Deutscher Gewerkschaftsbund

01.05.2014

1. Mai 2014: Europäische Stimmen zu 10 Jahren EU-Erweiterung

Vor 10 Jahren wurde die Europäische Union massiv erweitert. Acht mittel- und osteuropäische Staaten sowie Malta und Zypern traten der EU zum 1. Mai 2004 bei. Anlass für eine Zwischenbilanz. Wir haben fünf europäische GewerkschafterInnen gefragt, was die EU-Mitgliedschaft für ihre Länder bedeutet.

Positiv ist zweifellos, dass die Europäer bei der Überwindung der Teilung ihres Kontinents einen guten Schritt vorangekommen sind. Aber es gibt noch viel ist noch zu tun - damit Europa in Vielfalt wirklich geeint ist, sich die Lebensverhältnisse auf dem Wege des Fortschritts angleichen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ganz Europa gut leben und arbeiten können. Deshalb brauchen wir dringend einen Kurswechsel in Europa, der keine weitere zehn Jahre Zeit dauern darf. Wir müssen bessere Regeln für faire Mobilität festschreiben und den Grundrechteschutz für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger sicherstellen.

Wir haben  Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus fünf Beitrittsländern gefragt, wie sie die Situation nach 10 Jahren Beitritt jetzt bewerten.

Jan Guz, Präsident der Ogólnopolskie Porozumienie Związków Zawodowych (OPZZ), Gesamtpolnische Vereinigung der Gewerkschaften, Polen: 

Vor 10 Jahren ist Polen der Europäischen Union beigetreten. Der Traum vieler Generationen über eine friedliche Integration Europas, die historische Teilungen überwindet, ist somit in Erfüllung gegangen. Die polnischen Arbeitnehmer/innen und Gewerkschafter/innen haben die Integration von Anfang an unterstützt und sahen in ihr die Chance auf die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen. In den letzten zehn Jahren waren wir Zeugen vieler, hauptsächlich infrastruktureller Veränderungen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit hat vielen Polinnen und Polen erlaubt, auf dem gemeinsamen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden, leider für viele aber unterhalb ihrer Qualifikationen und mit schwer einschätzbaren sozialen Kosten in Polen.

Die Integration ist eine Herausforderung für die Gewerkschaften. Das Europäische Sozialmodell, das für uns der grundlegende Anknüpfungspunkt ist, darf nicht angezweifelt werden. Wenn wir uns dem Sozial- und Lohndumping effektiv widersetzen wollen, müssen wir in einem größeren Ausmaß darauf hinarbeiten, dass europäische Mindeststandards geschaffen werden. In diesem Sinne brauchen wir eine ernste Debatte über den europäischen Mindestlohn.

Wir können auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union stolz sein, insbesondere auf die in ihr erfassten Sozialrechte. Das positive Bild der polnischen Integration wird jedoch dadurch verdeckt, dass wir der sog. britischen Exklusion angeschlossen wurden, was bedeutet, dass die polnischen Bürger/innen die Integration in der sozialen Sphäre nicht vollends genießen können. Ich hoffe, dass sich dies bald ändern wird.

Josef Středula, Präsident der Českomoravská konfederace odborových svazů, (ČMKOS, Böhmisch-Mährische Gewerkschaftskonföderation), Tschechien:

Es ist unglaublich, wie in solch einer relativ kurzen Zeit so viele positive Veränderungen in unserem Land erreicht wurden. Wären da nicht die ständigen Mühen, die wir mit Euroskeptikern in unseren früheren Regierungen hatten, hätten wir vielleicht mehr und eine stärkere Integration in den Kern der Europäischen Union erreicht.

Was wir sehr hochschätzen, sind unsere guten nachbarschaftlichen Beziehungen mit Deutschland und die exzellenten Kontakte zum Deutschen Gewerkschaftsbund, die ein unvergänglicher Faktor waren, der uns in den letzten 25 Jahren, besonders im letzten Jahrzehnt, in unseren Anstrengungen, das Europäische Sozialmodell zu erhalten, verbunden hat.

