Deutscher Gewerkschaftsbund

21.06.2010
Interview

Schlecker darf nicht Schule machen

Jeder achte Leiharbeiter ist verdient zu wenig zum Leben und ist auf Harz IV angewiesen. Kein Wunder, bei Stundenlöhnen unter 5 Euro. Damit muss Schluss sein: " Ein Mindestlohn in der Leiharbeitsbranche ist überfällig", sagt DGB-Vorstand Annelie Buntenbach.

Tagesspiegel: Frau Buntenbach, die Union hat sich lange gegen einen Mindestlohn in der Leiharbeitsbranche gewehrt. Nun will Arbeitsministerin Ursula von der Leyen eine Lohnuntergrenze einziehen. Unterstützen Sie das?

Annelie Buntenbach: Ein Mindestlohn in der Leiharbeitsbranche ist überfällig, um den Fall der Löhne ins Bodenlose zu stoppen. Es muss Schluss sein mit Löhnen von drei, vier oder fünf Euro. Jeder achte Leiharbeiter verdient so wenig, dass es nicht zum Leben reicht und ist auf Hartz IV angewiesen.

Wenn man bei der Einführung einer Lohnuntergrenze auf die bestehenden Tarifverträge zurückgreift, könnte der Mindestlohn im Westen bei 7,60 Euro pro Stunde liegen, im Osten zwischen 6,40 und 6,65 Euro. Reicht das als Absicherung nach unten?

Nein das reicht nicht, aber es wäre immerhin ein Anfang, der schnell auf ein existenzsicherndes Niveau angehoben werden muss. Allerdings können mit einem Mindestlohn allein die groben Ungerechtigkeiten in der Leiharbeit nicht beseitigt werden. Es muss das Prinzip gelten: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Sonst bleibt die Leiharbeit ein Instrument zu massenhafter Lohndrückerei. Hier finde ich den Gesetzentwurf von Frau von der Leyen enttäuschend.

Warum?

Wenn z.B ein fest angestellter Mitarbeiter in einem Metallbetrieb 15 Euro pro Stunde verdient und sein Kollege, der über die Leiharbeitsfirma kommt, nur die Lohnuntergrenze erhält, dann bekommt er für die gleiche Arbeit gerade mal die Hälfte. Das ist ungerecht und führt zu Beschäftigten erster und zweiter Klasse.

Ab Mai 2011 dürfen mit der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit osteuropäische Firmen auch in Deutschland ihre Dienste anbieten. Sollte die Politik schon vorher einen Mindestlohn einführen?

Ja. Die Bundesregierung sollte nicht warten, bis die Löhne im Keller gelandet sind, denn da bekommt man sie nur schwer wieder raus. Im Übrigen muss auch für Beschäftigte ausländischer Firmen das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten, sonst kommt es zu Wettbewerbsverzerrungen und Lohndruck nach unten.

Die Arbeitsministerin will außerdem durch Gesetzesänderungen verhindern, dass künftig Stammbelegschaften durch Leiharbeiter ersetzt werden können. Wenn Ex-Mitarbeiter eines Betriebs als Leiharbeiter wieder eingestellt werden, sollen sie den gleichen Lohn wie ihre fest angestellten Kollegen erhalten. Lässt sich dadurch ein neuer Fall Schlecker verhindern?

Die Absicht, den Drehtür-Effekt zu unterbinden, ist richtig. Der Fall Schlecker darf keine Schule machen. Aber bei der vorgelegten Regelung bleiben viele Fragen offen. Wir sehen immer noch eine ganze Reihe von Schlupflöchern. Außerdem hindert es ein Unternehmen nicht daran, Mitarbeiter zu entlassen – und andere, billigere Leiharbeiter einzustellen. Da hilft nur gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Bietet die Leiharbeit vielen Menschen nicht die Chance, einen festen Job in einem Betrieb zu finden?

Das ist leider nur sehr selten der Fall. Nur sieben Prozent werden von den Entleihunternehmen übernommen. Auch eine Dauerbeschäftigung in der Leiharbeit ist sehr selten. Es gibt keine Perspektive, gerade dies wird von den Menschen als Belastung empfunden. Viele Arbeitgeber nutzen Leiharbeit nicht, um Auftragsspitzen flexibel abfangen zu können, sondern um Teile der Stammbelegschaft auszuwechseln und systematisch die Löhne zu drücken. Dagegen wehren wir uns.

Die Fragen stellte Cordula Eubel

Der Tagesspiegel, 19.6.2010l


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