Deutscher Gewerkschaftsbund

21.01.2016
Beamtenmagazin 01/2016

Bessere Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst

Gesunde Arbeit schaffen - Belastungen auf den Grund gehen

Im öffentlichen Dienst von Bund und Ländern ist der Krankenstand deutlich gestiegen. Die Gründe dafür verrät keine Fehlzeitenstatistik. Anhaltspunkte und verlässliche Daten liefert jedoch der DGB-Index gute Arbeit mit der Auswertung zur Arbeitshetze. Wie man den DGB-Index und andere Instrumente in Dienststellen einsetzt, zeigt eine neue Handlungsempfehlung des Bundesinnenministeriums.

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DGB/Schilk(BestSabel)

Der DGB-Index Gute Arbeit zeigt: Der öffentliche Dienst steht bei der Arbeitsbelastung an der Spitze: 39 Prozent der Beschäftigten leidet bei der Arbeit sehr häufig unter Zeit- oder Termindruck durch zu viele gleichzeitig zu bearbeitende Tätigkeiten.

Erstmals seit 2006 sind die krankheitsbedingten Abwesenheitszeiten der Bundesbeschäftigten 2014 leicht zurückgegangen. Das belegt der jüngst vom Bundesinnenministerium vorgelegte Gesundheitsförderungsbericht 2014. Danach waren die Beschäftigen der unmittelbaren Bundesverwaltung 2014 im Durchschnitt an 19,25 Arbeitstagen krank oder in Rehabilitationsmaßnahmen. Dies ist ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr um einen halben Tag. Auf die gesamten 251 Arbeitstage im Jahr 2014 gerechnet beträgt die Quote damit 7,67 Prozent. Doch es besteht kein Grund für eine Entwarnung. Nach Jahren massiver Anstiege des Krankenstandes pendelt sich die Abwesenheitsquote nun auf dem hohen Niveau von 2012 ein.

Statistik ist das eine – Beschäftigte wissen mehr!
Titel

Das Magazin für Beamtinnen und Beamte 01/2016 zum Schwerpunkt Arbeitsbelastung. DGB/Beamtenmagazin

Der Bericht betont selbst, dass die Abwesenheitsquote für sich allein betrachtet nur einen geringen Aussagewert hat. Dazu heißt es im Bericht: „Neben der rein quantitativen Erhebung der Abwesenheitszeiten ist eine qualitative Bewertung von arbeitsbedingten Einflüssen auf die Gesundheit, wie auch politischer und sozialer Faktoren notwendig. Dies ist nur ergänzend insbesondere im Dialog mit den Beschäftigten möglich, z.B. durch Gefährdungs- oder Arbeitssituationsanalysen, Mitarbeiterbefragungen sowie Gesundheitszirkel.“ Seit Jahren hat sich der DGB-Index Gute Arbeit als Instrument für solche Befragungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etabliert. Er kann auch in einzelnen Behörden angewendet werden und ermöglicht dank jährlicher bundesweiter Repräsentativerhebung einen Vergleich mit den Beschäftigungsbedingungen anderer Behörden und Betriebe. Auch hier hat der DGB jüngst neue Zahlen vorgelegt. Sie beleuchten die Ursachen der Arbeitshetze, die in vielen Fällen zu gesundheitlichen Beschwerden führt. Der öffentliche Dienst nimmt mitunter unrühmliche Spitzenpositionen ein. So ist der Anteil derer, die bei der Arbeit sehr häufig Zeit oder Termindruck durch zu viele gleichzeitig zu bearbeitende Vorgänge verspüren, in der öffentlichen Verwaltung mit 39 Prozent am höchsten. Auch im Erziehungs- und Unterrichtsbereich sind die Belastungen hier enorm. Dort fallen außerdem Erholungspausen so oft der Mehrarbeit zum Opfer wie sonst nirgends.

 

Grafik 1: Pausenlos Arbeiten, Arbeiten mit verkürzten Pausen „Wie häufig kommt es vor, dass Sie Erholungspausen abkürzen oder ganz ausfallen lassen?“ (in Prozent)

Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2015

Gemüsetag, Yoga, Rückenschule – bloß nicht kopflos loslaufen!

