Deutscher Gewerkschaftsbund

12.12.2012

Sozial und demokratisch: DGB stellt hochschulpolitisches Programm vor

Der DGB will Hochschulen stärker für Menschen mit Berufsausbildung öffnen. Zudem sollen bei der Studienplatzvergabe soziale Kriterien eine größere Rolle spielen, die Hochschulen demokratischer gestaltet und gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten durchgesetzt werden. Das sind zentrale Forderungen des neuen hochschulpolitischen Programms des DGB, das Mitte Dezember in Berlin vorgestellt wurde.

Wegweiser Hörsaal Hochschule

Nur wenige Kinder aus Arbeiterfamilien und Menschen mit beruflicher Ausbildung besuchen eine Hochschule. In kaum einem Land hängen die Bildungschancen so stark von der sozialen Herkunft ab, wie in Deutschland. Fotolia.com - Klaus Eppele

„Das Programm ist nicht für die Schublade gemacht“, erklärte Ingrid Sehrbrock, stellvertretende DGB-Vorsitzende. „Wir wollen die gesellschaftliche Debatte und wir suchen die Zusammenarbeit mit allen Gruppen.“ Genau diese Debatte startete der DGB am 11. Dezember. Zur Vorstellung des Programms hatte der Gewerkschaftsbund VertreterInnen von Bund und Ländern, aus der Professorenschaft und aus Personalräten sowie aus der Studierendenschaft und aus den Gewerkschaften zur Diskussion nach Berlin eingeladen.

Befristete Stellen deutlich zurückfahren

Noch immer würden Kinder aus Arbeiterfamilien und Menschen mit beruflicher Ausbildung zu selten den Weg an deutsche Hochschulen finden, kritisierte Ingrid Sehrbrock. „In unserem Land hängen die Bildungschancen der Kinder so stark von ihrer sozialen Herkunft ab, wie sonst in kaum einem anderen Land“, so Sehrbrock. Auch eine Durchlässigkeit zwischen dem beruflichen und dem akademischen Bildungssystem gebe es bis heute kaum. „Die Trennung ist immer noch ein Fakt.“

Interview: Soziale Kriterien stärken

"Wir haben insgesamt eine sehr starke Abhängigkeit des Hochschulzugangs von der sozialen Herkunft", erklärte Matthias Anbuhl, Leiter der Abteilung Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim DGB-Bundesvorstand, im Interview mit dem Deutschlandfunk anlässlich der Vorstellung des hochschulpolitischen Programms.

Der DGB fordere deshalb, dass neben dem Notenschnitt auch soziale Kriterien bei der Studienplatzvergabe eine Rolle spielen.

Das Interview als MP3

Sehrbrock sieht auch im Arbeitsrecht an Hochschulen deutlichen Handlungsbedarf. Unter anderem müsse die Zahl befristeter Stellen deutlich zurückgefahren werden. Außerdem: Die Tarifsperre im Wissenschaftsfreiheitsgesetz, die Tarifverträge in der Wissenschaft ausschließt, gehöre endlich abgeschafft. Sehrbrock schlug vor, dass alle Beteiligten an der Hochschule gemeinsam einen Index Gute Arbeit entwickeln. Mit Blick auf die Finanzierung der Hochschulen und die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern erklärte die stellvertretende DGB-Vorsitzende: „Die Gewerkschaften wollen keine Leuchttürme in der Wüste, sondern ein flächendeckend gut ausgestattetes Hochschulsystem.“

Hochschulen finanziell besser ausstatten, Studiengebühren abschaffen

„Wir brauchen eine stärkere Grundfinanzierung der Hochschulen“, erklärte Svenja Schulze, Landesministerin für Wissenschaft und Forschung in Nordrhein-Westfalen, mit Blick auf die steigenden Anteile von Drittmitteln. Bei der Hochschulfinanzierung gebe es „momentan zu viel Wettbewerb und zu wenig Sicherheit“. Die Bundesländer könnten die Finanzierung des Hochschulsektors, auch angesichts der Schuldenbremse, aber oftmals nicht allein stemmen.

