Deutscher Gewerkschaftsbund

29.10.2012

Hochschulfinanzierung: Studiengebühren vor dem Ende

Bayern denkt über ein Ende der Studiengebühren nach. Damit wäre der Freistaat das bereits sechste von sieben Ländern, die wieder auf die Campus-Maut verzichten. Richtig so, denn Gebühren sind ohnehin das falsche Mittel für eine gute Hochschulfinanzierung, schreibt DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl. Die Hochschulen müssten sich wieder öffnen für Studierende aus allen Schichten.

Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen: Durch den demographischen Wandel sinkt die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter - um circa 1,8 Millionen Menschen bis zum Jahr 2020 schätzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Zudem steigen die Anforderungen an die Beschäftigten, weil sich Industrien und Dienstleistungen verändern und zunehmend mehr Wissen erfordern.

Fachkräfte-Potenzial liegt brach

Will unsere Gesellschaft diesem Wandel gerecht werden, müssen wir mehr Menschen ein Studium ermöglichen. Denn noch immer wird ein großes Fachkräftepotenzial nicht genutzt: Nur 24 von 100 Kindern aus armen oder aus nicht-akademischen Familien gehen an die Hochschule. Dagegen studieren 71 von 100 Kindern aus Familien mit akademischem Hindergrund, so lautet das Ergebnis der 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW). Die soziale Öffnung der Hochschulen ist folglich nicht „nur“ eine Frage der Chancengleichheit, sie ist auch schlicht ein Gebot ökonomischer Vernunft. Hier spielt das gesamte Spektrum der Studienfinanzierung – und damit auch Studiengebühren – eine wichtige Rolle.

Grundsätzlich gilt für den DGB: Bildung ist ein Menschenrecht. Deshalb stehen die Gewerkschaften auch zum Grundsatz der Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums. Dieser ist im internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der UN verankert.

Angst vor Schulden hält vom Studium ab

Gerade Menschen aus einkommensschwachen Familien entscheiden sich oft gegen ein Hochschulstudium. Denn sie fürchten, dass das Geld für das Leben auf dem Campus nicht ausreicht. Und sie scheuen die durch das Studium verursachten hohen Schulden nach ihrem Abschluss. Ein Beleg: 1983 wandelte die Bundesregierung das BAföG von einem reinen Zuschuss in ein Volldarlehen um. In der Folge sank die Zahl der Studierenden insbesondere aus einkommensschwachen Familien dramatisch. Die Regierung musste gegensteuern und wieder einen Zuschussanteil einführen.

Die finanziellen Motive für einen Studienverzicht sind nach der jüngsten Erhebung des Hochschulinformations-Systems (HIS) oft stärker ausgeprägt als sämtliche andere Gründe. So sagten 76 Prozent der Studienberechtigten eines Jahrgangs, die sich gegen ein Studium entscheiden, die erwarteten Kosten hätten eine zentrale Rolle bei ihrer Entscheidung gespielt. Immerhin 71 Prozent der Befragten gaben an, dass sie keine Schulden aufgrund von Studienkrediten oder des BAföG-Darlehensanteils aufnehmen wollen. Dass für sie Studiengebühren ein weiteres Motiv waren, auf ein Studium verzichtet zu haben, erklärten immerhin 69 Prozent.

Immer weniger Kinder von Nicht-AkademikerInnen studieren

Allein im Abschlussjahr 2008 verzichteten laut HIS-Befragung bis zu 26.000 der SchulabgängerInnen aufgrund allgemeiner Studiengebühren auf ein Studium. Betroffen sind besonders Frauen, junge Menschen aus nicht-akademischen Elternhäusern und AbgängerInnen aus beruflichen Schulen. So sank laut Zwischenbericht des Studiengebühren-Monitoring-Beirats in Baden-Württemberg die Studierendenquote zwischen den Jahren 2004 und 2006. Dabei blieb zwar die Quote bei den Akademiker-Kinder stabil, bei Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien sank sie hingegen von 62 auf 50 Prozent.

Stipendienquote bleibt niedrig

Als im Jahr 2005 das Verbot von Studiengebühren aufgehoben wurde, versprach die Politik eine „soziale Abfederung“ der Gebühren durch Stipendien der Wirtschaft. Doch dieses Versprechen wurde nicht eingelöst. Im Gegenteil: Gerade das Deutschland-Stipendium läuft sehr schleppend an. Sollten 2011 mit rund 10.000 Stipendien ohnehin nur 0,45 Prozent der Studierenden gefördert werden, waren nach Auskunft der Bundesregierung gerade einmal 5.300 Stipendien vergeben worden. Mit der der Gebühren- und Stipendienkultur in angelsächsischen Ländern ist das noch immer nicht nicht vergleichbar: 2011 bekamen in Deutschland nur insgesamt 1,68 Prozent der Studierenden ein Stipendium.