Ariadna Abeltina, Koordinatorin für Außenbeziehungen bei Latvijas Brīvo arodbiedrību savienība (LBAS, Freier Gewerkschaftsbund Lettland), Lettland: 

Nach zehn Jahren in der Europäischen Union vertrauen die Bürger Lettlands der EU mehr als dem nationalen Parlament.

Zwar waren wir mit Verbitterung, Fehlern (LAVAL-Fall) und Verlusten (Krise, Migration, Arbeitslosigkeit, Armut, Verringerung der Mitgliedszahlen) konfrontiert, aber wir können nicht einfach die EU für alles verantwortlich machen, was uns passiert… Einheit, Unterstützung, Demokratie, Chancengleichheit – Werte der EU, die entweder als gegeben angesehen oder sehr oft untergraben werden – trotzdem haben wir die Möglichkeit, uns auf sie zu beziehen.

Ich glaube an die Zukunft Europas, trotz der vielen Schwierigkeiten, denen die EU sich zurzeit gegenüber sieht. Viele Jahre lebte ich in einer anderen Union, deshalb ist die jetzige Union wie Honigbrot für mich und viele Letten.

Aldona Jašinskienė, Präsidentin Solidarumas (Eeiner der drei Hauptgewerkschaftsbünde, entstanden aus der litauischen Unabhängigkeitsbewegung Sajudis), Litauen:

Vor 10 Jahren ist Litauen der Europäischen Gemeinschaft beigetreten. Die Gewerkschaften haben diese Beitrittsidee unterstützt, weil uns immer die Demokratie, die Möglichkeit frei zu sprechen und das Europäische Soziale Modell gefallen haben.

Heute sehen wir, dass nicht alle unsere Hoffnungen erfüllt sind. Ein Teil von uns lebt in Angst, ein Teil von uns kann nicht Gewerkschaften angehören, ein Teil von uns hat keine Arbeit oder findet Arbeit in anderen Ländern.

Es ist schade, das zwischen den Menschen eine Konkurrenz existiert, eine Konkurrenz, die auf der Liberalisierung der Arbeitsverhältnisse aufgebaut ist.

Wir hoffen, dass die Europäische Gemeinschaft weitere Fortschriften erlässt, damit minimale soziale Garantien vereinbart werden.

Károly György, Internationaler Sekretär beim Magyar Szakszervezetek Országos Szövetsége (MSZOSZ, Nationaler Ungarischer Gewerkschaftsbund), Ungarn

Vor 10 Jahren stimmten 84 Prozent der ungarischen Wähler für einen Beitritt in die EU. Die Erwartungen waren groß: Viele hofften, dass ein Wunder passiert und wir bald die Vorzüge des „europäischen Lebensstandards“ und der „europäischen Löhne“ genießen würden. Gewerkschaften feierten das europäische Sozialmodell, das europäische Dialogverständnis, die Partnerschaft – und die Übernahme europäischer Werte.

Wir sind dankbar für alle, die uns dabei unterstützt haben, ein – damals – neues Mitglied der Familie zu werden und die Unteilbarkeit der vier Freiheiten betont haben. Heutzutage betonen wir mehr und mehr die Notwendigkeit, dass Rechte und Pflichten unteilbar sind – nicht nur die europäischen Mittel, auch die europäischen demokratischen Werte müssen auf nationaler Ebene angewandt werden. Soziale Unterschiede und Armut nehmen zu. Jedoch müssen wir eines klarstellen: Diese traurigen Fakten müssen den nationalen Entscheidungen und Politiken angerechnet werden – oder dem Fehlen derselben.

MSZOSZ und andere Gewerkschaften haben konstant für einen bedeutungsvollen Dialog und Partnerschaft nach europäischem Geist auf nationalem und sektoralem Niveau plädiert, um Politik und Programme im Interesse der arbeitenden Männer und Frauen zu formen. Wir wollen zum Entstehen eines modernen, wettbewerbsfähigen, auf sozialen Werten basierenden Ungarn und der Europäischen Union beitragen. Die Erfahrungen und das Wissen der ersten zehn Jahre bestätigen unseren Glauben, dass gute und nachhaltige Lösungen und Errungenschaften nicht ohne die Beteiligung der Arbeitnehmer und Gewerkschaften funktionieren – weder in der EU, noch in Ungarn. Also: Es gibt genug zu tun, zusammen!


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