Deutscher Gewerkschaftsbund

09.01.2009

Zeit für grundlegend neue Regeln

Banker dürfen nie wieder in der Lage sein, den Lebensabend von Millionen hart arbeitender Menschen zu gefährden. Eine neue Ordnungspolitik sollte auch in die unternehmerische Freiheit der Finanzakteure eingreifen

Von Dierk Hirschel

Die Welt steht Kopf: Die Mutterländer des Kapitalismus verstaatlichen ihre Banken. Scheichs und ostasiatische Staatskapitalisten kaufen die renommiertesten Adressen der Wall Street. Russische Oligarchen retten Island. Und ein Erbe Napoleons greift nach der nationalen Industrie.

Die Finanzmarktkrise bringt die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen. Wenn die Frankfurter und Münchner Glaspaläste wanken, dann strecken auch marktradikale Glaubenskrieger die Waffen. Plötzlich macht der Staat Karriere; Ordnung und Regeln werden großgeschrieben. Politiker dürfen mit keynesianischem Teufelszeug spielen. Und selbst die Eigentumsfrage ist kein Tabu mehr. Stehen wir also vor einer Zeitenwende? Werden Lehrbücher und Parteiprogramme neu geschrieben? Zieht die Politik die richtigen Lehren aus der Krise?

Noch sind große Zweifel angebracht: Krisenzeiten sind immer auch ein Biotop für Wendehälse. Selbst die FDP möchte heute die Finanzmärkte an die Kette legen – das ist bestes politisches Kabarett. Kritisch wird es aber, wenn die Vorkämpfer entfesselter Finanzmärkte nun zu Architekten des neuen Ordnungsrahmens werden. Weber, Asmussen, Issing und andere schnüren heute Rettungspakete und leiten Expertenkommissionen. So wird der Bock wird zum Gärtner gemacht.

Statt politischer Kosmetik ein neuer Ordnungsrahmen

Die schwerste Finanzkrise seit 80 Jahren darf nicht im politischen Kosmetikstudio behandelt werden. Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus ist gegen die Wand gefahren. Jetzt gehört er auf den Schrotthaufen der Geschichte. Banker, Broker und Vermögensverwalter dürfen nie wieder in die Lage versetzt werden, die Jobs und den Lebensabend von Millionen hart arbeitender Menschen zu gefährden. Die Finanzindustrie muss der Realwirtschaft dienen – und nicht umgekehrt. Die Zeiten, in denen die Wall Street weniger als acht Prozent der Wertschöpfung erzeugte, aber fast 40 Prozent der Unternehmensgewinne verbuchte, sind hoffentlich bald Vergangenheit.

Deswegen brauchen wir jetzt einen grundlegenden Politikwechsel. Dieser beginnt mit einer stärkeren Rolle des Staates. Der Staat war noch nie ein Gegner des Marktes: Ein staatlicher Ordnungsrahmen ist vielmehr die Voraussetzung für funktionierende Märkte. Die schöpferischen und produktiven Potentiale des Marktes können sich nur innerhalb einer staatlichen Ordnung entfalten. Diese mindert zugleich die soziale und ökologische Blindheit des Marktes.

Ohne Flächentarifverträge, ohne Verbraucher-, Arbeits- und Gesundheitsschutz könnte dieses Land keine hochwertigen Autos, Maschinen und Anlagen herstellen. Was für die Realwirtschaft gilt, gilt im Besonderen für die Finanzmärkte: Laxe Regeln und eine blinde Aufsicht führten dort zum Marktversagen. Ein Schattenbankensystem, ein unreguliertes Verbriefungsgeschäft, Steueroasen sowie rechtsfreie Räume für Heuschrecken förderten das Wachstum der Kreditblase. Nach dem Platzen wurde diese Erkenntnis plötzlich politisches Allgemeingut.

Finanzmärkte brauchen gesellschaftliche Kontrolle

Doch ein richtiger Politikwechsel muss weit über reine Ordnungspolitik hinausgehen und sollte sehr stark in die missbrauchte unternehmerische Freiheit der Finanzmarktakteure eingreifen. Wir brauchen ein Regelwerk, das langfristige Realinvestitionen fördert und kurzfristige Spekulation diskriminiert. Klare gesetzliche Regeln ersetzen wirkungslose Selbstverpflichtungen. Prävention und Haftung müssen gestärkt werden. Ein TÜV für Finanzmarktprodukte, striktere Eigenkapitalanforderungen und eine „Schufa für Banken” helfen, künftig besser vorzubeugen. Ein Haftungsverbund der europäischen Privatbanken lässt die Banken und nicht die Steuerzahler für eine verfehlte Geschäftspolitik bluten. Goldene Aktien (wie im Rahmen des VW-Gesetzes), ein Verbot von Aktienoptionen sowie die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen und Finanztransaktionen setzen Anreize für ein langfristiges und nachhaltiges Management.

Zudem brauchen die Finanzmärkte eine stärkere gesellschaftliche Kontrolle. Der Aktionär darf nicht mehr im Zentrum der Unternehmenspolitik stehen. Unternehmen sind öffentliche Einrichtungen – folglich müssen die Interessen der Beschäftigten und Kommunen künftig stärker berücksichtigt werden. Dies erfordert den Ausbau der Unternehmensmitbestimmung.

Gefährlich viele Millionäre

Auch die Verteilungsfrage muss jetzt neu gestellt werden. Der Zufluss in die Spekulation speist sich vor allem aus der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums: Das 140 Billionen Dollar schwere weltweite Finanzvermögen geht auch auf sinkende Steuern für Reiche, die Privatisierung sozialer Sicherung sowie explodierende Unternehmensgewinne zurück. Um dieses Geld werben Vermögensverwalter mit hohen Renditeversprechungen. So erzeugt die Kapitalschwemme einen permanenten Anlagedruck.

Deutschland bildet keine Ausnahme: Die Gewinn- und Vermögenseinkommen stiegen hier zwischen 2000 und 2007 fast siebenmal so stark wie die Löhne und Gehälter. Das heimische Geldvermögen wuchs im gleichen Zeitraum um eine Billion auf insgesamt drei Billionen Euro. Die Zahl der Millionäre kletterte um rund zehn Prozent auf 830 000. Diese massive Vermögenskonzentration erhöhte die Einsätze im globalen Casino. Gleichzeitig wurde den unteren und mittleren Einkommensempfängern Kaufkraft entzogen. Der Nachfragemangel auf dem Binnenmarkt nahm zu. Selbst große Industrieunternehmen verwandelten sich unter diesen Bedingungen zu Banken mit angeschlossener Produktionsabteilung. Allein die Porsche AG erzielte im letzten Jahr 3,6 Milliarden Euro Gewinn aus reinen Finanzgeschäften.

Eine zentrale Antwort auf die Konzentration von Einkommen und Vermögen ist eine offensive Tarifpolitik. Im Mix mit stärkerer Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen kann der Zufluss in die Spekulation ausgetrocknet werden. So werden zukünftige Spekulationsblasen nicht zwar verhindert, Häufigkeit und Größe jedoch begrenzt – und somit auch die negativen Folgen der Spekulation für Unternehmen und Arbeitsplätze.

Wenn dieser verteilungspolitische Kurswechsel einhergeht mit mehr Mitbestimmung und einer neuen Architektur der Finanzmärkte, dann gibt es Hoffnung, dass doch noch die richtigen Lehren aus der Krise gezogen werden.

Erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 09.01.2009


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