Sollen tatsächlich mehr Studierende aus nicht-akademischen Elternhäusern gewonnen werden, müssen die Bundesländer auf Studiengebühren verzichten. Stattdessen muss dringend das BAföG ausgebaut werden. Laut 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks macht gerade die BAföG-Förderung bei Studierenden „sozial niedriger“ Herkunft mit 32 Prozent den größten Anteil der Studienfinanzierung aus. Wir brauchen daher ein starkes BAföG mit einem verlässlichen Inflationsausgleich und ohne Altersgrenze. Zudem muss der Darlehensanteil schrittweise gesenkt werden.

Weiterhin Finanzprobleme trotz Campus-Maut

Die Studiengebühren konnten zudem nicht – wie erhofft – die Finanzprobleme der Hochschulen lindern. Das zeigt der Gebührenkompass 2011 der Universität Hohenheim . Seit fünf Jahren nimmt dieser Kompass die Lage in den Gebührenländern unter die Lupe. Das Ergebnis: Die Akzeptanz von Studiengebühren ist gesunken. Nicht haltbar ist auch die These, die Studienqualität verschlechtere sich nach Abschaffung der Gebühren. In Hessen und im Saarland, wo die Landesregierungen die Studiengebühren bereits abgeschafft haben, sagen 88 Prozent der Studierenden, die Lage habe sich seit dem Gebühren-Aus nicht verschlechtert.

So überrascht es wenig, dass fünf von ehemals sieben Bundesländern die Studiengebühren bereits abgeschafft haben. In Bayern wird es nun einen Volksentscheid zur Gebührenfrage geben. Selbst die CSU erwägt jetzt das Aus für die Campus-Maut. Damit sind die Studiengebühren bundesweit ein Auslaufmodell.

Wer den Hochschulen wirklich helfen will, muss die Finanzarchitektur des deutschen Bildungsföderalismus umbauen. Denn mit der Föderalismus-Reform hat sich die Lage der Hochschulen verschlechtert. Ausgerechnet dem potentesten Geldgeber wurden die Taschen zugenäht – dem Bund. Zudem entpuppt sich die Schuldenbremse im Grundgesetz in zahlreichen Bundesländern als Bildungsbremse. Viele Landesregierungen setzen bereits den Rotstift bei den Etats der Hochschulen an.

Gelder für Hochschulbau nicht mehr zweckgebunden

Bereits im Jahr 2013 läuft die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau aus. Schon heute sind die Bundesländer nicht mehr verpflichtet jeden Euro gegenzufinanzieren, den der Bund in Hochschulbauten investiert. Mehr noch: 698 Millionen Euro gibt der Bund den Ländern pro Jahr für den Hochschulbau. Ab 2013 muss dieses Geld aber nicht mehr zweckgebunden in die Hochschulen fließen. Dann können die Finanzminister diese Mittel ungestraft zum Stopfen ihrer Haushaltslöcher nutzen.

Es ist der falsche Weg, dass der Bund zwar konkrete Vorhaben an den Hochschulen fördert, sich aber an ihrer Grundfinanzierung nicht beteiligen darf. Dass wir mit dem Bologna-Prozess einen europäischen Hochschulraum aufbauen, die Föderalismus-Reform jedoch die Atomisierung unseres Hochschulwesens vorantreibt, ist eine Ironie der Geschichte. Deshalb ist es höchste Zeit, den Bund als Geldgeber der Hochschulen dauerhaft mit ins Boot zu holen. Der Artikel 91 b des Grundgesetzes ist entsprechend zu ändern.

Sozial gerechtes Steuersystem für zukunftsfeste Bildung

Bund und Länder müssen ihre Einnahmen stärken, um dauerhaft ein zukunftsfestes Bildungs- und Hochschulsystem zu finanzieren. Haushaltskonsolidierung und eine gute Ausstattung unserer Kindergärten, Schulen und Hochschulen lassen sich in Einklang bringen, wenn auch große Erbschaften und Vermögen sowie Finanztransaktionen zur Finanzierung dieser Zukunftsaufgaben angemessen besteuert werden. Wer nach dem Studium gut verdient, kann durch ein sozial gerechtes Steuersystem seinen Beitrag zu einem guten, gebührenfreien und öffentlichen Bildungssystem leisten.

Matthias Anbuhl, Leiter der Abteilung Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim DGB-Bundesvorstand


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