Deutscher Gewerkschaftsbund

02.08.2011

Pflegeversicherung: Arbeitgeber im Abseits

Als "unsachlich und realitätsfremd“ hat der DGB ein Positionspapier der Arbeitgebervereinigung BDA zur Pflege kritisiert. Die BDA ignoriert auf fahrlässige Weise den steigenden Pflegebedarf, 1so DGB-Vorstand Annelie Buntenbach. Mit dem Papier hatte die hatte die Arbeitgebervereinigung im April 2011 auf die Diskussion um die Finanzierung der Pflegeversicherung reagiert.

„Damit stellt sich die BDA völlig ins politische Abseits“, kommentierte Buntenbach die darin vertretenen Positionen. Die Arbeitgebervereinigung ignoriere auf fahrlässige Weise den bereits kurzfristig zu finanzierenden steigenden Pflegebedarf, so Buntenbach. Dass die Arbeitgeber eine kollektive Finanzierungsbasis für die mittel- und langfristigen Belastungen ablehnten, sei der durchsichtige Versuch, die Lasten bei den Versicherten abzuladen.

Die BDA behauptet …

es sei aktuell nicht erforderlich den Beitragssatz zu erhöhen. Dies verstoße gegen die Ankündigung der Koalition "mehr Netto vom Brutto". Zudem treibe es die Arbeitskosten der Betriebe in die Höhe, und trage dazu bei, "dass Missstände weiter erhalten bleiben".

Richtig ist …

Die Erhöhung des Beitragssatzes? Unausweichlich?

Selbst nach den Prognosen des Bundesgesundheitsministeriums müsste der Beitragssatz bereits 2014 – also in drei Jahren - von jetzt 1,95 Prozent auf 2,1 Prozent angehoben werden. In der Vorhersage, die die BDA zitiert, fehlt jedoch die notwendige Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Ohne weitere Reformen wäre sogar ein Beitrag von 2,5 notwendig. Werden Bestand- und Übergangsregelungen berücksichtigt, kämen  noch einmal 0,3 Prozentpunkte dazu. Der Beitragssatz müsste dann auf 2,8 Prozent angepasst werden.

Der DGB hat ein Reformkonzept vorgelegt. Demnach kann der notwendige Beitragsanstieg deutlich reduziert werden: auf maximal 2,5 Prozent bis zum Jahr 2030. Die Perspektive der BDA endet jedoch offensichtlich im Jahr 2013.

Auch der BDA-Hinweis, die Neufassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs könnte aufkommensneutral“ erfolgen, ist nicht einmal eine theoretische Möglichkeit: Es gibt in der Pflege keine Überversorgung. „Aufkommensneutral“ heißt deshalb in Wirklichkeit: Leistungskürzungen und schlechtere Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung.

Mehr Netto vom Brutto? Falscher Ansatz zur Pflegereform

Die Pflegereform ist denkbar ungeeignet um "mehr Netto vom Brutto" zu generieren. Die BDA fordert das "Ausgabenwachstum" zu begrenzen, das aber darf nicht Ziel der Reform sein. Es geht hier um eine menschenwürdige Pflege und deren solidarische Finanzierung. Deshalb müssen der nachweislich steigende Pflegebedarf und die Anforderung an die Pflegequalität finanziert werden:

Richtig teuer wird es für die Versicherten nur dann, wenn sich die Arbeitgeber der Mitverantwortung entziehen. "Mehr Netto vom Brutto" für die Versicherten ist hingegen möglich, wenn  die Gesetzliche Krankenversicherung solidarisch reformiert wird - wie vom DGB vorgeschlagen hat. So könnten die Versicherten um 0,45 Prozentpunkte entlastet werden, würde nur die paritätische Beitragsfinanzierung wieder eingeführt.

Belastungen der Betriebe durch eine Anhebung des Betragssatzes? Kaum spürbar.

Fakt ist: Der steigende Finanzbedarf in der Pflege kann nicht "wegreformiert" werden. Aber die zusätzlichen Belastungen halten sich in einem moderaten und für die Betriebe verkraftbaren Rahmen. Das gilt vor allem dann, wenn die Soziale Pflegeversicherung zur Bürgerversicherung weiter entwickelt wird.

Die Handwerkskammer Stuttgart hat ausgerechnet: Der Arbeitgeber-Anteil zur GKV für eine Handwerkerstunde von 54,15 Euro beträt nur. 98 Cent, der Pflegebeitrag ganze 13 Cent. Eine Erhöhung von 1,95 auf 2,5 Prozent entspräche ganzen drei Cent, eine kaum messbare Kostenbelastung.

Missstände in der Pflege? Gute Pflege ist nicht umsonst zu haben.

Aus wirtschaftlichen Gründen werden Pflegeeinrichtungen und -dienste zur "Minutenpflege" mit der Stoppuhr gezwungen. Das ist das Problem in der Pflege – nicht der fehlende Wettbewerb zwischen den Pflegekassen oder "unwirtschaftlich handelnden" Pflegedienstanbieter,n wie die BDA behauptet.

Wir brauchen bessere Qualitätskontrollen und mehr Transparenz in Sachen Pflegequalität – aber keinen Wettbewerb zwischen den Pflegekassen um den geringsten Beitragssatz.

Teilkapitaldeckung in der Pflege? Der falsche Weg.

Die drohende Teilkapitaldeckung in der Pflege führt weg vom paritätisch finanzierten Erfolgsmodell der Sozialen Pflegeversicherung (SPV). Der Ruf nach Aufbau eines privat zu finanzierenden Kapitalstocks bedeutet, die Finanzierung der SVP einseitig zu verlagern – und zwar zu Lasten der sozialversicherten ArbeitnehmerInnen. Das Recht auf gute pflegerische Leistungen darf jedoch nicht von den finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen abhängen. Zudem würde der Arbeitgeberbeitrag fehlen, der die Pflegekasse derzeit zu rund einem Drittel finanziert.

Auch die kollektive Nachhaltigkeitsreserve – ein von allen Beteiligten angesparter Kapitalstock – geht am Ziel vorbei.

Eine kapitalgedeckte Finanzierung bringt im Vergleich zur umlagefinanzierten Sozialen Pflegeversicherung keine Vorteile. Der Einstieg in die Kapitaldeckung wäre nahezu wirkungslos, weil der Finanzbedarf schon ab 2014 steigen werden. Insbesondere für die Generation der jetzt schon Älteren könnte keine ausreichende Kapitalreserve mehr aufgebaut werden.

Weil der Pflegebedarf nach allen Vorhersagen steigen wird, fordert der DGB eine moderate Beitragssatzsteigerung. Diese kann mit den Einnahmen im Umlageverfahren der Sozialen Pflegeversicherung gegenfinanziert werden. Das wäre der bestmögliche Weg, um dem Anspruch einer guten Versorgung für alle gerecht zu werden.


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