Deutscher Gewerkschaftsbund

03.12.2015
Tagung für Schwerbehindertenvertretungen in Dresden

Schwerbehindertenvertretung: Reform zeitnah umsetzen

Gewerkschaften lehnen "Alibireform" ab

Für diesen Herbst hatte die Bundesregierung die Reform der Schwerbehindertenvertretung (SBV) angekündigt. Passiert ist bisher nichts, das Gesetz wurde auf März 2016 verschoben. Auf einer Tagung für Schwerbehindertenvertreter in Dresden mahnte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, die Reform zur Stärkung der SBV noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. 

Das Tagungsthema „Schwerbehindertenvertretung stärken“ hatte den Nerv getroffen: Obwohl der Schwerpunkt der Konferenz auf Menschen mit Behinderung in Sachsen lag,  waren rund 150 Vertrauensleute aus ganz Deutschland zur Veranstaltung von DGB-Sachsen und „Arbeit und Leben“ gekommen. Diskutiert wurden die Reformverschläge des DGB zum Schwerbehindertenrecht. Zudem berichteten Vertreterinnen und Vertretern aus Betrieben und Politik in Sachsen über die Lage der schwerbehinderten Beschäftigten und Arbeitslosen im Freistaat.

Wie schwer es Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt haben, erläuterte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach in ihrer Auftaktrede. Noch immer liege die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen deutlich über der von nicht Schwerbehinderten. „Ein echtes Armutszeugnis für die Arbeitgeber“, sagte Buntenbach. Zwar gebe es positive Beispiele im öffentlichen Dienst, sagte Buntenbach. Doch „die Vielzahl der Unternehmen“ unterlaufe seit Jahren die gesetzlich vorgeschriebene Quote von 5 Prozent für die Beschäftigung von Schwerbehinderten.

Annelie Buntenbach

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach: "Wir brauchen die Stärkung der SBV noch in dieser Legislaturperiode." DGB/Steinle

„Rund ein Viertel der privaten Arbeitgeber beschäftigt immer noch keinen einzigen schwerbehinderten Arbeitnehmer“, sagte Buntenbach. Um die Beschäftigungsquote zu erhöhen müsse deshalb die Ausgleichsabgabe massiv erhöht werden – „und zwar von monatlich 290 auf 750 Euro für einen nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz, wenn die Beschäftigungsquote unter zwei Prozent liegt. Wer Schwerbehinderte nicht einstellt, darf sich nicht durch Minibeträge freikaufen können. Solange Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht aus der Portokasse bezahlt werden können, ändert sich offensichtlich nichts.“

Öffentlicher Dienst muss Vorrreiter sein

Trotz erfüllter Beschäftigten-Quote gab es aber auch Kritik am öffentlichen Dienst. Rolf Brahms, Schwerbehindertenvertreter bei den Landesbehörden in Sachsen, forderte den Freistaat auf, bei der Einstellung von Menschen mit Handicap voranzugehen. Über eine verbindliche Selbstverpflichtung müssen das Land auch über die 5 Prozent hinaus Schwerbehinderte einstellen und die strukturellen Voraussetzungen zum Beispiel bei der Barrierefreiheit schaffen.

Diskussionrunde "SBV stärken"

Diskussionsrunde mit den Referenten der Tagung (von rechts): Katrin Röhrig (Schwerbehindertenvertretung Staatliche Porzellanmanufaktur Meißen) , Rolf Brahms (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Schwerbehindertenvertretungen bei den obersten Landesbehörden im Freistaat Sachsen), Horst Wehner (MdL,DIE LINKE, 2. Vizepräsident des Sächsischen Landtags), Matthias Schubert (Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Sachsen), Klaus Bemmann-Ender (Sächsisches Staatsministerium für Soziales und
Verbraucherschutz), Dr. Heidi Becherer, DGB-Bezirk Sachsen (Moderation)
DGB/Steinle

In der Diskussion bestätigte der Schwerbehindertenvertreter einer sächsischen Amazon-Niederlassung diese Einschätzung. Über die derzeitige Fehlbelegungsabgabe von 290 Euro lache die Geschäftsführung nur, bei 750 Euro sehe das schon anders aus.

