Deutscher Gewerkschaftsbund

30.03.2012
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Standpunkte zur Hochschule der Zukunft - Meyer-Lauber: Gute Arbeit für eine innovative Wissenschaft - Perspektiven aus NRW

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Immer mehr Menschen studieren oder arbeiten in wissenschaftlichen Einrichtungen in NRW. Doch sind die Arbeitsbedingungen oft prekär. Andreas Meyer-Lauber, DGB-Vorsitzender NRW, fordert in seinem Standpunkt zum Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“, Beschäftigte und Studierende besser an Entscheidungsprozessen zu beteiligen.

Von Andreas Meyer-Lauber, DGB-Vorsitzender NRW

In Nordrhein-Westfalen haben wir in den vergangenen Jahrzehnten einen einzigartigen Wandel der Wirtschafts- und Sozialstruktur erlebt. Aus dem ehemaligen Kohlerevier ist ein modernes Dienstleistungs- und Produktionszentrum geworden. Knapp 70 Hochschulen und mehr als 50 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit ihren rund 530.000 Studierenden und gut 110.000 Beschäftigten beweisen, dass Wissen und Wissenschaft in NRW enorm an Bedeutung gewonnen haben. Kurzum: In Nordrhein-Westfalen hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte neben der starken und traditionsreichen Industrie eine starke Wissenslandschaft entwickelt.

Nordrhein-Westfalen in Zahlen


Es gibt 69 Hochschulen mit 113.267 Beschäftigten - davon:
60.814 wissenschaftlich-künstlerisches Personal
52.453 Verwaltungs-, techn. u. sonst. Personal

528.661 Studierende im Wintersemester 2010/11
Die Anzahl der StudienanfängerInnen steigt:
2005 - 81.000
2012 - 92.000
2013 - 111.000*
2014 - 105.000*
* Prognosen 

Studierende Mitglieder in NRW-Gewerkschaften
2008      6.319
2009      6.170
2010      6.470
2011      7.150

Entwicklung der Erwerbstätigkeit mit Hochschulabschluss

NRW

Erwerbstätige

Jahr

Insgesamt

mit FH- oder Uni-Abschluss

In Prozent

2009

8.047.000

1.455.000

18%

2003

7.515.000

1.119.000

15%

Für eine gute wirtschaftliche Zukunft ist es unbedingt notwendig, diesen Weg weiter zu gehen und NRW als Wissenschaftsstandort zu fördern. Denn ohne eine starke Wissenschaft sind die zentralen Herausforderungen unserer Zeit nicht zu meistern. Nach dem Strukturwandel steht nun die ökologische Wende in der Industrie und der Energieerzeugung an. Dieser Umbau ist nicht nur aus Klima- und Umweltschutzgründen unausweichlich. Er bietet die große Chance, die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes aufrecht zu erhalten und gute, qualifizierte Arbeitsplätze entstehen zu lassen. In diesem Transformationsprozess sind wir auf technische und soziale Innovationen der Wissenschaft unbedingt angewiesen.

Schlechte Arbeitsbedingungen an Universitäten

Dabei liegt auf der Hand: Gute Wissenschaft kann nur unter guten Arbeitsbedingungen entstehen. Leider ist gute Arbeit an den meisten Hochschulen ein Fremdwort. Acht von zehn Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb sind prekär beschäftigt, der Mittelbau lebt von Befristungen, die zunehmend auch im Bereich der Beschäftigten in Verwaltung und Technik eingeführt werden. Hochschulen gehören zu den großen Minijob-Arbeitgebern in NRW. Es wird höchste Zeit, den gewerkschaftlichen Blick zu erweitern und auch die Arbeitsbedingungen in Wissenschaft und Lehre stärker in den Fokus zu nehmen. Es ist aber auch Angelegenheit der Gewerkschaften, den Organisationsgrad der Beschäftigten selbst nachhaltig zu erhöhen.

