Deutscher Gewerkschaftsbund

11.08.2014
Interview

Hoffmann: "Wir brauchen eine Stärkung der Binnennachfrage"

"Deutliche Lohnerhöhungen sind bei der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage angemessen und dringend notwendig. Wir brauchen eine Stärkung der Binnennachfrage", sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann im Interview mit der Passauer Neuen Presse. Er sprach sich außerdem für flexiblere Übergänge in den Ruhestand aus. Hier seien die Tarifpartner, aber auch der Gesetzgeber gefragt.

Reiner Hoffmann, DGB-Vorsitzender

DGB/Simone M. Neumann

Passauer Neue Presse: Die Gewerkschaften erhalten bei der Forderung nach Lohnsteigerungen Unterstützung von der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank. Sind Sie glücklich über diese Rückendeckung der Spitzenbanker?

Reiner Hoffmann: Die Bundesbank hat das vor dem Hintergrund der drohenden Deflation gesagt. Wir teilen diese Sorge auch, aber das wird uns wenig beeindrucken. Es bleibt dabei, Tarifpolitik ist Sache der Gewerkschaften. Da brauchen wir keine Empfehlungen.

Ist es Zeit für einen Schluck aus der Pulle mit Lohnforderungen zwischen vier und fünf Prozent?

Ein Reallohnplus muss sein. Deutliche Lohnerhöhungen sind bei der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage angemessen und dringend notwendig. Wir brauchen eine Stärkung der Binnennachfrage.

 

Reiner Hoffmann: Es ist die gleiche ewige Klage der Arbeitgeber vor jeder Tarifrunde. Das sehe ich ganz gelassen.

 

Überfordern Sie nicht die Unternehmen? Die Wirtschaft beginnt sich schon deutlich abzukühlen. Topmanager sehen wenig Spielraum für höhere Löhne.

Es ist die gleiche ewige Klage der Arbeitgeber vor jeder Tarifrunde. Das sehe ich ganz gelassen. Die Gewerkschaften werden damit verantwortungsvoll umgehen.

Es geht ja nicht nur um mehr brutto, sondern auch darum, dass am Ende mehr netto in den Portemonnees bleibt. Was erwarten Sie hier von der Großen Koalition?

Wir brauchen mehr Steuergerechtigkeit. Und wir brauchen eine nachhaltige Finanzierung der öffentliche Daseinsvorsorge. Es ist nicht einsehbar, dass Arbeitnehmer bis zu 42 Prozent Steuern zahlen, während Kapitalerträge gerade mal mit 25 Prozent Steuern davon kommen. Deshalb muss die Kapitalertragssteuer wieder in den Einkommenssteuertarif zurückgeführt werden. Und ein Großteil der Lohnerhöhungen fließt über die kalte Progression ans Finanzamt. Hier brauchen wir eine Korrektur, ebenso wie bei der Erbschaftssteuer, ohne dass wir die Unternehmenssubstanz angreifen. Das muss auch Finanzminister Wolfgang Schäuble zur Kenntnis nehmen.

Der DGB hat für seinen Vorschlag einer Teilrente ab 60 Jahren viel Prügel eingesteckt. Warum halten Sie diese Forderung weiterhin für berechtigt?

Es geht uns ja nicht um eine generelle Reduzierung des Eintrittsalters auf 60. Wir wollen mehr Flexibilität beim Übergang in den Ruhestand. Im Schichtdienst arbeiten, also mit Frühschicht, Spätschicht und Nachtschicht, das kann man nicht bis 65 durchhalten. Da kann eine 30-Stundenwoche viel helfen. Es gibt in einigen Branchen schon Tarifverträge, die mit einem Demografiefonds die Voraussetzungen für einen gleitenden Ausstieg schaffen. Das Instrument der Tarifpolitik ist hier aber allein überfordert. Auch die gesetzliche Rentenversicherung muss Brücken bauen.

Bisher sind solche Modelle daran gescheitert, dass die Beschäftigten zu viele Abschläge in Kauf nehmen mussten. Wie wollen Sie das ausgleichen?

Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, im Alter weniger zu arbeiten, aber dadurch keinen Einkommensverlust zu erleiden. Bisher ist das in einigen Branchen per Tarifvertrag geregelt, das wird aber nicht reichen – es müssen mehr Menschen die Möglichkeit eines gleitenden Ausstiegs bekommen.

 

Reiner Hoffmann: Unsere Vorschläge dienen ja gerade dazu, dass die Menschen länger arbeiten können. Dafür müssen wir aber die Arbeitsbedingungen ändern, auch die Unternehmenskultur muss eine andere werden.

 

Müsste nicht, wie die CDU es fordert, eher die Lebensarbeitszeit verlängert werden?

Unsere Vorschläge dienen ja gerade dazu, dass die Menschen länger arbeiten können. Heute sind die über 60-Jährigen nur noch zu 50 Prozent erwerbstätig. Dafür müssen wir aber die Arbeitsbedingungen ändern, auch die Unternehmenskultur muss eine andere werden. Deswegen ist es überhaupt nicht sinnvoll, über ein späteres Rentenalter zu diskutieren.

Erschienen in: Passauer Neue Presse vom 11.08.2014


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