Die deutsche Umweltpolitik hat anderen Industrieländern viel voraus – trotzdem kein Grund, sich auf dem Erreichten auszuruhen, meinten die Teilnehmer einer Diskussion zum Thema „Natur- und Umweltschutz: Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung“. Die Veranstaltung am 7. Februar war Teil der Ringvorlesung „Wohlstand ohne Wachstum?“ von DGB und TU Berlin. Beispielsweise sei die Energiewende bisher nur eine "Stromwende" - folgen müsste ein Umstieg im Wärme- und im Verkehrssektor.
Natur- und Umweltschutz sind eine Grundlage für die nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft - für Prof. Dr. Hubert Weiger ist das klar. Doch der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warnte davor, sich trotz der Erfolge in der Umweltpolitik auf dem Erreichten auszuruhen.
Julia Puder/BUND
„Die so genannte Energiewende ist bisher nur eine Stromwende“, sagte Weiger mit Blick auf den Atomausstieg und den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Deutschland habe aber bisher weder eine Wende bei der Wärme noch eine Verkehrswende erreicht. Bei der energetischen Gebäudesanierung habe die Politik angesichts der Blockade im vergangenen Jahr keinen ausreichenden Kompromiss gefunden. „Und im Verkehrsbereich haben wir sogar das Gegenteil einer Wende“, so Weiger. Deutschland baue konventionelle Verkehrsformen massiv aus.
„Wir müssen als Gesellschaft festlegen, was wachsen und was schrumpfen soll. Wir müssen definieren, wie wir leben wollen“, sagte der BUND-Vorsitzende mit Blick auf den Titel der Ringvorlesung „Wohlstand ohne Wachstum?“. Dafür brauche es ökologische und soziale gesetzliche Rahmenbedingungen für das Wirtschaften von Unternehmen: Die Folgekosten eines nicht-nachhaltigen Wirtschaftens müssten nach dem Verursacherprinzip verteilt werden, statt sie wie heute der Allgemeinheit aufzubürden. So würden viele „alternative“ Energie-, Anbau- und Produktionsformen letztendlich auch wesentlich günstiger werden als die nicht-nachhaltigen konventionellen Methoden.
Weiger forderte außerdem eine Demokratisierung der Gesellschaft mit „mehr direkter Volksdemokratie“. In Bayern sei beispielsweise eine Privatisierung der kommunalen Trinkwassergewinnungsanlagen bislang durch kommunale Bürgerentscheide verhindert worden. Deutschland brauche aber auch eine nachhaltigere Wissenschaftspolitik mit kritischer, eigenständiger Hochschulforschung. „Wir müssen weg von der Drittmittelabhängigkeit vieler Fakultäten“, so der BUND-Vorsitzende Weiger. Es sei kein Wunder, dass oft die einzig kritischen Forschungsergebnisse zu Themen wie der grünen Gentechnik aus dem Ausland kämen.
Die deutsche Umweltforschung und vor allem auch die deutsche Umweltpolitik seien durchaus stark wirtschaftsorientiert, bestätigte Prof. Dr. Martin Jänicke vom Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität (FU) Berlin. Umweltpolitik werde hierzulande immer auch dazu genutzt, deutsche Umweltforschung sowie die Umwelttechnik der deutschen Industrie national wie international zu vermarkten. Diesen Ansatz hätten China und die USA unter Präsident Barack Obama sich bereits zu eigen gemacht. Diese Länder strebten ebenfalls nach der Technologieführerschaft bei Umwelttechniken.
Jänicke, der auch Mitglied der Bundestags-Enquetekommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ ist, sieht im deutschen Ansatz klare Vorteile. Dieser fördere in breiten Teilen der Bevölkerung und der Wirtschaft das Verständnis dafür, dass nachhaltiges Wirtschaften ein Motor für Entwicklungen sein könne. Andererseits, so Jänicke, könne der der wirtschaftsnahe und techniklastige Ansatz auch davon ablenken, was in der Umweltpolitik tatsächlich wichtig sei. Außerdem sei gerade der Fokus auf technische Entwicklungen eine Schwachstelle des deutschen Umweltpolitik-Modells: Überall dort, wo technische Lösungen nicht helfen können, habe der deutsche „Erfolgspfad der ökologischen Modernisierung Grenzen“.
Die Wachstumsfrage beantwortete Jänicke eindeutig positiv: „Moderates Wachstum und radikale Innovationen sind vereinbar.“ Das Wirtschaftswachstum betrage in Deutschland durchschnittlich noch rund ein Prozent pro Jahr. Seit dem Jahr 2000 sei mit diesem vergleichsweise moderaten Wachstum im Umweltbereich vieles erreicht worden: ein massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien, ein deutlicher Rückgang des Treibhausgasausstoßes und ein deutlich reduzierter Ressourcenverbrauch.
Die Vorlesungsreihe von DGB und TU Berlin endet am 14. Februar mit einer Vorlesung von Michael Sommer, DGB-Vorsitzender, und Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschland. Thema der Abschlussveranstaltung: "Wohlstand ohne Wachstum - eine realistische Utopie?