Leben und Arbeiten unter erschwerten Bedingungen: Fast jeder zehnte Beschäftigte in Deutschland hat nur einen befristeten Vertrag, zwischen 1993 und 2015 hat sich die Zahl verdreifacht. Was das für die Betroffenen bedeutet, welche Probleme es im Berufs- und Privatleben verursacht und welche Lösungen der DGB sieht, fasst nun eine neue Broschüre (Bestellung oder Download weiter unten) zusammen.
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Neben der Broschüre bietet auch die Ausgabe 3/2017 des DGB-Newsletters "arbeitsmarkt aktuell" wichtige Infos zum Thema "Sachgrundlose Befristungen":
arbeitsmarkt aktuell 3/2017
Das ist ein trauriger Rekord: Seit 23 Jahren und damit seit Beginn ihres Berufslebens arbeitet Kerstin Schulz (Name geändert) mit kurzen Unterbrechungen als befristet beschäftigte Medizinisch-Technische Assistentin (MTA) im Klinikum Essen. Sie hatte schon Zwei-Jahres-, aber auch Ein-Jahres-Verträge, insgesamt 13 Stück. Demnächst ist nun endlich Schluss mit dem Befristungsmarathon: Die 43-Jährige wird in den neu geschaffenen MTA-Pool des Klinikums übernommen – unbefristet. Es ist die erste Dauerstelle ihres Lebens. Die Mehrzahl ihrer Kolleginnen wird sich jedoch - genau wie bisher - weiter von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln. Eine extrem belastende Situation, so Kerstin Schulz: "Wie soll ein Mensch denn planen, wenn ständig ungewiss ist, wie es mit der Arbeit weitergeht?"
Befristet beschäftigt sein bedeutet nicht nur, in ständiger Ungewissheit zu leben. Im Berufsleben sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen Beschäftigte zweiter Klasse. Sie haben grundsätzlich keinen Kündigungsschutz am Ende des Arbeitsverhältnisses – doch nur wer keine Angst hat, seine Arbeit zu verlieren, fordert seine Rechte ein. Wenn es zu einem Konflikt mit dem Arbeitgeber kommt, wird die Verlängerung des Arbeitsvertrages oder gar seine Entfristung unwahrscheinlich.
DGB
Weitere Infos, Hintergründe und Fallbeispiele gibt es in einer neuen Broschüre des DGB. Sie kann ab sofort über den Bestellservice bestellt werden und steht außerdem hier zum Download als PDF bereit.
Wer in einem befristeten Anstellungsverhältnis arbeitet, hat es nicht nur im Berufsleben schwerer. Ein Wohnungswechsel etwa wird schwierig bis unmöglich, weil Vermieter Wert auf das dauerhaft verlässliche Einkommen ihres neuen Mieters bzw. ihrer neuen Mieterin legen; auch Immobilienkredite gibt es nicht für Menschen mit ungesichertem Job. Belegt ist auch ein Wechselspiel zwischen Unsicherheit im Job auf der einen und psychischem Wohlbefinden auf der anderen Seite: Befristete Beschäftigung geht mit weniger Zufriedenheit, Motivation und Leistung sowie Beschäftigungsfähigkeit und mit mehr gesundheitlichen Beeinträchtigungen einher.
Auch auf das Einkommen wirken sich Befristungen negativ aus. So sind etwa befristet Beschäftigte unter 35 Jahren im Schnitt doppelt so oft arm oder von Armut bedroht wie ihre gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen mit unbefristeten Verträgen. Einer der Gründe dafür: Die Einkommen zwischen befristet und unbefristet Beschäftigten liegen weit auseinander. Während unter den Befristeten aller Altersgruppen 22,8 Prozent in Vollzeit weniger als 1.100 Euro netto verdienen, sind es bei den Unbefristeten gerade mal 6,8 Prozent.
Kein Wunder also, dass die Unsicherheit im Job die Planung im Privatleben erschwert und befristet Beschäftigte sich seltener für Ehe und Kinder entscheiden. Unter den Beschäftigten bis 34 Jahre sind fast 28 Prozent der unbefristet Beschäftigten verheiratet, bei gleichaltrigen Befristeten nur 17 Prozent. In 100 Haushalten von befristet Beschäftigten aus dieser Altersgruppe leben im Durchschnitt 29 Kinder, in 100 Haushalten ihrer Altersgenossen mit festem Arbeitsvertrag 42 Kinder.
Befristungen sind kein Randphänomen, das nur bestimmte Berufs- oder Altersgruppen betrifft. Nach aktuellen Zahlen waren im Jahr 2015 rund 9,3 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befristet beschäftigt – das sind knapp 3,2 Millionen Menschen bundesweit in allen Altersklassen und Qualifikationen. In beinahe der Hälfte der Fälle gibt es keinen besonderen Anlass für die Befristung des Arbeitsverhältnisses, etwa einen vorübergehenden Vertretungsbedarf oder begrenzte Projektlaufzeit. Alleine aufgrund der Tatsache, dass jedes neue Arbeitsverhältnis zunächst befristet geschlossen werden kann, sind mehr als 1,5 Millionen Menschen (48 Prozent aller Befristungen) sachgrundlos befristet beschäftigt.
Gute Arbeit heißt unbefristete Arbeit. Befristungen ohne Sachgrund, jahrelange Kettenbefristungen oder Befristungen aus vorgeschobenen Gründen führen zur Aushöhlung arbeitsrechtlicher Standards. Sie ersetzen Dauerarbeitsplätze, erschweren die Lebensplanung, gehen oft mit prekären Arbeitsbedingungen einher und wirken sich negativ auf die Lebensqualität und Zufriedenheit der Beschäftigten aus. Der DGB fordert deshalb. die Regelungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz dringend zu korrigieren. So muss unter anderem das Instrument der sachgrundlosen Befristung ersatzlos gestrichen und der Missbrauch von Kettenbefristungen verhindert werden.