Deutscher Gewerkschaftsbund

20.12.2012
Interview mit dem DGB-Bundesjugendsekretär Florian Haggenmiller

DGB-Jugend: Politik muss Perspektiven für junge Menschen schaffen

Eine bessere Ausbildungsqualität, sichere Beschäftigung und solide finanzierte Bildung – das sind die Themen, bei denen die DGB-Jugend im Wahljahr 2013 Zeichen setzen will. „Die Politik muss Perspektiven für junge Menschen schaffen“, sagt Florian Haggenmiller im Interview. Seit Oktober 2012 ist er DGB-Bundesjugendsekretär. Er macht sich für einen fairen Berufseinstieg, für gute Ausbildungs- und für gute Studienbedingungen stark -  auch für die Kolleginnen und Kollegen in den europäischen Krisenländern.

Florian Haggenmiller, DGB-Bundesjugendsekretär, 2012

"Die Politik muss grundsätzlich jugendgerechter werden", fordert DGB-Bundesjugendsekretär Florian Haggenmiller. "Für uns heißt das vor allem: bessere Ausbildungsqualität, sichere Beschäftigung und solide finanzierte Bildung." DGB/Ralf Steinle

Die DGB-Jugend hat angekündigt, sich bereits früh in den Bundestagswahlkampf einzumischen. Welche Themen müssen die Parteien im Interesse junger Menschen 2013 auf dem Schirm haben?

Haggenmiller: Die Politik muss grundsätzlich jugendgerechter werden. Für uns heißt das vor allem: bessere Ausbildungsqualität, sichere Beschäftigung und solide finanzierte Bildung. Die Politik muss Perspektiven für junge Menschen schaffen. Da muss es klare Veränderungen geben und da müssen auch klare Aussagen in den Wahlprogrammen der Parteien her. Für uns ist die Ausbildungsqualität ein entscheidender Faktor. Angesichts der Diskussion um den Fachkräftemangel gibt es da noch viel Nachholbedarf bei den Betrieben. Wenn beispielsweise das Hotel- und Gaststättengewerbe über Fachkräftemangel klagt, und wir in unserem Ausbildungsreport feststellen, dass die Abbrecherquote von Azubis dort bei etwa 40 Prozent liegt, dann wird deutlich: Die Betriebe müssen zuerst etwas an der Ausbildungsqualität tun und jungen Menschen klare Perspektiven bieten – dann bekommen sie auch Fachkräfte.

"Der Berufseinstieg hat sich in den vergangenen zehn Jahren massiv verändert. Er ist prekärer geworden."

Warum fehlen diese klaren Perspektiven?

Der Berufseinstieg hat sich in vielen Branchen in den vergangenen zehn Jahren massiv verändert. Er ist prekärer geworden. Ich konnte mir nach meiner Ausbildung bei der Deutschen Telekom beispielsweise noch sicher sein, unbefristet übernommen zu werden. Heute ist der Berufseinstieg oft geprägt von aufeinander folgenden befristeten Verträgen oder von Leiharbeit. Die junge Generation hat oft gar keine andere Wahl, als sich auf solche Arbeitsverhältnisse einzulassen. Wir fordern deshalb unter anderem ein Ende der sachgrundlosen Befristungen. Beim Thema Leiharbeit haben wir inzwischen die krasse Situation, dass größere Unternehmen eigene Zeitarbeitsfirmen haben, über die die Übernahme der Azubis organisiert wird – in Leiharbeit, befristet und oft deutlich schlechter bezahlt als im Unternehmen üblich.

Was lässt sich dagegen tun?

Eine Lösung sind starke tarifliche Regelungen – da sind die Gewerkschaften aktiv. Die Politik muss darüber hinaus beim Arbeitnehmerüberlassungsgesetz dafür sorgen, dass gleiche Arbeit auch gleich bezahlt wird.

Wo drückt jungen Menschen in der Ausbildung besonders der Schuh?

Wir stellen in unserem jährlichen Ausbildungsreport immer wieder fest, dass ausbildungsfremde Tätigkeiten ein großes Problem sind. Wenn ich eine Ausbildung zum Koch mache, dann habe ich auch das Recht, dementsprechend ausgebildet zu werden und nicht nur die Küche putzen zu müssen. Und wenn ich eine Kfz-Ausbildung anfange, dann möchte ich etwas über Autos und über Technik lernen – und nicht die Werkstatt fegen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.

