Der Koalitionsvertrag nimmt Themen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in vielen Bereichen auf, vorrangig jedoch in Fragen der „Guten Arbeit“ und „Digitalisierung“. Insgesamt ist dieser Koalitionsvertrag, was Sicherheit, Gesundheit und Ergonomie im weitesten Sinne angeht, nicht annähernd so aussagekräftig, durchdacht und strukturiert, wie es beim Programm der vorrangegangenen Regierung der Fall war. Er enthält gleichwohl wichtige Punkte und ein genaues Hinsehen lohnt in jedem Fall.
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Zu manchen Bereichen und Themen finden sich sehr präzise Aussagen und Ankündigungen, so zum Beispiel zu den Arbeitsbedingungen in der Pflege. Aber gerade da, wo der Koalitionsvertrag vage bleibt, ist noch einiges gestaltbar und der DGB kann mit seinen gewerkschaftlichen Konzepten gute Vorschläge unterbreiten.
Gerade im Bereich der Digitalisierung sind in den letzten Jahren Fragen der Arbeitszeit und Arbeitszeitgestaltung von übergeordnetem Interesse. Leider fehlt im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zu bestehenden Schutzstandards bezüglich Ruhezeit, tägliche Höchstarbeitszeit und wöchentliche Höchstarbeitszeit. Der DGB lehnt die Öffnung des Arbeitszeitgesetzes klar ab. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Tariföffnungsklausel für Experimentierräume ist nicht notwendig. Stattdessen soll insbesondere die wöchentliche Höchstarbeitszeit mittels Betriebsvereinbarungen flexibler geregelt werden. Eine Verlängerung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit – laut Arbeitszeitgesetz derzeit bei 48 Stunden – lehnt der DGB ab. Uns geht es um das Erreichen von mehr Arbeitszeitsouveränität für die Beschäftigten und darum, die Digitalisierung für eine gute Arbeitszeitgestaltung nutzbar zu machen. Hierzu ist die Schaffung eines arbeitsschutzrechtlichen Rahmens im Bereich der mobilen Arbeit zu begrüßen. Aus Sicht des DGB sollten primär die neuen Regelungen in der Arbeitsstättenverordnung durch technische Regeln konkretisiert werden, so dass die Tarifvertragsparteien für die weitere Ausgestaltung darauf aufbauen können. Jedoch nimmt gerade die Reduzierung von psychischen Fehlbelastungen nicht den notwendigen Raum im Koalitionsvertrag ein und bleibt mit der Auswertung von BAuA-Studien zu psychischen Erkrankungen weit hinter getroffenen Vereinbarungen zurück. Es fehlt das klare Bekenntnis einen verbindlichen Rahmen zu schaffen, um die Beschäftigten besser vor Arbeitsdruck, Stress und zunehmender Entgrenzung zu schützen.
Stattdessen soll die Einführung einer neuen Arbeitswelt 4.0 durch die finanzielle Förderung von Assistenzsystemen beschleunigt werden. Eine Einführung dieser Systeme wird dem betrieblichen Arbeitsschutz nur dienlich sein, wenn die betrieblichen InteressensvertreterInnen eingebunden sind und die Anschaffung auf der Basis einer Gefährdungsbeurteilung erfolgt. Ansonsten verpuffen diese Anreize als reine Konjunkturpakete.
Begrüßenswert ist das Bekenntnis zu einer neuen Arbeitsweltberichterstattung mit verstärkter Sozialstaatsforschung. Bei der Förderung und Weiterentwicklung der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) darf diese verbindliche Regelungen nicht ersetzen. Die Bundesregierung hat angekündigt, den Arbeitsschutz mit Blick auf die Digitalisierung prüfen zu wollen. Diese Prüfung kann nur zum Ziel haben die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten in allen Arbeitssituationen mit dem gleichen Schutzstandard zu versehen und für die Einhaltung der bestehenden Regelungen zu sorgen. Die personelle und materielle Ausstattung der Arbeitsschutzbehörden wird hierbei auch eine Rolle spielen müssen.
Beim Thema stoffliche Belastungen ist zu begrüßen, dass die ausländischen Produzenten in das europäische Beschränkungsverfahren einbezogen werden sollen. Dies kann den Arbeitsschutz bezüglich Gefahrstoffe im Europäischen Raum stärken, da die Inverkehrbringer Informationen zur Verfügung stellen und mindestens eine sichere Anwendung beschreiben müssen. Alle anderen Fragestellungen wie gute und sichere Arbeitsbedingungen auf dem Bau, inklusive Verabredung zu einem nationalen Asbestpakt, fehlen gänzlich. Ebenso der Umgang mit Pestiziden, wie Glyphosat, für die betroffenen Beschäftigten. Dabei bedarf es im Zeitalter von Arbeit 4.0 weiterhin eines Arbeitsschutzes 2.0, da zu bestehenden Belastungen die „neuen“ Gefährdungen noch hinzugekommen sind.