Deutscher Gewerkschaftsbund

16.10.2013

Hexel: Ausbremsen der Energiewende senkt nicht die Strompreise

Die EEG-Umlage steigt im kommenden Jahr um knapp einen Cent pro Kilowattstunde (exakt 0,963 Cent). Sind die erneuerbaren Energien also der Hauptgrund für steigende Stromkosten? Nein, sagt DGB-Vorstand Dietmar Hexel in unserem Interview. Die EEG-Umlage sei nicht "das Preisschild der Energiewende". Die Preise an den Strombörsen würden derzeit sogar sinken. Die sinkenden Preise würden nur nicht an die Endkunden weitergegeben, die steigende EEG-Umlage hingegen schon. "Hier müssen wir ran", fordert Hexel.

Dietmar Hexel Porträt im Gespräch

DGB/Simone M. Neumann

Mehr als zwei Jahre nach dem Beschluss der schwarz-gelben Energiewende wird das Projekt fast nur noch im Zusammenhang mit steigenden Strompreisen debattiert. Und die kennen seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Erste Stimmen fordern, bei der Energiewende auf die Bremse zu treten, um Bürger und Betriebe nicht weiter zu belasten.

Kritiker machen die EEG-Umlage, mit der der Ökostrom gefördert wird, für die Kostenbelastung verantwortlich. Brauchen wir also einen Ausbaustopp für erneuerbare Energien?

Dietmar Hexel: Ein Ausbremsen der erneuerbaren Energien senkt die Strompreise nicht, im Gegenteil. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und die Energiewende sind kein Selbstzweck. Sie haben eine sichere, umweltverträgliche und kostengünstige Energieversorgung ohne Atomkraft und mit immer weniger fossilen Energien zum Ziel. Damit verringern wir die enormen Importkosten für Erdöl und Gas und erreichen gleichzeitig die gesetzten Klimaziele. Mittel- bis langfristig wird es günstiger. Wind, Wasser und Sonne haben keine Rohstoffkosten. Die Umstellung hat  zunächst einen Preis. Es sind massive Investitionen in die neue Infrastruktur notwendig. Das sind Investitionen, die sich erst im Laufe der Zeit rechnen.

Heißt das also, die Strompreise steigen immer weiter, wenn wir die erneuerbaren Energien fördern?

Erstmal: Derzeit sinkt der Strompreis an der Börse, vor allem weil Strom aus erneuerbaren Energien keine Brennstoffkosten hat – und weil es ausreichend Strom in Europa gibt. Zweitens: Wir müssen Strom und Energie allgemein sparen, dann wird es für alle billiger. Energieeffizienz ist hier das Stichwort. Die Bundesregierung hat hier bisher geschlafen. Drittens: Für die Übergangsphase brauchen wir eine gerechte Finanzierung, die einerseits Investitionen ermöglicht und andererseits nicht nur die Verbraucher belastet. Wer über Strompreise diskutiert, muss zunächst auch verstehen, wie sich die Strompreise bilden. Zu behaupten, die EEG-Umlage sei das Preisschild der Energiewende führt schlichtweg in die Irre. Fakt ist, die Strompreise setzen sich aus einer Vielzahl von Kostenblöcken zusammen, die sich teilweise gegenseitig beeinflussen.

Woran liegt das?

Der Anteil der erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung liegt bei 25 Prozent. Das ist erfreulich viel und mehr als ursprünglich geplant. Durch den wachsenden Ökostromanteil fallen die Handelspreise an der Strombörse. Der Ökostrom verdrängt so teureren Strom aus Gas- und Kohlekraftwerken, da Wind-, Wasser- und Solaranlagen keine Brennstoffkosten haben.

Biogas und Windkraftanlage

DGB/Holly(Best-Sabel)

Dummerweise führt dies  zu einem Anstieg der EEG-Umlage für erneuerbare Energien. Das liegt daran, dass sich die vom Verbraucher bezahlte EEG-Umlage aus der Differenz zwischen Einspeisevergütungen und Börsenstrompreis berechnet. Im Klartext: Sinken an der Strombörse die Handelspreise für Strom, steigt automatisch die EEG-Umlage. Die Stromhändler geben zwar die steigende EEG-Umlage an die Endkunden weiter, wie es das Gesetz vorsieht, die gesunkenen Einkaufspreise für Börsenstrom jedoch nicht. Hier müssen wir ran.

Was sollte die neue Bundesregierung nach Amtsantritt als erstes machen?