„Gerade bei unter 18-Jährigen wird beim Thema Arbeitszeit oft ganz klar gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz verstoßen.“

Ein weiteres Problem bleiben die Überstunden von Azubis. Gerade bei unter 18-Jährigen wird beim Thema Arbeitszeit oft ganz klar gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz verstoßen. Das können wir nicht dulden. Mit unserer Aktion „Hände weg vom Jugendarbeitsschutzgesetz“ konnten wir verhindern, dass die schwarz-gelbe Koalition das Gesetz aufweicht. Jetzt muss besser kontrolliert werden, dass es auch tatsächlich eingehalten wird.

Bei der Ausbildungsqualität hapert es also oft. Wie sieht denn die Ausbildungsmarktsituation in Deutschland aus?

Wenn man die Situation im Vergleich zu einem Land wie Spanien sieht, das inzwischen über 52 Prozent Jugendarbeitslosigkeit hat, wirkt die Bilanz natürlich relativ gut. Aber man muss sich die deutsche Statistik immer ganz genau angucken. Die rund 300.000 Jugendlichen, die sich statt in einer Ausbildung in Ersatzmaßnahmen, also in so genannten Warteschleifen befinden, gelten in der Statistik als versorgt – und nicht als arbeits- oder ausbildungssuchend.

Florian Haggenmiller, DGB-Bundesjugendsekretär, 2012 (2)

Bei der deutschen Ausbildungsstatistik muss man immer ganz genau hinsehen, meint Florian Haggenmiller. Die DGB-Jugend kritisiert, dass Hunderttausende Jugendliche in ausbildungsvorbereitenden "Warteschleifen" stecken und nicht als arbeits- oder ausbildungssuchend erfasst werden. DGB/Ralf Steinle

Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung von März 2011 hat gezeigt, dass bei uns die Arbeitslosigkeit junger Menschen unter 30 Jahren mit zunehmendem Alter ansteigt. Bei 15- bis 19-Jährigen liegt die Arbeitslosenquote bei nur vier Prozent, bei 20- bis 24- Jährigen schon bei 14 Prozent und bei 25- bis 29-Jährigen dann bei 17 Prozent. Wir erklären uns das so: Viele Jugendliche fallen offenbar in jungen Jahren noch aus der Statistik, weil sie in Warteschleifen untergebracht sind. Einen Ausbildungsplatz oder Arbeit finden sie dadurch aber trotzdem nicht. Und dann tauchen sie, wenn sie zu alt für die Warteschleifen-Maßnahmen sind, in der Statistik schließlich doch als Arbeitslose auf.

Arbeitgeber klagen immer wieder, viele Jugendliche seien nicht ausbildungsreif – deshalb würden sie keine passenden Bewerberinnen und Bewerber finden.

Wir haben uns die Vorqualifikation der 300.000 jungen Menschen in Warteschleifen mal genauer angeschaut. Rund ein Viertel hat einen Realschulabschluss oder sogar die Hochschulreife und findet trotzdem keinen regulären Ausbildungsplatz. Schon das passt nicht mit den Argumenten der Arbeitgeber zusammen.

Ende November sind die diesjährigen Wahlen zu den betrieblichen Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) zu Ende gegangen. Wie ist es gelaufen?

Es wurden über 10.000 Jugend- und Auszubildendenvertretungen gewählt. Die genauen Zahlen liegen noch nicht vor – aber es sieht so aus, dass es da im Vergleich zu den letzten Wahlen vor zwei Jahren eine Steigerung gegeben hat. Das ist ein großer Erfolg für uns.

Was können junge Menschen in einer JAV konkret bewegen?

Ich finde es zunächst einmal ganz wichtig zu betonen, dass die Arbeit der jungen Kolleginnen und Kollegen in den Jugend- und Auszubildendenvertretungen komplett ehrenamtlich ist. Das ist eine große Leistung. Das Tolle an der JAV-Arbeit ist, dass man ganz konkret seine Ausbildungsbedingungen verändern kann. Man kann Einfluss nehmen über das Betriebsverfassungsgesetz, man kann den Ausbildungsrahmenplan verbessern und man kann mit dem Arbeitgeber auf Augenhöhe diskutieren, welche Punkte in der Ausbildung gut und welche schlecht laufen.