Studiengebühren seien ein überholtes Finanzierungsmodell für Hochschulen, erklärte Andreas Keller, Mitglied des Hauptvorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Mit der Frage der Studiengebühren sind wir durch“, so Keller. Viele Bundesländer hätten sie bereits wieder abgeschafft, mittelfristig würden diesem Schritt alle Bundesländer folgen. Das sei auch ein Erfolg der gewerkschaftlichen Proteste. „Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, diesen Trend umzukehren“, erklärte Keller. Gleichzeitig kritisierte er, dass Bund und Länder ihre Zusagen, sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und weitere drei Prozent für Forschung auszugeben, immer noch nicht einhalten würden.

Hochschulpakt verfehlt sein Ziel

Die zusätzlichen Mittel, die Bund und Länder den Hochschulen über Programme wie den Hochschulpakt zur Verfügung stellen, würden nicht ihren eigentlichen Zweck erfüllen, bemängelte Stefani Sonntag, Vorsitzende des Personalrats für das wissenschaftliche Personal an der Europa-Universität Viadrina. Oft würden sie lediglich dazu verwendet, Haushaltslöcher zu stopfen, weil viele Hochschulen schlicht unterfinanziert seien. Außerdem setze die Politik mit ihren Fördermitteln zwar auf die Schaffung dauerhafter Strukturen an den Hochschulen, garantiere aber weder dauerhaft Finanzierung noch Personalmittel.

Helge Braun, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, kündigte mit Blick auf die hohe Zahl von befristeten Arbeitsverhältnissen an den deutschen Hochschulen an, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz erneut evaluiert werde. „Wenn es missbraucht wird, wird sich was ändern“, erklärte Braun. Auch bei befristeten Arbeitsverträgen müsse es „kalkulierbare Karriereperspektiven“ geben.

14 Punkte für bessere Hochschulen

Mit insgesamt 14 Punkten greift das neue hochschulpolitische Programm des DGB wichtige Zukunftsthemen der deutschen Universitäten und Fachhochschulen auf. Das Programm beschäftigt sich sowohl mit dem Hochschulzugang als auch mit der personellen und finanziellen Ausstattung der Hochschulen, der Situation der Beschäftigten, demokratischen und sozialen Fragen sowie mit Transparenz, Gleichstellung und dem europäischen Hochschulraum.

Entwickelt wurde das Programm gemeinsam mit den Mitgliedsgewerkschaften des DGB, eingeflossen sind Statements und Meinungen aus einem breiten Diskussionsprozess mit ExpertInnen aller Gruppen des Hochschulsystems.

Das Programm zum Download

IG Metall-Bildungsexperte Bernd Kaßebaum erklärte in der Diskussion, er sehe „mit großer Sorge den Trend zur Privatisierung auf institutioneller Ebene“. Zum einen würden immer mehr private Hochschulen in Konkurrenz zu den öffentlichen Hochschulen gegründet. Zum anderen werde der Einfluss privater Interessen auf Forschung und Lehre auch an öffentlichen Hochschulen immer größer.

Zustimmung zum DGB-Programm

Prof. Gesine Schwan, Präsidentin der HUMBOLDT-VIADRINA School of Governance, sieht im hochschulpolitischen Programm des DGB viele positive Ansätze. Es betone zu Recht, dass die Hochschule ein Ort sei, der „demokratische Mitbestimmung und soziale Chancengleichheit durch Öffnung“ erreichen könne. Auch Schwan forderte eine stärkere Grundfinanzierung der Hochschulen. Eine zu starke Konzentration auf Drittmittel sei ein Fehler. Der seit 20 Jahren herrschende „Wettbewerbswahn“ habe weder für mehr Qualität, noch für mehr Motivation an den Hochschulen gesorgt.

Kontroverse über Viertelparität

Auch der Präsident der Humboldt Universität Berlin, Prof. Jan-Hendrik Olbertz, lobte das DGB-Programm in weiten Teilen. Kritisch sah Olbertz allerdings die Forderung nach so genannter Viertelparität in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung. Bei Viertelparität erhielten Professorenschaft, Studierende, wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Beschäftigte je ein Viertel der Sitze. Das würde, so Olbertz, die ProfessorInnen aus ihrer Verantwortung für die Entwicklung der Hochschule entlassen.

Klaus Böhme, Vorsitzender des Fachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung beim ver.di-Bundesvorstand, verteidigte die gewerkschaftliche Forderung nach Viertelparität. Moderne Hochschulen seien nur dann zukunftsfähig, wenn sie die Interessen aller ihrer Mitglieder ernst nehmen würden, so Böhme. Genau das ermögliche die Viertelparität.


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Dieser Artikel gehört zum Dossier:

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

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