Im Jahr 2019 laufen die Regelungen zum Länderfinanzausgleich aus. Bis zur Mitte dieser Legislaturperiode wollen die Regierungskoalition und die Länder die Bund-Länder-Finanzbeziehungen reformieren. Achim Meerkamp, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands, plädiert dafür, mit einer Neuordnung der Finanzbeziehungen gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen und die Handlungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu sichern.
Sachsen und Sachsen-Anhalt schließen ganze Universitätsinstitute. Tausende Studienplätze gehen verloren. Hamburg kürzt bei der sozialen Arbeit. Baden-Württemberg zum Beispiel zahlt seinen Beamtinnen und Beamten die Tariferhöhung nur mit zeitlicher Verzögerung. Für dringend notwendige Investitionen in Krankenhäuser oder den ÖPNV ist künftig nicht mehr, sondern womöglich weniger Geld da.
Quelle: Bundesfinanzministerium; ver.di
Seit Jahrzehnten wird gespart beim Personal und bei öffentlicher Infrastruktur: Bürgerinnen und Bürger erhalten nicht mehr den Service, den sie erwarten dürfen. Wir erleben es gerade bei den Berliner Bezirksämtern, die tageweise schließen müssen, um liegen gebliebene Anträge abzuarbeiten. Jugendhäuser werden geschlossen, obwohl alle Akteure den volkswirtschaftlichen Wert präventiver Jugendarbeit betonen. Schulen verfallen, Straßen werden nur notdürftig geflickt – die Bugwelle notwendiger Infrastrukturinvestitionen wird immer höher. Die Beispiele zeigen deutlich: Der öffentliche Dienst in diesem Land ist unterfinanziert. Trotz massiver Kürzungen werden einige Länder es absehbar nicht schaffen, bis 2020 ihre Haushalte auszugleichen, wozu sie aber die vereinbarte Schuldenbremse zwingt.
Dabei ändern sich Lebenswelten in Deutschland und damit die Anforderungen an die öffentliche Hand: Der Anspruch auf einen Krippenplatz hilft, dass Väter und Mütter Beruf und Familie besser vereinbaren können. Doch Kommunen können den Ausbau finanziell kaum stemmen, die Qualität der Arbeit in den Einrichtungen leidet.
Die Soziallasten für die Kommunen steigen: Nicht nur die zunehmende Anzahl von Geringverdienern, auch veränderte Familienkonstellationen und eine verstärkte Kinderarmut sind die Ursache dafür, dass die sozialen Leistungen der Gemeinden in den letzten dreizehn Jahren um 80 Prozent gestiegen sind. Das Thema Inklusion fordert in erster Linie die Kommunen und wird mit dafür sorgen, dass die Anforderungen weiter zunehmen. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen werden die Kommunen vor enorme Integrationsaufgaben gestellt, die sie nicht zum Nulltarif stemmen können.
Die Altersstruktur der Bevölkerung bringt einen notwendigen Wandel bei den öffentlichen Dienstleistungen mit sich. Den veränderten Anforderungen durch den gesellschaftlichen und demografischen Wandel können die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes unter den herrschenden Bedingungen nur unzureichend bzw. nur unter erheblichen Belastungen gerecht werden.
Dabei ist die Ausgangslage bei den Bundesländern und erst recht bei den Kommunen höchst unterschiedlich. Nach wie vor können die ostdeutschen Länder und Kommunen aufgrund eines geringeren Steueraufkommens sehr viel weniger eigene Einnahmen generieren. Gerade in strukturschwachen Regionen besteht – unabhängig von der Himmelsrichtung – ein höherer Bedarf an Sozialleistungen. Angesichts der im Jahr 2019 auslaufenden Regelungen zum Länderfinanzausgleich sind die Erwartungen an eine Neuregelung der föderalen Finanzen enorm. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres hat eine Arbeitsgruppe aus den Finanzministerinnen und -ministern der Länder mit dem Bundesfinanzministerium um einen Reformkompromiss gerungen.
Zuletzt wurde in der Öffentlichkeit die Integration des Solidaritätszuschlages, dessen Aufkommen von momentan rund 14 Milliarden Euro bisher alleine dem Bund zufällt, in die Einkommensteuer diskutiert. Dadurch würden künftig Länder und Kommunen über die Hälfte des Aufkommens automatisch erhalten. Doch unabhängig davon, dass dieser Vorschlag einige Nachteile hätte und neue Ungerechtigkeiten produzieren würde, scheint er wieder vom Tisch. Das Ziel, bis Ende 2014 Eckpfeiler für eine Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu setzen, wurde verfehlt. Die Gemengelage ist unübersichtlich: Die Interessenlagen der Länder verlaufen angesichts der vielen Facetten, die das Thema bietet, quer zu den üblichen Parteilinien. Es geht um viel Geld und damit um die politische Handlungsfähigkeit. Allein über den Länderfinanzausgleich im engeren Sinne wurden im letzten Jahr 9,05 Milliarden Euro verteilt. Insgesamt wird über die föderalen Finanzströme ein Mehrfaches dieser Summe verteilt.
Die Zeit angesichts der auslaufenden Regelungen im Jahr 2019 drängt: Die Koalition will bis Mitte der laufenden Legislaturperiode eine Einigung erreichen. Im Kern wird es darum gehen müssen, wie gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland geschaffen werden können. Hierfür braucht es weiter ein solidarisches System. Einen Wettbewerbsföderalismus, wie er insbesondere aus dem südlichen Freistaat gefordert wird, lehnt ver.di ab. Mehr Steuerautonomie für die Länder würde die regionalen Unterschiede weiter verstärken und ganze Landstriche und deren Bevölkerung abkoppeln von der wirtschaftlichen Entwicklung. Für einen stabilen und handlungsfähigen öffentlichen Dienst, der den Anforderungen der Zukunft gerecht werden kann, sind steuerpolitische Impulse nötig. Wohin will diese Bundesrepublik? Diese Frage muss beantwortet werden. Solange die „schwarze Null“ wie eine Monstranz vorneweg getragen wird, läuft die Verteilungsdebatte, wie wir sie in den letzten Monaten erlebt haben. Jede und jeder kämpft für eigene Interessen. Schließlich „hört beim Geld die Freundschaft auf“, zudem erschwert das Diktat der Schuldenbremse die Verhandlungen.
Es bietet sich ein verhältnismäßig kleines Zeitfenster, um die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Land sowie unter den Ländern auf neue Füße zu stellen. Eine Chance, die sich so auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, nicht wieder bieten wird. Diese Chance muss ergriffen werden.
Aus ver.di-Sicht gehören folgende Inhalte in das Reformpaket:
Angesichts der Bedeutung muss über den solidarischen Finanzausgleich eine breite gesellschaftliche Debatte geführt werden. Verhandlungen im kleinen Kreis hinter verschlossenen Türen werden keine nachhaltigen, breit akzeptierten Ergebnisse bringen.