Die Energiewende als Chefsache begreifen, die uns und die nächste Generation beschäftigten wird und nicht versemmelt werden darf. Wir müssen das EEG weiterentwickeln und die Förderung an die neuen Herausforderungen anpassen. Wir haben jetzt 25 Prozent Ökostrom im Netz. Wir brauchen einen Mechanismus für die nächsten Meilensteine, wenn der Anteil mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs deckt. Darüber muss nachgedacht und dann gehandelt werden.

Das Hin und Her in der Energiepolitik der alten Bundesregierung war Gift für Arbeitsplätze und Unternehmen – quer durch alle Branchen. Ich erinnere nur an die Idee der Strompreisbremse, die Umweltminister Altmaier an einem Januarmorgen aus der Hüfte geschossen hat. Kern der Reform muss es sein, den Ausbau der erneuerbaren Energien bei gleicher Dynamik noch kostengünstiger zu machen und vor allem systemischer zu denken, damit die erneuerbaren Energien zur tragenden Säule der Stromversorgung werden.

Der DGB schlägt  vor, dass die Vergütungen weiter an die Kosten- und Technologieentwicklung angepasst werden. Wir sehen im Bereich der Onshore-Windkraft durchaus Möglichkeiten, die Vergütungen zusätzlich maßvoll zu senken. Außerdem brauchen wir verstärkte Anreize für eine bedarfsgerechte Einspeisung des Ökostroms und für die Übernahme von mehr Systemverantwortung der Betreiber von erneuerbaren Energien. Das gilt auch für diejenigen, die überwiegend oder ganz Eigenversorger sind – aber im Zweifel vom allgemeinen Netz eine Back-up-Sicherheit verlangen.

Aber solche Vorschläge können die Strompreise doch höchstens stabilisieren?

Das wäre doch schon was. Der Großteil der Förderkosten aus bestehenden Ökostromkraftwerken resultiert vor allem aus bestehenden Altanlagen. Daran kann man wegen des Bestandsschutzes nichts ändern. Bei Altanlagen wird es erst billiger, wenn bei ihnen die Förderung ausläuft. Beim Zubau von Neuanlagen muss man etwas tun, auch wenn diese einen geringen Einfluss auf die Umlage haben. Der DGB schlägt vor, dass der Staat nicht auch noch die Mehrwertsteuer auf die steigende EEG-Umlage draufschlagen soll. Alleine dies könnte Privathaushalte um rund eine Milliarde Euro pro Jahr entlasten. Außerdem können wir dafür sorgen, dass die die bisherigen historischen Kosten intelligenter verteilt werden, damit die individuelle Belastung abnimmt.

Wie soll das gehen?

Ein Vorschlag, die EEG-Umlage spürbar zu senken, liegt in der Entkopplung von Einnahmen des EEG-Systems und Vergütungszahlungen. So könnten beispielsweise bei unveränderten Vergütungszahlungen, die in der Regel 20 Jahre ausgezahlt werden, die Einnahmen über die EEG-Umlage auf 30 Jahre gestreckt werden. Die dann entstehende Lücke müsste natürlich zwischenfinanziert werden. Hier könnte zum Beispiel die staatseigene KfW Förderbank einspringen. Diese kann sich sehr günstig am Kapitalmarkt Geld leihen. Damit verringern wir zwar nicht die Kosten, aber wir strecken die Belastung über einen längeren Zeitraum. Zum anderen wird es ohne Steuermittel bei bestimmten Technologien nicht gehen. Die Energiewende ist ein gesamtgesellschaftliches Projekt. Steuermittel beispielsweise für Offshore sind aus meiner Sicht sinnvoll angelegt. Dann zahlen nicht nur die Verbraucher.

Apropos Verteilung der Kosten, wie sieht es mit den Industrieausnahmen aus?

Für die Gewerkschaften im DGB ist  klar, dass wir die Industrieausnahmen für eine Reihe von Branchen brauchen. Grundstoffchemie, Papier-, Aluminium- oder Stahlerzeugung sind dafür Beispiele. Diese Branchen haben in Bezug auf ihre gesamte Wertschöpfung einen sehr hohen Energiekostenanteil. Sie stehen damit im internationalen Wettbewerb.

Transportwagen in einem Stahlwerk werden befüllt

Colourbox

Ohne Ausnahmeregelungen laufen wir Gefahr, dass diese energieintensiven Unternehmen und damit auch Arbeitsplätze nach und nach abwandern. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Nicht zuletzt deshalb, weil diese Branchen die Ausrüster der Energiewende sind: Kein Windrad ohne Stahl, keine Batterie ohne Chemie! Die jetzigen Ausnahmeregelungen  müssen transparent, sachgerecht und zielgenau sein.  Durch die pauschale Herabsetzung der Schwellenwerte sind auch Unternehmen in die Ausnahmeregelung gerutscht, die kaum einem internationalen Wettbewerbsdruck unterliegen oder deren Geschäftsmodell wir nicht mit den Ausnahmen subventionieren sollten. Als Gewerkschafter finde ich es beispielsweise skandalös, dass Schlachtbetriebe mit einem hohen Anteil von Leiharbeit von der Umlage befreit werden.

Wie kommt es dazu?

Betriebe aus dem produzierenden Gewerbe können eine reduzierte Förderumlage beantragen, wenn sie zwei entscheidende Kriterien gleichzeitig einhalten. Das eine bezieht sich auf den absoluten Stromverbrauch pro Jahr. Dieser muss mindestens eine Million Kilowattstunden betragen. Das zweite Kriterium umfasst die Stromkostenintensität, also das Verhältnis von Stromkosten zur Bruttowertschöpfung. Hier gibt es den Schwellenwert von 14 Prozent Stromkosten an der Bruttowertschöpfung. Der Knackpunkt ist dabei ist die Berechnung der Bruttowertschöpfung. Leiharbeit und Werkverträge reduzieren die Bruttowertschöpfung, so dass der Schwellenwert von 14 Prozent leichter erreicht werden kann.

Das ist aus unserer Sicht absurd, da mit dieser Regelung zu Lasten der Stromverbraucher prekäre Beschäftigung quasi durch die Hintertür gefördert wird. Ich warne allerdings vor Populismus. Schaut man auf die fünf energieintensivsten Branchen, also beispielsweise die Stahl-, NE-Metall-, Papier- und Chemie-Industrie, dann machen diese etwa 60 Prozent der entlasteten Strommenge aus. Es ist damit klar: Der Großteil der Ausnahmen wird tatsächlich gebraucht.

Was kann man noch tun, um die Belastung durch steigende Energiepreise abzumildern?

Nur etwa ein Viertel der Energiekosten eines Durchschnittshaushaltes werden für Strom aufgewendet. Die größeren Kostenblöcke liegen woanders, nämlich beim Heizen und bei der Mobilität, was auch für Industrie und Handwerk gilt. Hier wird viel Energie verschwendet. Hier liegen große Potenziale, wenn wir Kosten sparen wollen. Deshalb fordern wir als DGB die Gebäudesanierung besser und stetiger zu fördern – und die Energieeffizienz-Maßnahmen auszubauen. Auch beim Strom ist Energiesparen ein wesentlicher Schlüssel für weniger Kosten.  Kostenlose Energieberatungsangebote und eine Investitionsprämie für sparsame Haushaltsgeräte würden auch alle einkommensschwachen Haushalte weiterbringen.

Unsere Position

 

Positionen des DGB zur Energiepolitik: "Energieumstieg: Gut für Klima, Arbeitsplätze und Wohlstand – Wege zu einer sozial-ökologischen Energiewende" - verabschiedet vom DGB-Bundesvorstand im Juli 2013

 

Download als PDF

Gegebenenfalls müssen auch die Sozialleistungen, wie Arbeitslosengeld II, regelmäßig an die steigenden Energiekosten angepasst werden. Noch besser wäre es nach meiner persönlichen Meinung, im Energiewirtschaftsgesetz einen Basis-Strom-Tarif einzuführen, zu dem die Stromhändler eine bestimmte Strommenge zu günstigen Preisen abgeben müssen. Wer mehr braucht, zahlt anschließend progressiv mehr. Oder man befreit ein Grundkontingent, das die Daseinsfürsorge sicherstellt, von den meisten Abgaben und Steuern.


Nach oben

Energieumstieg: Gut für Klima, Arbeitsplätze und Wohlstand - Wege zu einer sozialökologischen Energiewende

Dokument ist vom Typ application/pdf.

DGB-Position zur Energiepolitik aus der Perspektive der ArbeitnehmerInnen. Es werden Vorschläge gemacht, wie eine Gesamtarchitektur der Energiepolitik entstehen kann, um die Energiewende zum Erfolg zu bringen.