Statt die weitgehend ausverhandelte Finanztransaktionssteuer endlich zu beschließen, wurde das Vorhaben nun auf unbestimmte Zeit vertagt, um Londoner Banken, die auf den Kontinent umziehen wollen, nicht abzuschrecken. Das ist ein Skandal, meint der DGB-klartext – und erklärt warum.
DGB/Simone M. Neumann
Inmitten der Auseinandersetzungen um den sogenannten Euro-Rettungsschirm sah sich die schwarz-gelbe Bundesregierung im Mai 2010 zu dem Versprechen gezwungen, Banken und Fondsgesellschaften über eine Finanztransaktionssteuer (FTS) an den Kosten der Krise zu beteiligen. Zwei Monate zuvor hatten sich bereits mehr als drei Viertel der Abgeordneten des Europäischen Parlaments für dieses Instrument ausgesprochen. Im Jahr darauf legte die Europäische Kommission dann einen Vorschlag vor, über den seither eine Reihe von Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Italien und Frankreich, verhandelten. Dabei konnte etwa die Frage, wie Umgehungen der Steuer weitgehend vermieden werden können, überzeugend gelöst werden. Nachdem die Experten der beteiligten Ministerien alles in allem gute Arbeit abgeliefert hatten, stand zuletzt im Wesentlichen nur noch die politische Besiegelung des Vorhabens aus.
Doch nun wurde das Vorhaben auf Betreiben der neuen französischen Regierung auf unbestimmte Zeit vertagt. Das Kalkül: Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU, dem sogenannten Brexit, wird die Übersiedlung vieler Banken erwartet, die man nicht mit einer Steuer auf ihre Geschäfte vergraulen möchte. Das ist ein Skandal! Gerade weil viele in London ansässige Banken planen, nach Frankfurt, Mailand und Paris umzuziehen, wäre es dringend erforderlich diesen klare Grenzen zu setzen und Finanzspekulationen endlich zu besteuern. Auch weil mit dem Brexit Gelder für die EU entfallen werden, sind die Einnahmen aus der FTS nötiger denn je. Der Einwand, Londoner Banken könnten in Staaten abwandern, die keine FTS erheben wollen, überzeugt ebenfalls nicht. Der bereits ausgehandelte Kompromiss stellt nämlich sicher, dass die Steuer auch unabhängig vom Sitz der Bank erhoben werden kann, wenn Wertpapiere aus Staaten gehandelt werden, die die FTS eingeführt haben.
Quellen: Copenhagen Economics/ BMF; Grafik: DGB
Aber nicht nur die Pariser Kehrtwende ist skandalös, sondern auch, dass der deutsche Finanzminister Verständnis äußerte. Er sei zwar „ein bisschen enttäuscht“, aber die FTS sei auch ein „verdammt schwieriges Instrument“. Auch wäre unklar, inwieweit die „Nachhaltigkeit der Alterssicherungssysteme“ dadurch gefährdet sei. Offenbar hat Wolfgang Schäuble nicht verstanden, was seine Fachleute bereits ausverhandelt haben und dass die FTS zugleich auch die Finanzmärkte und damit Altersvorsorgevermögen vor Spekulationsrisiken schützt.
Jetzt erst recht gilt es an die Worte der Bundeskanzlerin zu erinnern: „Kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Finanzplatz darf ohne angemessene Regulierung bleiben; Finanzakteure müssen durch die Finanztransaktionssteuer zur Verantwortung gezogen werden!“ Bei aller Kritik am Zaudern der französischen Regierung: Der Wertpapierhandel ist in Frankreich - im Gegensatz zu Deutschland - schon heute nicht völlig steuerfrei. Es ist an der Zeit wenigstens darüber nachzudenken, dass die neue Bundesregierung hier nachzieht.