Fachkräfte im Betrieb halten

Doch auch die Rechte der Schwerbehindertenvertretung (SBV) müssen dringend gestärkt werden. So sieht es auch der Reformvorschlag DGB, Sozial- und Behindertenverbänden und der Behindertenbeauftragte des Bundes vor.  „Fachkräfte im Betrieb halten und betriebliches Eingliederungsmanagement - das wird nur mit gestärkten Schwerbehindertenvertretungen gelingen“, sagte Annelie Buntenbach. Sie benötigten bessere Möglichkeiten zur Freistellung und durchsetzbare Rechte zur Anhörung und Information im Betrieb. Buntenbach mahnte die Umsetzung schnellstmöglichst an: "Wir brauchen die Stärkung der SBV noch in dieser Legislaturperiode". Eine Alibireform ohne echte Verbesserungen lehnte sie ab. "Bei so etwas werden wir nicht mitspielen", erklärte Buntenbach.,

Vertrauensleute häufig vom Arbeitgeber übergangen

Mit welchen Hürden und Problemen im Betrieb die Vertrauensleute in der jetzigen rechtlichen Situation kämpfen, berichtete Katrin Röhrig, seit 2010 SBV in der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen. Die Porzellanmalerin habe bisher weder einen Raum für vertrauliche Besprechungen noch einen Computer für ihre Arbeit als Schwerbehindertenvertreterin erhalten, um nur zwei Beispiele zu nennen. Auch um die Einhaltung ihrer Informationrechte und die Teilnahmen beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement müsse sie regelmäßig kämpfen. Statt auf Augenhöhe zu verhandeln sei Röhrig in einer "Bittstellerhaltung".

Wie sehr die SBV-Arbeit bei der geltenden Rechtslage oft vom guten Willen des Arbeitgebers abhängt, schilderte die Vertreterin einer Kindertagesstätte. Ihre Gutachten zur Eignung von Bewerberinnen und Bewerbern mit Behinderung würden zwar zur Kenntnis genommen – um lapidar abgelehnt zu werden, solange die 5-Prozent-Quote erfüllt werde. „Manchmal fühlt man sich wie ein Papiertiger“, sagte sie.

Zum Abschluss der Tagunge verabschiedete der DGB-Sachsen eine weitere Resolution zur Stärkung der Schwerbehindertenvertretung.

Die Resolution des DGB Sachsen

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen:

"Noch immer liegt die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen deutlich über der von nicht Schwerbehinderten - ein echtes Armutszeugnis für die Arbeitgeber. Auch wenn es positive Beispiele im öffentlichen Dienst gibt, die Vielzahl der Unternehmen unterläuft seit Jahren die gesetzlich vorgeschriebene Quote für die Beschäftigung von Schwerbehinderten. Rund ein Viertel der privaten Arbeitgeber beschäftigt immer noch keinen einzigen schwerbehinderten Arbeitnehmer. Deswegen muss endlich die Ausgleichsabgabe angehoben werden - und zwar von monatlich 290 auf 750 Euro für einen nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz, wenn die Beschäftigungsquote unter zwei Prozent liegt. Wer Schwerbehinderte nicht einstellt, darf sich nicht durch Minibeträge freikaufen können. Solange Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht aus der Portokasse bezahlt werden können, ändert sich offensichtlich nichts.

Inklusives Arbeiten fordert nicht nur die UN-Behindertenrechtskonvention, es wird auch in unserer älter werdenden Gesellschaft immer wichtiger. Fachkräfte im Betrieb halten und betriebliches Eingliederungsmanagement - das wird nur mit gestärkten Schwerbehindertenvertretungen (SBV) gelingen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, diesen Punkt aus dem Koalitionsvertrag auch umzusetzen. Die SBVen brauchen bessere Möglichkeiten zur Freistellung und durchsetzbare Rechte zur Anhörung und Information im Betrieb."

Download: Gemeinsame Erklärung von DGB, Sozial- und Behindertenverbänden sowie der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung: Schwerbehindertenvertretungen stärken!


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