenswert über der Sozialhilfe liegt. Zurzeit erhält der sogenannte Eckrentner (45 Jahre mit durchschnittlichem Entgelt) 1182 Euro monatlich (seit dem 1. Juli 2007). Die durchschnittlich gezahlte Rente lag sogar deutlich darunter.

35 Jahre arbeiten für Sozialhilfesatz

Noch dramatischer wird die Situation für diejenigen, die unter 45 Arbeitsjahren bleiben. Die heutigen jungen Menschen müssen ca. 30 Jahre lang mit einem durchschnittlichen Einkommen arbeiten, um mit ihrer gesetzlichen Rente nicht in die Grundsicherung zu rutschen. Dadurch stellt sich für viele Beitragszahlerinnen und -zahler die Frage nach dem Sinn der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Absichtserklärung der Bundesregierung zur Sicherung des Rentenniveaus von 46 Prozent reicht deshalb nicht aus. Vielmehr ist eine verbindliche gesetzliche Garantie erforderlich.

An die Wurzel des Problems gehen

Davon abgesehen muss die Bundesregierung das eigentliche Problem an der Wurzel packen: die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Die weiterhin hohe Arbeitslosigkeit, der hohe Umfang der geringfügigen Beschäftigung und die steigende Zahl der "Eine-Person-Unternehmen" entziehen der Sozialversicherung Einnahmen.

Ältere Menschen fördern

Der DGB fordert daher, die Fortbildung von Älteren stärker zu finanzieren, die Möglichkeit der Teilzeitarbeit auszuweiten und die gesundheitliche Prävention in Betrieben und Verwaltungen auszubauen. Auch die Förderung von Frauen, am Erwerbsleben in regulären Beschäftigungsverhältnissen teilnehmen zu können, muss vorangetrieben werden.

Solidarversicherung

Außerdem schlägt der DGB vor, die Rentenversicherung zu einer allgemeinen Solidarversicherung (der sogenannten Erwerbstätigenversicherung) auszubauen, die auch Selbstständige, Beamte, Politiker sowie geringfügig Beschäftigte einschließt. Dadurch könnten die Einnahmen der Rentenkasse erheblich erhöht und vor allem stabilisiert werden werden. 


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