Deutscher Gewerkschaftsbund

27.05.2015
Interview

Buntenbach: Bei den Minijobs wird viel getrickst

Der Mindestlohn ist ein historischer Fortschritt, sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach in einer ersten Bilanz. Doch es gebe noch zu viele ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, so Buntenbach in der „Neuen Westfälischen“. Sie fordert konsequente Kontrollen und ein Ende der Ausnahmen vom Mindestlohn.

Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach DGB/Simone M. Neumann

Neue Westfälische: Frau Buntenbach, der Mindestlohn gilt nun fast seit einem halben Jahr. wie fällt Ihre Bilanz aus?

Annelie Buntenbach: Dass dem Druck nach unten auf demArbeitsmarkt ein Riegel vorgeschoben wurde, ist ein historischer Fortschritt. Nicht nur der Mindestlohn von 8,50 Euro ist wichtig sondern auch die Mindestlöhne, die für bestimmte Branchen allgemeinverbindlich erklärt wurden. Ich finde die Ausnahmen für Jugendliche und Langzeitarbeitslose nach wie vor falsch.

Warum?

Weil diese Ausnahmen immer wieder Ausgangspunkt für Umgehungsstrategien sind. Auch bei den Minijobs wird noch viel getrickst, das hat unsere Mindestlohn-Hotline ergeben. Da wird der Mindestlohn für vier Stunden bezahlt und die fünfte Stunde soll umsonst gearbeitet werden. Einer Bäckerei-Fachverkäuferin wurde auch schon einmal angeboten, den Mindestlohn in Naturalien zu erhalten. Es gibt aber auch Arbeitgeber, die froh sind über den Mindestlohn, weil er sie vor Schmutzkonkurrenz schützt.

Die Wirtschaft kritisiert, dass seit der Einführung des Mindestlohns mindestens 237.000 Minijobs weggefallen sind.

Der Mindestlohn ist kein Jobkiller. Die Minijobs sind in den Branchen zurückgegangen, in denen im selben Zeitraum neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden sind. Wenn vernünftig bezahlt wird, lohnt sich offenbar so mancher Minijob nicht mehr. Das ist aber auch das Ziel, dass abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Deshalb ist das eine positive Entwicklung.

Die Arbeitgeber stöhnen wegen der mit dem Mindestlohn verbundenen Dokumentationspflichten. Sie fordern ein Belastungsmoratorium. Was halten sie davon?

Wir hätten uns ein Belastungsmoratorium für die Kollegen gewünscht, die im Niedriglohnsektor arbeiten. Das sind auch nach Einführung des Mindestlohns immer noch zu viele. Gerade durch den Missbrauch von Werkverträgen kommt es immer noch zu ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen. Ich verstehe nicht, warum Arbeitgeber darüber klagen, die Arbeitszeit erfassen zu müssen. Die Arbeitszeit ist doch Grundlage jeder Lohnzahlung, von daher muss sie doch auch erfasst werden. Offenbar haben einige Arbeitgeber sich an diese Regeln nie gehalten, obwohl es sie schon immer gegeben hat. Anders kann ich mir das Geschreie nicht erklären. Dass daraus nun eine Kampagne gemacht wird, finde ich schon dreist.

„Der Mindeslohn ist kein Jobkiller. Die Minijobs sind in den Branchen zurückgegangen, in denen im selben Zeitraum neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden sind.“

Was sollte die Große Koalition noch umsetzen?

Das wichtigste ist momentan, dass der Mindestlohn überall in der Arbeitswirklichkeit ankommt. Dazu ist es notwendig, dass die versprochenen 1.600 neuen Stellen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll schnell geschaffen werden. Bundesfinanzminister  Schäuble will das Geld für dieses Personal nicht gleich zur Verfügung stellen sondern über mehrere Jahre strecken. Doch wir brauchen das Personal sofort, sonst bleibt in der Kontrolle eine Lücke, die wir uns nicht leisten dürfen. Außerdem müssen wir die gute Konjunktur nutzen, um mehr Langzeitarbeitslose zu beschäftigen.

Auch die Leiharbeit und die Werkverträge sollen reguliert werden?

Ja, bei der Leiharbeit fordern wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit von Beginn an. Der Koalitionsvertrag spricht von gleicher Bezahlung nach neun Monaten, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Bei den Werkverträgen brauchen wir klare Kriterien was erlaubt ist und was Schein-Werkverträge sind. Wenn ganz normale Arbeitsabläufe plötzlich aufgebrochen und zersplittert werden, um Teile davon nach außen zu geben, wird der Ausbeutung Tür und Tor geöffnet. Dann werden die Aufträge an Subunternehmer weiter gebgeben, die stellen dann oft Mittel- und Osteuropäer ein, die nicht der Sprache mächtig sind und ihre Rechte nicht kennen. Viele werden zu Soloselbständigen erklärt und haben dann keinerlei soziale Absicherung. Das sind Strukturen, die wir aus der Fleischbranche, vom Bau aber auch aus privaten Krankenhäusern kennen und die wir dringend abstellen müssen. Der DGB wird den Kampf gegen den Missbrauch bei Werkverträgen aktiv unterstützen.

Interview: Alexandra Jacobson. Neue Westfälische, 27.05.2015


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