Deutscher Gewerkschaftsbund

25.01.2012
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Leitbild "Demokratische Hochschule" - Möllenberg: "Hochschule muss Impulsgeber für die Gesellschaft sein"

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Die öffentliche Hochschule als Ort der Wissens- und Lernkompetenzvermittlung allein - das wäre unzureichend. Zusätzlich zur Forschung muss sie die demokratische und soziale Entwicklung der Gesellschaft befördern.

Von Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten

Statement des NGG-Vorsitzenden Franz-Josef Möllenberg auf einem Transparent vor der Humboldt-Universität in Berlin.

„Kritisches Denken kann nicht autoritär vermittelt werden. Flachere Hierarchien und drittelparitätische Mitbestimmung für alle Hochschulangehörigen würden Entscheidungen transparenter machen.“ DGB/Simone M. Neumann

Die Hochschule von heute hat sich immer weiter vom bürgerlichen Bildungsideal entfernt. Es geht nicht mehr um umfassende Bildung, die Fachqualifikation und gesellschaftliche Zusammenhänge einordnet und transparent macht, sondern um die kurzfristige Aneignung von im Wirtschaftsprozess verwertbaren.

Dies trifft Studierende aller Schichten und Fächer, die Umsetzung des Bologna-Prozesses steht für die Vereinheitlichung von Hochschulstrukturen auf einem Verwertungsniveau, das wir nicht gutheißen können.

Nötig ist ein Kompetenzerwerb, der durch kritische Analyse und selbstständiges wissenschaftliches Arbeiten Raum und Zeit für Persönlichkeitsentwicklung lässt.

Die im Leitbild „Demokratische und Soziale Hochschule“ vorgelegten Anforderungen an die wissenschaftliche Berufsausbildung werden von der NGG ausdrücklich unterstützt. Nötig ist ein Kompetenzerwerb, der durch kritische Analyse und selbstständiges wissenschaftliches Arbeiten Raum und Zeit für Persönlichkeitsentwicklung lässt. Statt weitere Verschulung als Folge der Umsetzung des Bologna-Prozesses zu fördern und so einer Verdichtung von Studienplänen Vorschub zu leisten, gilt es, das Reflexions- und Urteilsvermögen besser auszubilden. Hierzu eignen sich teamorientierte Studiengruppen mit kontroversen Debatten und der Möglichkeit, eigene Thesen formulieren zu können, besser als Faktenlernen. Durch Lehrende betreut, fördert dies die eigenverantwortliche Arbeitsorganisation, lässt Kreativität zu und bereitet über alle Fächergrenzen hinweg auf neuere Anforderungen in der Arbeitswelt vor.

Um dem im Leitbild skizzierten „sozial denkenden und kritisch engagierten“ Menschen näher zu kommen, ist die Bestimmung der öffentlichen Hochschule als Ort der Wissens- und Lernkompetenzvermittlung allein unzureichend. Zusätzlich zur Forschung muss sie die demokratische und soziale Entwicklung der Gesellschaft befördern. Auf diese Weise wird sie ihrer herausgehobenen Stellung in der Gesellschaft als Impulsgeber für gesamtgesellschaftliche und ethisch-moralische Fragestellungen gerecht.  Nur die gesamte Fächerpalette von Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften und ein offener Diskurs zwischen ihnen ermöglicht dies. Ohne wissenschaftspolitische Steuerung ist die notwendige Pluralität unter Berücksichtigung der sogenannten Orchideenfächer nicht durchsetzbar. In einer freiheitlichen, demokratischen und solidarischen Gesellschaft müssen Bildungseinrichtungen Orte der öffentlichen Meinungsbildung sein. Soziale Zugehörigkeit darf in diesem Zusammenhang keine Zugangsvoraussetzung sein. Notwendig sind die soziale Öffnung der Hochschulen und die Realisierung von mehr Chancengleichheit. Die Studentenwerke müssen in die Lage versetzt werden, kostengünstige Versorgungs- und Wohnraumangebote machen zu können (Kinderbetreuung, elterngerechtes studieren, arbeiten, forschen). Der Ausbau der öffentlichen Studienfinanzierung bleibt Dreh- und Angelpunkt der Kostenfreiheit. Das Bafög muss zu Gunsten eines steuerfinanzierten rückzahlungsfreien Zuschusses ausgebaut werden.