Doch bevor sich eine Behörde daran macht, die Arbeit gesünder zu gestalten, muss sie erst einmal bei sich selbst Bilanz ziehen. Wodurch werden die Beschäftigten am meisten belastet? Welche Faktoren wirken sich positiv auf die Gesundheit aus und sollten in Zukunft gestärkt werden? Ohne solche Analyse laufen viele Maßnahmen ins Leere. Deshalb hat der Ressortarbeitskreis Gesundheitsmanagement aller Ministerien des Bundes das Schwerpunktpapier „Analyse im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM)“ beschlossen. Bei der Erarbeitung unter Federführung des Bundesinnenministeriums und der Unfallversicherung Bund-Bahn wirkte der DGB mit zahlreichen eigenen Beiträgen mit und konnte so mitbestimmte, partizipative und gendergerechte Standards durchsetzen. In dem Schwerpunktpapier erhalten Einrichtungen des Bundes nach dem Baukastenprinzip eine Handlungsanleitung zu guter Ursachensuche für gesundheitliche Belastungen. So soll vermieden werden, dass Behörden weiterhin planlos verhaltenspräventive Maßnahmen wie Yoga-Kurse anbieten und dabei die krankmachenden Verhältnisse am Arbeitsplatz aus dem Blick lassen. Solche und ähnliche Fehler hat der Bundesrechnungshof kritisiert. Seit 2008 wirft er einen scharfen Blick auf das Gesundheitsmanagement der Bundesverwaltung und hat mangelndes systematisches und analytisches Vorgehen deutlich angeprangert. Wer in seiner Dienststelle ein besseres Gesundheitsmanagement einfordern will, tut gut daran, sich auf den Bundesrechnungshof und das BMI-Papier zu beziehen. Denn wer die Standards der Bundesverwaltung in seiner Behörde einhält, der wird wohl bei anstehenden Rechnungshofprüfungen auf der sicheren Seite sein. Diese Argumente dürften auch in Ländern und Kommunen verfangen.

 
Grafik 2. Arbeitshetze durch Multitasking „Wie häufig kommt es bei Ihnen zu Zeit- oder Termindruck durch zu viele gleichzeitig zu bearbeitende Vorgänge oder Projekte?“ (in Prozent)

Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2015

Keine Angst vor Fehlern – machen!

Gleichwohl ist Gesundheitsmanagement kein Thema, bei dem man Angst haben sollte, etwas falsch zu machen. Wer die Handlungsempfehlungen des BMI liest, dem wird klar: „Es gibt nicht das Verfahren eines betrieblichen Gesundheitsmanagements und die standardisierte Analysephase.“ Entscheidend sind immer die örtlichen Gegebenheiten. Dementsprechend enthält das Schwerpunktpapier kurze Steckbriefe zu verschiedenen Instrumenten, die Leserinnen und Lesern einen schnellen Überblick bieten, was für ihre Behörde passen könnte. Wichtig dabei ist, sich nicht nur auf einen Blickwinkel zu beschränken. Oftmals wird in der Praxis mit Fehlzeitenstatistiken hantiert, weil sie ohnehin schon vorliegen. Viel wichtiger ist, die Einschätzungen der Beschäftigten selbst einzubeziehen. Das BMI propagiert denn auch partizipative Instrumente wie Beschäftigtenbefragungen oder Gesundheitszirkel.

Loblied der Mitbestimmung – in der Praxis einfordern!