„Das ist das Spannende an der JAV: Dass man als junger Mensch konkret seine Arbeits- und Lebensbedingungen verändern kann.“

Ich kann außerdem mit meinem Engagement in der JAV mein Ausbildungsumfeld verändern. Ein ganz einfaches Beispiel: Während meiner Zeit als JAV-Mitglied haben wir für besseres Kantinenessen gesorgt. In der Ausbildung kann man sich nicht so viel leisten – da ist es wichtig, dass es mittags ein vernünftiges Essen zu vernünftigen Preisen gibt.

Sonderpreis DGB-Jugend, Deutscher Personalrätepreis 2012

DGB/Simone M. Neumann

Ausgezeichnete JAV-Arbeit

Die DGB-Jugend will Best-Practice-Beispiele aus der Arbeit von Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) bekannter machen. Ein Weg das zu erreichen: Beim Deutschen Personalrätepreis 2012 hat die DGB-Jugend einen Sonderpreis vergeben - an die Gesamt-JAV der Stadt Nürnberg für ihre Aktion "Papa ist geizig".

Die jungen Interessenvertreter protestierten mit der Aktion dagegen, dass der Arbeitgeber die Fahrtkosten zu einer auswärtigen Berufsschule nicht mehr übernehmen wollte. Das hätte jeden Azubi bis zu 2.500 Euro im Jahr gekostet. Der Protest hatte Erfolg.

Mehr zur Aktion und zum Sonderpreis der DGB-Jugend

Kann die JAV auch etwas für die Übernahme von Azubis tun?

Das ist in den vergangenen Jahren ein ganz wichtiges Thema geworden. Es gibt inzwischen einige sehr gute betriebliche Vereinbarungen und es gibt auch Tarifverträge der Gewerkschaften, die das Thema angehen. Wenn man als JAV daran mitwirken kann, für eine Anschlussbeschäftigung der Azubis zu guten Konditionen zu sorgen, beeindruckt das viele junge Menschen.

Die DGB-Jugend will auch die Finanzierung des Bildungssystems zum Thema des Bundestagswahlkampfs machen – was sind die Schwerpunkte?

Ein Bildungsträger, der in der Finanzierungsdebatte oft vergessen wird, sind die Berufsschulen. Wir haben in unserem aktuellen Ausbildungsreport die Qualität der Berufsschulen genauer unter die Lupe genommen. Und wir haben festgestellt, dass für viele Jugendliche die Qualität ihrer Ausbildung stark davon abhängt, wie gut oder wie schlecht ihre Berufsschule ausgestattet ist – finanziell, materiell und personell. Nur 50 Prozent der Azubis sind mit ihrem Berufsschulunterricht zufrieden. Da gibt es noch viel Nachholbedarf. Aber auch an den Hochschulen wird die Situation prekärer. Die Studienqualität leidet, wenn ein und derselbe Professor oder dieselbe Professorin immer mehr Studierende betreuen müssen. Wir brauchen deshalb auch Geld für eine bessere personelle Ausstattung der Hochschulen. Wenn man sich zum Beispiel die Zahlen der OECD ansieht, erkennt man, dass die angebliche „Bildungsrepublik Deutschland“ viel zu wenig in Bildung investiert. Wir sollten außerdem das BAföG reformieren und vernünftig aufstocken. Auch junge Menschen aus Arbeiterfamilien müssen sich ein Studium leisten können.

„Dass Studiengebühren jetzt wieder abgeschafft werden, ist auf jeden Fall auch ein Erfolg der Gewerkschaftsjugend.“

Die meisten Bundesländer haben Studiengebühren inzwischen wieder abgeschafft. Ist das auch ein Erfolg der gewerkschaftlichen Proteste?

Absolut. Wir sind inzwischen an über 30 Hochschulstätten mit unseren gewerkschaftlichen Hochschulinformationsbüros und Campus Offices vertreten. Wir haben viele Veranstaltungen und Aktionen gegen Studiengebühren organisiert. Wir haben uns vor allem regional stark in die Landespolitik eingemischt, um deutlich zu machen, welche negativen Auswirkungen Studiengebühren haben. Dass sie jetzt wieder abgeschafft werden, ist auf jeden Fall auch ein Erfolg der Gewerkschaftsjugend.