Anlässlich der Novellierung des Hochschulgesetzes in Nordrhein-Westfalen hat der DGB NRW 30 konkrete Vorschläge vorgelegt, wie die Arbeit an Hochschulen effektiv verbessert werden kann. Unter anderem schlagen wir vor, in einem ersten Schritt herauszufinden, welche konkreten Veränderungen aus Sicht der Beschäftigten notwendig wären. Mit Hilfe des "Index Gute Arbeit" befragen wir direkt Beschäftigte an den Hochschulen. Klar ist aber schon jetzt: Beschäftigte in Lehre, Forschung, Verwaltung, Technik und Management brauchen sichere Arbeitsplätze, eine faire Entlohnung und berufliche Perspektiven. Vor dem Hintergrund der steigenden Studierendenzahlen muss zudem deutlich mehr Personal dauerhaft eingestellt werden.

Exzellenz-Hochschulen der falsche Weg

Aber auch die Ausstattung der Hochschulen muss dringend verbessert werden. In NRW können die Hochschulgebäude die großen Studierendenzahlen nicht mehr fassen. An manchen Orten weicht man in Kinos, Sporthallen, Volkshochschulen, Container und andere zwar kreative, aber unzureichende Behelfsräumlichkeiten aus. Viele Gebäude sind marode, einige Hochschulen haben sogar Netze an den Decken der Hörsäle gespannt, um die Studierenden und die Lehrenden vor herab fallenden Bauteilen zu schützen. Die technische Ausstattung ist oftmals seit Jahren überholt. Wer Innovationen fördern möchte, muss auch ein angemessenes Umfeld dafür schaffen. Es ist der falsche Weg, einige ausgewählte Exzellenz-Hochschulen besser auszustatten und viele andere leer ausgehen zu lassen.

Zu guten Beschäftigungsbedingungen gehört auch, dass die Betroffenen auf Augenhöhe mitbestimmen können – in universitären Gremien und über die Personalvertretungen. Auch auf Druck des DGB haben wir in NRW seit einigen Monaten eines der modernsten Landespersonalvertretungsgesetze (LPVG). Damit wurden auch die Personalräte an Hochschulen gestärkt.

Mehr Mitspracherecht für StudentInnen

Hochschulen brauchen eine demokratische innere Verfasstheit. Als gewähltes Organ muss der Senat zum Leitungsgremium der Hochschule werden. Zudem müssen wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Beschäftigte in Verwaltung und Technik, Professorinnen und Professoren sowie Studierende zu gleichen Teilen in den Senaten vertreten sein. Gleichzeitig sollen die Hochschulräte in beratende Gremien umgewandelt werden, in denen Arbeitgeber und Gewerkschaften gleichberechtigt vertreten sind.

Zur Erfüllung ihrer gesellschaftlichen Aufgaben brauchen Hochschulen eine demokratische Steuerung durch das Land. Der DGB NRW spricht sich dafür aus, dass Parlament und Regierung den strukturellen Rahmen für eine demokratische und soziale Hochschule setzen. Sie müssen für eine auskömmliche Finanzierung, eine umfassende Hochschulentwicklungsplanung, die Sicherung des freien Hochschulzugangs, die soziale Absicherung des Studiums, die gesetzliche Regelung der Aufgaben der Hochschulen, ihre Personalstruktur und die Arbeitsbedingungen sorgen.

HochschulabsolventInnen in die Gewerkschaften bringen

Die Gewerkschaften stehen vor der Herausforderung, sich auf die veränderte Arbeitswelt einzustellen. Die Bedeutung der akademischen Bildung wächst. Die Zahl der Studienanfänger steigt und ebenso die Zahl der Absolventen. Der Anteil der Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss wächst. Gewerkschaften müssen sich daher die Frage stellen, an welcher Stelle sie Akademiker wie begleiten wollen: Im Studium und in der Arbeit an der Hochschule, im Übergang vom Studium in das Arbeitsleben und als Hochschulabsolvent in Wirtschaft und Verwaltung. Akademiker zu motivieren, sich kollektiv für die eigenen Rechte einzusetzen und Gewerkschaftsmitglied zu werden, ist eine zunehmend wichtigere Aufgabe. Die Debatte über das Hochschulpolitische Programm des DGB eröffnet die Chance über diesen notwendigen Entwicklungsprozess, die Herausforderungen und Perspektiven in einen Diskurs zu treten und diese Aufgabe anzunehmen.


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