Deutscher Gewerkschaftsbund

01.03.2016
Gleichstellungspolitik

Raus aus der Teilzeitfalle

einblick 04/2016

Mehr Arbeitszeitsouveränität für die Beschäftigten fordern die DGB-Frauen anlässlich des Internationalen Frauentags. Vor allem muss die Bundesregierung den versprochenen gesetzlichen Anspruch auf befristete Teilzeit endlich umsetzen, fordert DGB-Expertin Anja Weusthoff.

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DGB Frauen

Im Koalitionsvertrag haben sich CDU, CSU und SPD darauf verständigt, für ArbeitnehmerInnen einen Anspruch auf befristete Teilzeit zu schaffen. Teilzeitbeschäftigte sollen es leichter haben, ihre Arbeitszeit aufzustocken. Das wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Arbeitszeitsouveränität. Denn derzeit haben Beschäftigte nur selten die Chance, ihre Arbeitszeiten an ihre Bedürfnisse anpassen zu können – zum Nachteil vieler Frauen.

Teilzeit ist noch immer Frauensache: Jede zweite weibliche Beschäftigte hat keinen Vollzeitjob. An eine Trendumkehr ist derzeit nicht zu denken: Während Männer in der Regel in Vollzeit arbeiten, steigt der Anteil der Frauen in Teilzeit. Die Folge ist eine Arbeitszeitlücke zwischen Frauen und Männern von rund neun Stunden. Doch (sehr) kurze Arbeitszeiten wirken sich unmittelbar negativ aus – beim Entgelt, bei den Aufstiegschancen und bei der sozialen Sicherung. Wären Frauen im selben Umfang erwerbstätig wie Männer, würde sich die Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern von derzeit rund 22 Prozent um knapp vier Prozent reduzieren. Um die Arbeitszeitlücke zu überwinden, müssen Beschäftigte ihre Arbeitszeit an ihre Bedarfe anpassen können. Besonders während der Familienphase erfordern komplexe, anspruchsvolle Zeitarrangements eine bedarfsgerechte Gestaltung der Arbeitszeit. Doch derzeit haben rund zwei Drittel der Beschäftigten keinen nennenswerten Einfluss auf Dauer, Beginn und Ende der Arbeitszeit.

„Nicht alle Frauen, die in Teilzeit
arbeiten, tun dies freiwillig.“

Gewünschte und tatsächliche Arbeitszeiten klaffen oft auseinander. Nicht alle Frauen, die in Teilzeit arbeiten, tun dies freiwillig: Mehr als 1,1 Millionen teilzeitbeschäftigte Frauen würden gerne mehr arbeiten, finden aber keine entsprechende Stelle. Während viele Frauen ihre Arbeitszeit aufstocken wollen, möchten zahlreiche vollzeitbeschäftigte Männer ihre Wochenarbeitszeit reduzieren. Viele Beschäftigte wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbsarbeit und Familienpflichten, Frauen wie Männer. Doch sie scheitern an der Einkommensdifferenz zwischen den Geschlechtern, den Schwächen im System der Kinderbetreuung – und nicht zuletzt an starren Arbeitszeitregelungen und einer ausgeprägten Präsenzkultur. Frauen landen in der Teilzeitfalle, Männer finden sich (ungewollt) in der Rolle des Ernährers wieder - und werden durch das Ehegattensplitting und weitere staatliche Fehlanreize dazu noch ermutigt. Doch das Modell funktioniert nur, solange das Einkommen des Partners stabil ist und er nicht ausfällt. Gleichzeitig werden mit den Jahren in Teilzeit Qualifikationen immer weniger wert und eine eigenständige Absicherung unwahrscheinlicher.

Noch viel zu selten gelingt es Unternehmen, betriebliche Erfordernisse und individuelle Bedürfnisse der Beschäftigten in Einklang zu bringen. Nur acht Prozent der Unternehmen betreiben eine lebensphasenorientierte Personalpolitik. Der Handlungsbedarf ist groß – auch angesichts des demografischen Wandels und der steigenden Nachfrage nach Fachkräften. In einigen Branchen – etwa in der Metall- und der chemischen Industrie, bei Post und Bahn – haben die Sozialpartner im Rahmen von Demografie-Tarifverträgen Rahmenbedingungen geschaffen, damit Beschäftigte ihre Arbeitszeiten im Lebensverlauf variieren können. Einen wichtigen Beitrag leisten auch Betriebsräte, indem sie Betriebsvereinbarungen zur Arbeitsorganisation vorantreiben. Es gibt bereits hervorragende Beispiele – denn: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

„Die Arbeit der Zukunft muss
so gestaltet sein, dass alle
Beschäftigten die Chance haben,
ihre Arbeitszeiten ihren Bedarfen
entsprechend zu wählen.“

Doch knapp die Hälfte aller Beschäftigten fällt nicht unter einen Tarifvertrag, und noch weniger arbeiten in einem Betrieb mit Betriebsrat. Deshalb ist der Gesetzgeber gefordert: Die Bundesregierung muss den im Koalitionsvertrag vereinbarten Rechtsanspruch auf Rückkehr aus Teilzeit und auf befristete Teilzeit endlich gesetzlich verankern, damit Mütter mit einer familienbedingten Teilzeit nicht in der Sackgasse landen und Väter sich trauen, ihre Arbeitszeiten befristet zu reduzieren. Und sie muss die EU-Elternzeitrichtlinie umsetzen, damit Eltern nach der Elternzeit endlich einen Anspruch darauf haben, über Dauer, Lage und Rhythmus ihrer Arbeitszeit mitzubestimmen.

Es ist nicht damit getan, die Infrastruktur zur Betreuung von Kindern aller Altersgruppen und von Pflegebedürftigen bedarfsgerecht auszubauen. Die Arbeit der Zukunft muss so gestaltet sein, dass alle ArbeitnehmerInnen – auch die, die in Betrieben mit weniger als 15 Beschäftigten arbeiten – die Chance haben, ihre Arbeitszeiten ihren Bedarfen entsprechend zu wählen. Wir brauchen eine ernsthaft geführte Debatte über Wahlarbeitszeiten und auch über die Frage, wie der Staat über Steuern Arbeitszeitreduzierungen und Auszeiten mitfinanzieren kann, die die Wahrnehmung gesellschaftlich wichtiger Aufgaben wie Kindererziehung oder Pflege erleichtern.


Anja Weusthoff leitet seit 2011 die Abteilung Frauen-, Gleichstellungs- und Familienpolitik beim DGB-Bundesvorstand.


 

Erschienen in: einblick 4/2016 vom 29. Februar 2016


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