Damit der gesetzliche Mindestlohn ein Erfolg wird, ist noch einiges zu tun. Das zeigt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Bei etlichen Punkten müsse noch im Detail geklärt werden, wie das Gesetz praktisch umgesetzt und wirksam kontrolliert wird. Aus Sicht der Forscher wäre außerdem ein Verbandsklagerecht gegen Mindestlohnverstöße sinnvoll, wie es beispielsweise in Frankreich existiert.
DGB/Simone M. Neumann
Ab Januar 2015 wird Deutschland zur großen Mehrheit der EU-Staaten gehören, die einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn haben. Was gilt es bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zu beachten? Das hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) im Auftrag der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung in NRW (GiB) untersucht. Die ForscherInnen haben für ihre Studie die Mindestlohn-Praxis in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden unter die Lupe genommen. Außerdem haben sie untersucht, wie in einzelnen deutschen Branchen bereits Lohnuntergrenzen durchgesetzt wurden. Die Studie zeigt fünf Schwerpunkte auf, die bei der Einführung des Mindestlohns besonders beachtet und gestaltet werden müssen.
Um überprüfen zu können, ob die künftige Lohnuntergrenze eingehalten wird, muss klar sein, wie die tatsächliche Lohnhöhe zu berechnen ist. Die Bundesregierung verweist bei der Frage, welche Einkommensbestandteile in die Berechnung einfließen, auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs, nach der Arbeitgeber nur das berücksichtigen müssen, was sie für die vertraglich vereinbarte Normalleistung zahlen. "Normal" sind demnach auch Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit, Gefahrenzulagen oder Trinkgelder und müssen in die Berechnung einfließen. Wie aber Weihnachts- und Urlaubsgeld oder Verpflegung und Unterkunft mitberechnet werden, ist im Mindestlohngesetz dagegen noch unklar.
Regelungsbedarf besteht aus Sicht der ForscherInnen auch bei der Erfassung der Arbeitszeit. Der Mindestlohn bezieht sich auf die Bezahlung pro Stunde, deshalb sind die Lohnhöhe und die Länge der Arbeitszeit bei der Berechnung maßgeblich. Die unkorrekte Erfassung der Arbeitszeit ist nach der Untersuchung des WSI im europäischen Ausland gängige Praxis bei der Umgehung des Mindestlohns. Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen sich Arbeitgebern vor allem beim Umgang mit Überstunden, Bereitschafts- oder Anfahrtzeiten und Akkordarbeit, die gerade im Niedriglohnbereich weit verbreitet sind.
Effektive Kontrollen könnten Verstößen gegen das Mindestlohngesetz vorbeugen. In Frankreich und den Niederlanden verhindern jeweils umfassende Arbeitsinspektionen Versuche, den Mindestlohn zu umgehen. In Deutschland erschwert eine Verteilung auf viele unterschiedliche Behörden und Einrichtungen die Kontrolle auf Einhaltung des Gesetzes, so die Studie. Am wichtigsten ist hierzulande die beim Zoll angesiedelte Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS). Dazu kommen landeseigene Kontrollstellen, die Rentenversicherung, Gewerbeaufsichtsämter, Arbeitsagenturen und Sozialkassen, die Verstöße aufdecken könnten. Wichtig wäre nach Auffassung der WSI-ForscherInnen eine intensive Zusammenarbeit dieser Institutionen.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen gangbare Verfahren, um ihre Mindestlohnansprüche geltend zu machen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Beschäftigten ihre Rechte kennen. Arbeitgeber sollten deshalb verpflichtet werden, ihre Belegschaften über deren Ansprüche zu informieren, empfehlen die ForscherInnen des WSI. Auch sollten die Gehaltsabrechnungen so gestaltet sein, dass nachvollziehbar ist, ob der Mindestlohn eingehalten wurde.
Das Bürgertelefon des Arbeitsministeriums, die ab 2. Januar 2014 geschaltete Mindestlohn-Hotline des DGB oder die Informationsstelle für den Mindestlohn bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin begrüßen die ForscherInnen des WSI als niedrigschwellige Beratungsangebote für Beschäftigte.
Aus Angst vor Sanktionen oder Jobverlust hätten erfahrungsgemäß viele Beschäftigte Hemmungen, Verstöße vor Gericht zu bringen. Dagegen wäre eine kollektive Klagemöglichkeit, also ein Verbandsklagerecht wie in Frankreich wünschenswert. Dort können Gewerkschaften stellvertretend für ArbeitnehmerInnen klagen, aus Sicht der WissenschaftlerInnen ist das ein guter Ansatz.
Eine zentrale Herausforderung besteht nach Auffassung der ForscherInnen darin, den Mindestlohn zu einer allgemein akzeptierten Institution zu machen. Wenn das gelinge, so die Erfahrung aus den europäischen Nachbarländern, werde sich die Lohnuntergrenze weitgehend von alleine durchsetzen. Zwar befürworte die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung die neue Regelung, große Teile der Wirtschaft seien aber nach wie vor skeptisch. Die AutorInnen empfehlen deshalb eine umfassende Informationskampagne zur Mindestlohneinführung nach britischem Vorbild.
Zudem sollten in Deutschland, Wirtschaftsverbände, Unternehmen, Gewerkschaften und Betriebsräte miteinander ins Gespräch kommen, um gemeinsam Probleme zu identifizieren und kreative Lösungen zu entwickeln. Vorbild könnten die bereits bestehenden Branchenbündnisse gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sein, in denen Arbeitgeber, ArbeitnehmerInnen und Zoll zusammenarbeiten.
Die Studie zum Download: