Wer heute arbeitslos wird, erhält immer seltener Leistungen aus der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung. Ein Viertel der Betroffenen landet inzwischen direkt in Hartz IV. Der DGB will deshalb die Arbeitslosenversicherung ausweiten, damit weniger Menschen auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sind. Besonders prekär und kurzzeitig Beschäftigte sollen besser abgesichert werden.
Nur noch 30 Prozent der Arbeitslosen werden von der Arbeitslosenversicherung (SGB III) betreut. Die anderen 70 Prozent, und damit die große Mehrheit, sind dem Hartz IV-System (SGB II) zugeordnet und beziehen die bedürftigkeitsabhängige so genannte Grundsicherung für Arbeitsuchende. 825.000 Arbeitslosen (ohne Arbeitslose in Weiterbildung), die Arbeitslosengeld als Versicherungsleistung erhalten, stehen 2,1 Millionen arbeitslose Hartz IV-Bezieher gegenüber.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2012
Dieses Zweiklassensystem ist – nicht nur aus Sicht des DGB - eines der Hauptprobleme am Arbeitsmarkt. Es schafft Ungerechtigkeiten für ArbeitnehmerInnen und Arbeitslose und sorgt für Abstiegsängste. In den Behörden entstanden überflüssige Schnittstellen und viel bürokratischer Aufwand. Mit den "Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", so versprach die Politik, sollten Arbeitslose besser betreut werden – doch davon ist die „schöne neue Hartz IV-Welt“ weiter entfernt denn je. Stattdessen verdrängt das Hartz IV-System zunehmend das Versicherungssystem.
Viele Arbeitslose erhalten kein Arbeitslosengeld, da sie innerhalb der letzten zwei Jahre, der sogenannten Rahmenfrist, nicht mindestens zwölf Monate beitragspflichtig gearbeitet haben. Ursachen sind ein wachsender Niedriglohnsektor, ausufernde Befristungen und immer kürzere Beschäftigungszeiten. So kommen gerade prekär Beschäftigte, kurzfristig Erwerbstätige und Leiharbeitsbeschäftigte gar nicht erst in den Schutz der Versicherung. Denn ihnen gelingt es nur selten, innerhalb der 24-monatigen Rahmenfrist einen Versicherungsschutz aufzubauen. Obwohl sie in der Regel Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt haben, erhalten sie keine Leistungen.
Grafik: DGB; Zahlen: Bundesagentur für Arbeit
Zugleich ist die Höhe des Arbeitslosengeldes, derzeit sind es durchschnittlich 825 Euro im Monat, nicht immer bedarfsdeckend. Die Folge: rund zehn Prozent aller EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld sind ergänzend auf Hartz IV-Leistungen angewiesen, um den eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familie zu decken.
DGB
So wie die Arbeitslosenversicherung über die letzten Jahre immer weniger im Falle von Arbeitslosigkeit schützt, so fallen - spiegelbildlich – mehr Menschen nach einem Jobverlust direkt in das Hartz IV-System. Lediglich das Krisenjahr 2009 mit insgesamt hohen Zugangszahlen in Arbeitslosigkeit stellt eine Ausnahme dar, ohne jedoch den Trend zu brechen.
Der DGB will den Schutzbereich der Arbeitslosenversicherung vergrößern, damit weniger Menschen auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sind. Besonders prekär und kurzzeitig Beschäftigte sollen wieder besser abgesichert werden. Und sie müssen wirksamer bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützt werden.
Dieses Ziel ergänzt die Forderung der Gewerkschaften nach anständigen Löhnen mit einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro als unterste Auffanglinie. Löhne, von denen man gut leben kann und auskömmliche Sozialleistungen gehören zusammen.
Dadurch wird das Hartz IV-System entlastet und kann sich wirkungsvoller um Langzeitarbeitslose mit besonderen Problemen kümmern.
DGB-Vorschlag (ergänzend zum geltenden Recht)
Anwartschaftszeit |
Maximale |
---|---|
6 Monate |
3 Monate |
8 Monate |
4 Monate |
10 Monate |
5 Monate |
Geltendes Recht
Anwartschaftszeit | Lebensalter |
Maximale |
---|---|---|
12 Monate |
alle |
6 Monate |
16 Monate |
alle |
8 Monate |
20 Monate |
alle |
10 Monate |
24 Monate |
alle |
12 Monate |
30 Monate |
50 Jahre und älter |
15 Monate |
36 Monate |
55 Jahre und älter |
18 Monate |
48 Monate |
58 Jahre und älter |
24 Monate |
Der DGB schlägt zwei sofort umsetzbare Maßnahmen vor:
Der Bezug von Versicherungsleistungen stellt sicher, dass Arbeitslose auch an Eingliederungsmaßnahmen des Versicherungssystems (z.B. Weiterbildung) teilnehmen können.
Langfristig will der DGB erreichen, dass die Zuständigkeit für Eingliederungsmaßnahmen länger im Versicherungssystem bleibt - selbst wenn der Arbeitslose mittlerweile auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sein sollte. Denn der Zuständigkeitswechsel vom Versicherungssystem zum Fürsorgesystem erschwert die Eingliederung und schafft unnötigen Verwaltungsaufwand. Gerade Jugendliche und behinderte Menschen werden zwischen den Behörden unnötig oft hin und her gereicht, anstatt die versprochene Betreuung aus „einer Hand“ sicher zu stellen.
Als weiteren Schritt strebt der DGB mittelfristig eine Mindestsicherung beim Arbeitslosengeld in Höhe der Hartz IV-Bedürftigkeitsgrenze an. Das heißt: reicht das gewährte Arbeitslosengeld im konkreten Fall nicht für den Lebensunterhalt, dann gewährt die Arbeitslosenversicherung einen Aufstockungsbetrag. Damit würde verhindert, dass wie bisher mit Arbeitsagentur und Hartz IV-Jobcenter gleichzeitig zwei Behörden zuständig sind. Der Bund erstattet der Arbeitslosenversicherung den Aufstockungsbetrag aus Steuermitteln.