Schule, Ausbildung, Hochschule – die DGB-Jugend ist in allen drei Bildungsbereichen aktiv. Ein Balanceakt?

Unsere Hauptbetätigungsfelder sind die Berufsschularbeit und die Studierendenarbeit. Sowohl unsere Berufsschultouren als auch unser Studierendenprojekt „students at work“ haben in diesem Jahr zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Das ist erfolgreiche Zielgruppenarbeit. Trotzdem brauchen wir auch einen Fokus auf Schülerinnen und Schüler. Je früher wir mit Jugendlichen über die Arbeit von Gewerkschaften sprechen und mit ihnen darüber diskutieren, was sie im Laufe des Berufslebens erwartet, umso größer ist die Chance, dass sie in eine Gewerkschaft eintreten und für uns aktiv werden. Deshalb werden wir unsere Arbeit mit und für Schülerinnen und Schüler im kommenden Jahr weiter vorantreiben.

In vielen der so genannten Krisenländer Europas ist die Jugendarbeitslosigkeit drastisch gestiegen. Was kann die deutsche Gewerkschaftsjugend tun, um junge Menschen in diesen Ländern zu unterstützen?

Wir können Aufmerksamkeit schaffen bei den Menschen hierzulande. Vor kurzem war ich bei einer tollen Aktion der Jungen NGG und der Jungen BAU auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt, bei der sie über die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Perspektivlosigkeit in den so genannten Krisenländern aufgeklärt haben. Die Situation dort betrifft uns zunächst nicht unmittelbar – deswegen ist es umso wichtiger, darauf aufmerksam zu machen. Solidaritätsbekundungen können helfen. Es gibt aber auch Punkte, bei denen wir uns ganz konkret einbringen können. Zum Beispiel bei der Frage, ob unser duales Ausbildungssystem ein nachhaltiges Modell für die Berufsausbildung in anderen europäischen Ländern sein kann. Da können wir auf jeden Fall Hilfestellungen für andere Gewerkschaften und Gewerkschaftsjugenden in Europa geben – das tun wir auch schon.

Wie sieht diese Hilfestellung aus?

Es gibt eine Kooperationsvereinbarung der Bundesregierung mit der spanischen Regierung, mit der das duale Ausbildungssystem in Spanien etabliert werden soll. Der DGB hat deshalb eine Kooperationsvereinbarung mit den spanischen Gewerkschaftsbünden UGT und CCOO geschlossen. Vielen Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern ist nicht klar, dass das duale System auch deshalb so gut ist, weil die Beteiligung der Sozialpartner zwingend notwendig ist. Das wird von der Politik und von Arbeitgeberseite in anderen europäischen Ländern oft verschwiegen. Darüber klären wir auf. Wir möchten aber auch nicht, dass das deutsche Ausbildungssystem einem anderen Land „eins zu eins“ übergestülpt wird. Unser Ausbildungssystem ist gut, aber kein Allheilmittel für die Probleme anderer Staaten. Wir bieten uns deshalb als Gesprächspartner an und informieren objektiv über das duale System.

Der DGB setzt im Bundestagswahljahr einen Schwerpunkt auf das Thema sichere Rente – die DGB-Jugend auch?

Wir werden das Thema im kommenden Jahr auf jeden Fall auf die Tagesordnung holen. Ganz einfach deshalb, weil wir glauben, dass wir auch im Interesse der jungen Generation eine nachhaltige Rentenpolitik brauchen. Wir brauchen eine Rentenpolitik für junge Menschen. Das heißt: Statt kurzfristiger Beitragssenkungen müssen wir langfristig Rücklagen im Rentensystem aufbauen, damit auch noch kommende Generationen eine sichere gesetzliche Rente haben. Einerseits argumentiert die Regierung immer, man dürfe keine öffentlichen Schulden machen, um künftige Generationen nicht zu belasten. Andererseits tut sie in der Rentenpolitik genau das: Sie macht mit Rentenbeitragssenkungen Wahlkampfgeschenke, die massive Auswirkungen auf die Zukunft des Rentensystems und damit auf kommende Generationen haben werden. Das passt nicht zusammen.


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