Reformen im Bildungsbereich finden bislang isoliert statt, schreibt IG-BCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis in seinem Beitrag zum "Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule“. Dabei brauche es eine engere Abstimmung zwischen Kindergärten, Schulen und Hochschulen. Hans-Böckler-Stiftung, DGB und Gewerkschaften wollen mit dem Leitbild eine Alternative zum vorherrschenden Paradigma der unternehmerischen Hochschule eröffnen.
Von Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
DGB/Simone M. Neumann
Die Hochschulen in Deutschland haben in den letzten zwei Jahrzehnten einen enormen Wandel durchgemacht. Aufgrund der finanziellen Lage der Länder müssen Hochschulen wirtschaftlicher denken und das Studienangebot ist durch die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge vielfältiger geworden. Dadurch ist der Konkurrenzkampf der Hochschulen untereinander größer geworden und die Profilierung steht im Vordergrund. Häufig reagieren die Hochschulen auf die für sie neue Situation mit Konzepten, die in erster Linie auf die Forschung ausgerichtet sind. Auf der Strecke bleibt dabei die Lehre. Schnell gestrickte Studiengänge führen zu überfrachteten Lehrplänen und übermäßigen Prüfungen, die von den Studierenden kaum zu bewältigen sind. Und überfüllte Studiengänge sind nach wie vor die Regel. Dementsprechend haben viele Hochschulen die Herausforderungen, aus unserer Sicht, nicht zufriedenstellend bewältigt. Viele Chancen einer echten Hochschulreform wurden leider verpasst und die Leidtragenden sind die Studierenden.
"Entscheidend ist, dass der Bildungsbereich als Ganzes betrachtet wird - nicht die Kindertagesstätten für sich, die Schulen für sich, die Hochschulen für sich."
Wie aber soll die Hochschule der Zukunft aussehen? Das „Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule“ gibt dazu eine Antwort. Für mich ist dabei entscheidend, dass der Bildungsbereich als Ganzes betrachtet wird. Und nicht die Kindertagesstätten für sich, die Schulen für sich, die Hochschulen für sich.
Bisher finden Reformen für jeden Bereich isoliert statt, ohne sich mit den vorgelagerten oder weiterführenden Instanzen abzustimmen. In Deutschland existiert kein aufeinander abgestimmtes Bildungssystem.
Schaut man sich die Tätigkeitsfelder der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute an, stellt man fest, dass die Ansprüche an die Beschäftigten immer vielschichtiger und verantwortungsvoller geworden sind. Im Vordergrund stehen heute neben den fachlichen Ansprüchen, das Erlernen von Problemlösungsstrategien, Selbstorganisation, Teamfähigkeit sowie Flexibilität.
Die Übergänge von beruflicher Bildung zur Hochschulbildung werden somit auf vielen Berufsfeldern immer fließender. Diese Entwicklung muss in der Berufsbildungspolitik, aber vor allem auch in der Hochschulpolitik nachvollzogen werden.
Nur durch eine engere Verzahnung, sowie erleichterte Zu- und Übergänge zwischen den Bildungswegen, kann der dynamischen Entwicklung der Berufsfelder – wie sie heute vonstatten geht – Rechnung getragen werden.
"Mit unserer Forderung nach mehr Bildungsgerechtigkeit stehen wir nicht alleine da. Allerdings fehlt es an der Umsetzung der verantwortlichen Institutionen."
Darüber hinaus werden Erwerbsbiographien immer bunter. Immer öfter weichen die später ausgeübten Tätigkeiten vom eigentlichen Ausbildungsberuf ab und auch die Arbeitgeber wechseln häufig. Um sich solchen Situationen stellen zu können, müssen die jungen Menschen in der Ausbildung ihre Kompetenzen kennen lernen und entwickeln können.
Dazu gehört auch, dass jede berufliche Qualifikation Möglichkeiten eröffnen muss, sich weiter zu qualifizieren. Allerdings tun sich Hochschulen immer noch sehr schwer damit, Absolventen des Dritten Bildungsweges aufzunehmen.
2008 sind gerade mal 1,1 % aller Studienanfängerinnen und Studienanfänger aus dem sogenannten Dritten Bildungsweg gekommen. Dabei war der Anteil an den Universitäten bei verschwindend geringen 0,6 %, die Fachhochschulen kamen immerhin auf 1,8 %. Wir sind immer noch weit von unseren gesellschaftlichen Zielen „Bildung für alle“ und „sozialem Aufstieg durch Bildung“ entfernt.
Das bringt mich zu dem Schluss, dass Hochschulen sich nach wie vor als isoliertes Segment des Bildungssystems sehen. Sie scheuen sich davor, klassische Bildungswege zu verlassen und eine Reform, die den Namen verdient, durchzuführen. Hochschulen sind ein integrativer Bestandteil des gesamten Bildungssystems und somit ein Teil im und nicht neben dem Puzzle der Bildungslandschaft. Aber damit das Teil auch in das Puzzle hineinpasst, müssen die Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehört, dass einheitliche Zugangsvoraussetzungen, auch für Absolventinnen und Absolventen des dritten Bildungswegs, geschaffen werden. Hochschulen sollen außeruniversitär erworbene Kompetenzen bei der Zulassung und der Anerkennung von Studieninhalten berücksichtigen. Hochschulen haben die Aufgabe, sich verstärkt mit der abgebenden Bildungsinstitution abzustimmen, die potenziellen Studienanfänger/innen besser zu informieren und im Laufe des Studiums zu beraten, zu betreuen und aktiv einzubinden. Hochschulen müssen eine nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit gewährleisten können. Dazu gehören die Vermittlung von beruflichen und sozialen Kompetenzen, Methodensicherheit, prozessgesteuertes aber auch interdisziplinäres und gesellschaftspolitisches Denken und Handeln. Die Unternehmen schauen nicht in erster Linie auf den mitgebrachten Abschluss, sondern auf die Arbeits- und Handlungsfähigkeit sowie das Entwicklungspotenzial der Bewerberinnen und Bewerber.
Bildung als Zusammenwirken von Kenntnissen, Kultur und Kompetenz trägt zur persönlichen Entwicklung bei und befähigt zu selbstbestimmtem Handeln. Bildung zur Stärkung gesellschaftlicher Teilhabe und Demokratie muss im Vordergrund stehen.
Mit unserer Forderung nach mehr Bildungsgerechtigkeit stehen wir nicht alleine da. Allerdings fehlt es an der Umsetzung der verantwortlichen Institutionen, um es Wirklichkeit in der gesellschaftlichen Realität werden zu lassen.
Die Hochschulen müssen sich dieser Themen annehmen und sie auch umsetzen. Nur so sind sie den Herausforderungen der Zukunft gewachsen.