Da ist es nur konsequent, dass die Bundesministerien auch für ein klares Bekenntnis zur Mitbestimmung in dem Schwerpunktpapier „BGM-Analyse“ die Hände gehoben haben: „Um erfolgreiches Gesundheitsmanagement zu betreiben, ist es unerlässlich, bereits bei der Zieldefinition die Interessenvertretungen umfassend zu beteiligen, also den Personalrat, die Schwerbehindertenvertretung und die Gleichstellungsbeauftragte.“ Denn auch nach Ansicht der Ministerien sind eine frühe Einbindung und das Mitwirken der Personalvertretung unabdingbar für ein gutes Gelingen des Gesundheitsmanagements. Um Fragen der Gestaltung des BGM und der Mitbestimmung transparent und verlässlich zu fixieren, empfiehlt das BMI-Papier daher den Abschluss von Rahmendienstvereinbarungen und Dienstvereinbarungen. Die Bundesministerien bekennen sich dazu, dass die Mitsprache der Interessenvertretungen zentrale Erfolgsfaktoren des Gesundheitsmanagements sichert. So verfügen Personalrat, Gleichstellungsbeauftragte und Schwerbehindertenvertretung als vertrauliche Ansprechpartner der Beschäftigten über einen großen Wissens-und Erfahrungsschatz. Sie haben wertvolles Hintergrundwissen und können in den Behörden vermitteln. Wenn sie das Gesundheitsmanagement vorantreiben, schöpfen auch die Beschäftigten Vertrauen in die Maßnahmen der Dienststelle. Unklar bleibt, warum nach derart breiter Einsicht in den Ministerien nicht auch eine rechtliche Stärkung der Mitbestimmung angepackt wird.

 Stereotype machen krank – Frauen und Männer!

Auch im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit propagiert das Papier wegweisende Standards. Aus allgemeinen Studien ist bekannt, dass Frauen in Teilzeit unter deutlich mehr Stress leiden. Aber auch Stereotype führen zu Stress und Krankheit. In der männlich geprägten Armee und Polizei ist es ein tabu, über Angst zu reden. Das stresst beide Geschlechter. In den weiblich geprägten Sozialberufen ist es ein Stressfaktor vor allem für Frauen, ständig freundlich und mitfühlend sein zu müssen – auch wenn ihnen in der Situation nicht danach sein sollte. Hinsichtlich geschlechtsspezifischer Belastungen greift die Bundesverwaltung damit neuere Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Hans-Böckler-Stiftung und das darin entwickelte Instrument des „Gender-Perspektivwechsels“ auf. Die Bundesverwaltung bekennt sich damit zu den Kriterien, die der 20. Ordentliche Bundeskongress des DGB 2014 in seinem Beschluss „Geschlechterperspektive für einen wirksameren Arbeits-und Gesundheitsschutz für Männer und Frauen“ formuliert hat.

DGB-Index in den Behörden – jetzt mit amtlichem Siegel!

Außerdem zeigt das Schwerpunktpapier, wie der DGB-Index Gute Arbeit als Analyseinstrument im behördlichen Gesundheitsmanagement eingesetzt werden kann. Dazu wird unter anderem ein von ver.di initiiertes Projekt in der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) ausführlich vorgestellt. „Wir freuen uns sehr, dass das Ministerium von Thomas de Maizière jetzt wegweisende Standards gesetzt hat, um die Ursachen des enormen Krankenstandes zu untersuchen“, erklärte Dr. Karsten Schneider, Leiter der Abteilung Öffentlicher Dienst und Beamtenpolitik beim DGB-Bundesvorstand anlässlich der Veröffentlichung, „nun müssen aus den Papieren auch Taten folgen. Konkret heißt das: Dort wo Überlastung Ursache hoher Krankenstände ist, müssen auch Einstellungen her.“ Das Schwerpunktpapier „Analyse im BGM“ konkretisiert die unter Beteiligung des DGB im Jahr 2014 herausgegebenen „Eckpunkte für die Weiterentwicklung des Gesundheitsmanagements in der Bundesverwaltung“. Aktuell ist das nächste Schwerpunktpapier zu Maßnahmen im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements im Entstehen. Anregungen und gute Beispiele aus Dienststellen, greift die Abteilung Öffentlicher Dienst und Beamtenpolitik des DGB gerne auf.


Das Magazin für Beamtinnen und Beamte probelesen und bestellen: www.dgb.de/beamtenmagazin


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Thema: Gesundheit im öffentlichen Dienst

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