Deutscher Gewerkschaftsbund

03.03.2011

Reform der Pflegeversicherung: Drei Fragen an Annelie Buntenbach

Der DGB wehrt sich gegen Reformpläne der Bundesregierung für die Pflegeversicherung. Denn Schwarz-Gelb will eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung gegen die zunehmenden Finanzierungsengpässe einführen. DGB-Vorstand Buntenbach erklärt, wie die solidarische Pflegeversicherung gestärkt werden muss.

Frage: Warum ist die Pflegeversicherung wichtig?

Annelie Buntenbach: Mit der Einführung der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) im Jahr 1995 wurde ein eigenständiges System zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit als fünfte Säule der sozialen Sicherung etabliert. Seitdem konnte diese Versicherung die Situation von Menschen, die wegen der Schwere der Pflegebedürftigkeit auf Unterstützung angewiesen sind, maßgeblich verbessern. Sie erleichtert die Übernahme von Pflegeaufgaben durch Familienangehörige und ist damit auch familienpolitisch von hohem Wert. Außerdem hat die Pflegeversicherung die Abhängigkeit pflegebedürftiger Menschen von der Sozialhilfe verringert und so zu einer Entlastung der kommunalen Haushalte geführt.

Nicht zu vergessen ist, dass die Pflegeversicherung auch zum Ausbau der Pflege-Infrastruktur beigetragen hat. Hunderttausende qualifizierte Arbeitsplätze im Pflegebereich wurden so geschaffen. Die Pflegeversicherung steht damit für sozialen Fortschritt im deutschen Sozialstaat, den es zu wahren gilt. Denn mit der steigenden Zahl älter werdender Menschen nimmt auch der Pflegebedarf deutlich zu. Im Jahr 2030 wird es nach den Prognosen des Statistischen Bundesamtes von Ende 2010 etwa 3,4 Millionen pflegebedürftige Menschen geben, das entspräche einem Zuwachs im Vergleich zu heute von circa einer Million Menschen.

Der DGB fordert eine solidarische Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Diese umfasst folgende Bereiche:

  • Absicherung einer qualitativ hochwertigen pflegerischen Versorgung unter Berücksichtigung kommender Bedarfssteigerungen im Rahmen der Sozialen Pflegeversicherung;
  • Bessere Rahmenbedingungen für die in der Pflege beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer;
  • Absicherung des Pflegerisikos durch einkommensabhängige und paritätisch finanzierte Beiträge;
  • Erweiterung der solidarischen Finanzierungsgrundlagen durch eine Weiterentwicklung der Sozialen Pflegeversicherung zu einer Bürgerversicherung Pflege;
  • Schaffung eines aussagefähigen „Pflege-TÜV’s“;
  • Verbesserung der Vereinbarkeit von Angehörigen-Pflege und Erwerbstätigkeit.

Momentan ist oft davon die Rede, dass die Pflegeversicherung in der Krise sei. Inwiefern besteht Reformbedarf?

Annelie Buntenbach: Die Ausgaben der Pflegeversicherung steigen, vor allem wegen der höheren Fallzahlen. Dazu kommt die Kostensteigerung für professionelle Pflege in den vergangenen Jahren. Es zeichnet sich ab, dass künftige Mehrbelastungen mit dem jetzigen Beitragssatz nicht mehr gedeckt werden können. Außerdem ist die Finanzierung durch eine strukturelle Einnahmeschwäche gekennzeichnet. Der Niedriglohnsektor ist in den vergangenen Jahren drastisch gewachsen, mehr als jede/r Fünfte ist in diesem Bereich beschäftigt. Immer mehr Erwerbstätige sind nicht oder nicht umfassend sozialrechtlich abgesichert. Dies betrifft insbesondere Soloselbstständige und Minijobber. Auch die jahrelang stagnierende Lohnentwicklung sowie Nullrunden in der Rentenversicherung schwächen die Finanzierungsbasis.

Der prozentual vom Einkommen berechnete Versicherungssatz fällt so immer niedriger aus. Dazu kommen Änderungen der Gesundheitsstruktur. Neben somatischen Erkrankungen im Alter nehmen vor allem psychosoziale Beeinträchtigungen zu, etwa Demenzerkrankungen. Dadurch entsteht ein großer Aufwand an medizinischer und pflegerischer Versorgung. Ein steigender Anteil an qualifizierten Arbeitskräften in der Altenpflege ist zur Deckung des Pflegebedarfs dringend notwendig.

Die Bundesregierung plant eine Reform hin zu einer kapitalgedeckten Pflegeversicherung. Wie ist dies zu beurteilen, was fordert der DGB?

Um den steigenden Pflegebedarf decken zu können, ist eine mittel- und langfristige Stärkung und Ausweitung der solidarischen Finanzierungsgrundlagen notwendig. Der Vorschlag der Bundesregierung würde eine weitere Belastung der Versicherten, aber auch der Kommunen, bedeuten. Dadurch würde die Soziale Pflegeversicherung schrittweise entwertet.

Der DGB setzt sich für eine solidarische Weiterentwicklung der Sozialen Pflegeversicherung ein. Die Qualität und die Leistungen in der Pflege müssen nachhaltig, also dauerhaft und verlässlich verbessert werden. Wir fordern eine solidarische Finanzierung, die lohnbezogenen Beiträge sollten zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern entrichtet werden. Jede und Jeder zahlt gemäß seiner Leistungsfähigkeit, wobei allen Beitragszahlern die volle Leistungspalette der pflegerisch notwendigen Versorgung zur Verfügung steht. Damit wird im System der Pflegeversicherung ein leistungsfähiger und unbürokratischer Solidarausgleich erreicht.


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