Was sich am 04.07.2018 im Plenum des Europäischen Parlaments ereignete, dürfte als eine Sternstunde des Parlaments in die Geschichtsbücher eingehen. Die Abgeordneten lehnten mit jeweils deutlicher Mehrheit alle drei sozialpolitisch bedeutenden Berichte zum Straßenverkehrspaket („Mobility Package“) wegen ihres sozialpolitischen Sprengstoffes ab. Sie waren zuvor vom federführenden Parlamentsausschuss für Verkehr und Tourismus (TRAN) erstellt worden.
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Was war geschehen?
Im Mai 2015 hatte EU-Kommissarin Bulc das Straßenverkehrspaket der EU-Kommission mit dem Ziel sicherer, sauberer und intelligenter Mobilitätlösungen auf Europas Straßen vorgestellt. Vorgeschlagen wurden unter Anderem weitreichende Ausnahmen zur Geltung der Entlohnungsbestimmungen gemäß der Entsenderichtlinie für Fahrerinnen und Fahrer im europäischen Straßentransport. Zudem sollten die bestehenden Kabotageregeln ausgeweitet und die Ruhe- und Lenkzeiten der Fahrerinnen und Fahrer flexibilisiert werden.
Diese aus Sicht der europäischen Gewerkschaften äußerst nachteiligen Vorschläge gewannen dadurch besondere Brisanz, dass zeitgleich bei der Revision der Entsenderichtlinie handfeste Verbesserungen der Beschäftigungsbedingungen ausgehandelt wurden. Während also viele Millionen entsandte Beschäftigte künftig besser entlohnt und abgesichert werden, sollen die bereits jetzt massiv durch Lohn- und Sozialdumping unter Druck stehenden Beschäftigten im europäischen Straßentransport explizit davon ausgenommen werden.
Dass sich angesichts dieser Trennung in Entsandte erster und zweiter Klasse schnell massiver Widerstand in Brüssel und der gesamten EU gegen die Kommissionspläne regte, war die logische Konsequenz.
Der mitberatende Beschäftigungsausschuss (EMPL) des Europäischen Parlaments beschloss deshalb im April 2018, dass die Kommissionsvorschläge in eine sozialpolitisch deutlich ausgewogenere Richtung gehen müssten. Für dieses Petitum schien sich der TRAN-Ausschuss allerdings herzlich wenig zu interessieren, denn er legte dem Plenum letztlich noch marktradikalere und arbeitnehmerfeindlichere Berichte zur finalen Abstimmung vor. Als maßgebliche Treiber waren schnell Arbeitgeberverbände und Marktakteure auszumachen, die ihre gegenwärtige Geschäftsgrundlage gefährdet sehen, wenn sie ihren Beschäftigten in Zukunft womöglich faire Lohn- und Arbeitsbedingungen bieten müssen. Unterstützt wurden sie dabei auch durch deutsche EVP-Abgeordnete, die sich mit Blick auf die 2019 anstehenden Europawahlen als Brückenbauer zum besonders wirtschaftsliberalen Lager gerierten. Einige haben schon jetzt die Wahl des Parlamentspräsidenten fest im Blick.
Aber das Parlamentsplenum blieb standhaft und erteilte dem TRAN-Ausschuss den Auftrag, neue Berichte zu den Kommissionsvorschlägen vorzulegen. Die Verkehrspolitiker müssen mehr beschäftigungspolitischen Realitätssinn und Respekt gegenüber den zehn Millionen Beschäftigten dieses Sektors zeigen. Die katastrophalen Zustände auf Europas Straßen können nur abgestellt werden, wenn die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Mittelpunkt der Reform stehen. Das ist nicht nur wichtig für die Gesundheit des Fahrpersonals, sondern auch für die Sicherheit aller anderen Verkehrsteilnehmer. Denn mit überlangen Fahrzeiten und wenigen Ruhepausen steigt die Unfallgefahr.
Dass im Übrigen auch durchaus sinnvolle Vorschläge durch die Europäische Kommission unterbreitet wurden, ging im politischen Gefechtslärm immer wieder unter: Neben einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten insbesondere bei den Straßenkontrollen und der Pflicht zur Einführung digitaler Tachografen war die Bekämpfung von Briefkastenfirmen und wettbewerbsverzerrenden Unternehmenspraktiken ein erklärtes Ziel. Diese Ansätze notwendigerweise weiter zu schärfen und so insgesamt zu einem fairen und sozial gerechteren Transportmarkt in der EU beizutragen, bleibt eine Kernaufgabe des Parlaments in der Entscheidungsfindung wie auch in den anschließenden Trilog-Verhandlungen mit Kommission und Rat der EU.
Der DGB wird weiterhin für eine konkrete Verbesserung der Arbeitsbedingungen und höhere Löhne im europäischen Verkehrssektor kämpfen. Auch für ein soziales Europa sind faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen auf Europas Straßen ein weithin sichtbares Signal.
Robert Spiller und Martin Stuber, DGB-BVV