Der Blick über den forschenden, lehrenden und lernenden Tellerrand kann nicht gewagt werden, wenn individueller wie institutioneller Erfolg durch eine Asymmetrie zwischen Grundlagenforschung und Drittmittelforschung derart verschoben wird, dass letztere überwiegt.

Die Nutzung beruflicher Grundqualifikationen als Zugangsberechtigung für Hochschulstudien und wissenschaftliche Weiterbildung ist eine weitere Anforderung an eine soziale Öffnung der Universitäten und eine praxisorientierte Befruchtung von Forschung und Lehre. Gelingen wird dies, wenn ausreichend Gelder für diese Form des „lebenslangen Lernens“ bereit gestellt werden.

Spezifische Interessen, die die NGG an die Hochschulentwicklung hat, wie beispielsweise eine Beachtung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Nahrungsmittelindustrie oder eine akademische Qualifizierung für Beschäftigte im Hotel- und Gaststättengewerbe, halten wir für dringend geboten.

Im Gesamtinteresse einer demokratischen und sozialen Hochschule liegt ein verändertes Verhältnis von Gesellschaft und Universität, welches den akademischen Raum weder als Elfenbeinturm einer „l’art pour l’art“ noch als reine Output-Organisation sieht, die Lernende wissenschaftlich ausbildet. Vielmehr sollte das Verhältnis von beiden ein wechselseitiges sein. Stetiger Praxisbezug, hergestellt über berufsbegleitend Studierende oder stetige Netzwerke mit Gewerkschaftern, ermöglicht eine Richtungsänderung.

Die Forderung nach sogenannter „Hochschulautonomie“, die die Universitäten vom Staat „befreit“, aber gleichzeitig Lehrende und Lernende in Abhängigkeit von Drittmittelförderung bringt, wird unseren Vorstellungen nicht gerecht. Der Blick über den forschenden, lehrenden und lernenden Tellerrand kann nicht gewagt werden, wenn individueller wie institutioneller Erfolg durch eine Asymmetrie zwischen Grundlagenforschung und Drittmittelforschung derart verschoben wird, dass letztere überwiegt. Prekarisierung (W3 Professur, Mittelbau), Unsicherheit und mangelnde Planbarkeit von Forschungsprojekten auf der Seite der Lehrenden werden so quasi von oben durch eine Beschränkung auf den jeweiligen Projektrahmen bis zum einzelnen Studierenden sichtbar.

Ein Austausch mit Praktikern, etwa aus Gewerkschaften, ermöglicht, Auswirkungen der Forschung, den politischen Gestaltungsanspruch und Barrieren zu erkennen. Gleichzeitig könnten spezifische Perspektiven zu Themen wie Europäisierung oder Transnationalisierung, die oft in Gewerkschaften nicht umfassend bearbeitet werden können, an die Universitäten übergeben werden.

Um den zivilgesellschaftlichen Einfluss auszuweiten, sollte demokratische Kontrolle durch Gewerkschaften, NGO’s und Parteien in einem externen Gremium möglich sein.

Kritisches Denken kann nicht autoritär vermittelt werden. Flachere Hierarchien und drittelparitätische Mitbestimmung für alle Hochschulangehörigen würden Entscheidungen transparenter machen. Eine landesweite Studierendenvertretung ist finanziell angemessen auszustatten, um die Interessen der Studierenden gegenüber der Landesregierung und dem Parlament vertreten zu können.


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