Deutscher Gewerkschaftsbund

11.04.2016
Tarifrunde

Wir für Mehr!...Gerechtigkeit!

einblick 06/2016

In der Tarifrunde 2016 der Metall- und Elektroindustrie geht es nicht nur um mehr Einkommen für die Beschäftigten, sondern auch darum, der Destabilisierung des gesamten Tarifsystems entgegenzuwirken. Weshalb beides zusammengehört, erklärt Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall.

Flagge der IG Metall

DGB/Simone M. Neumann

IG-Metall-Tarifrunde 2016. Anfang März haben die Verhandlungen für die diesjährige Tarifbewegung in der Metall- und Elektroindustrie begonnen. Die IG Metall fordert eine Erhöhung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um fünf Prozent. Neben der Lohnforderung steht für die IG Metall aber noch ein Ziel auf der Agenda, das nicht an den Verhandlungstischen mit den Arbeitgeberverbänden entschieden wird: Die Zahl der tarifgebundenen Betriebe soll erhöht werden.

„Tarifflüchtige Betriebe
verschaffen sich unfaire Vorteile
zu Lasten der tarifgebundenen,
verantwortungsvollen Arbeitgeber.“

Der deutschen Wirtschaft geht es gut. Sie blickt auf ein überdurchschnittlich umsatz- und renditereiches Jahr 2015 zurück. So lag die Nettorendite in der Metall- und Elektroindustrie (MuE) im Jahr 2015 bei 3,6 Prozent des Umsatzes. Das ist ein Reingewinn von 37 Milliarden Euro nach Steuern. Die Auslastung lag zuletzt zum wiederholten Mal über der Normalauslastung. Die Beschäftigung nahm um elf Prozent gegenüber 2010 zu. Selbst die Erhöhung der Lohnstückkosten im Jahr 2015 konnte der hohen Ertragskraft der MuE-Industrie nichts anhaben.

Porträt Jörg Hofmann

Jörg Hofmann, 60, ist seit 2015
Erster Vorsitzender der IG Metall.
Zuvor war er von 2003 bis 2013
Leiter des IG-Metall-Bezirks Baden-
Württemberg und von 2013 bis
2015 Zweiter Vorsitzender
der IG Metall.
IG Metall

Für das laufende Jahr 2016 sehen die Prognosen der meisten Wirtschaftsinstitute ein Wachstum in Höhe von 1,8 Prozent voraus. Angesichts dieser Rahmenbedingungen will die IG Metall einen angemessenen Anteil an der positiven wirtschaftlichen Entwicklung für die Beschäftigten durchsetzen. Die Forderung von fünf Prozent berücksichtigt auch die gestiegenen Risiken und soll gerade deshalb einen Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaft leisten. Wie im vergangenen Jahr, wird auch 2016 der private Konsum wieder die wichtigste Stütze für das Wachstum der deutschen Wirtschaft sein – gerade angesichts der internationalen Unsicherheiten. Die Tarifforderung ist von den Unternehmen finanzierbar, und sie ist wirtschaftlich vernünftig. Umso mehr verwundert es, mit welcher Intensität die Arbeitgeber schon seit Beginn des Jahres versuchen, die Forderung als überhöht zu brandmarken. Da ist die Rede von Höhenflügen, von fehlender Bodenhaftung, und auch die altbekannten Drohungen von der fehlenden Konkurrenzfähigkeit, dem Verlust und der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland werden wieder hervorgeholt. Es zeichnet sich deutlich eine harte Auseinandersetzung ab.

Das gilt nicht weniger für das zweite Ziel, das sich die IG Metall für die Tarifbewegung 2016 und darüber hinaus vorgenommen hat – die Reichweite der Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie zu erhöhen und mehr Betriebe in die Tarifbindung zu bringen. Das gilt sowohl für originäre Betriebe der MuE-Industrie als auch für Werkvertragsunternehmen in deren Wertschöpfungskette. Damit will die IG Metall gegen die Tarifflucht und die zurückgehende Tarifbindung angehen. Seit Beginn der 1990er Jahre nahm die Zahl der tarifgebundenen Betriebe und Beschäftigten stetig ab. Zwar konnte der Sinkflug in den vergangenen zehn Jahren gestoppt werden, doch galten die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie zuletzt nur noch für die Hälfte der Beschäftigten.

„Die Tarifbindung ist zur
entscheidenden Gerechtigkeitsfrage
geworden für die Beschäftigten,
für die Gesellschaft und für die
Volkswirtschaft.“

Die Abnahme der Tarifbindung hat gravierende Folgen. Die Unternehmen entziehen sich dem Aushandlungsmechanismus für eine gerechte Verteilung des Wohlstands zwischen Lohneinkommen und Gewinnen. Das ist einer der Gründe dafür, warum die Lohnquote seit Beginn der 1990er Jahre kontinuierlich gesunken ist. Knapp die Hälfte der Beschäftigten in der MuE-Industrie arbeitet in Betrieben ohne Tarifvertrag und nimmt an den Lohnsteigerungen durch Tariferhöhungen nicht mehr teil. Die Tarifflucht führt zudem zu Ungerechtigkeit zwischen den Beschäftigten. So verdienen Beschäftigte in tarifungebundenen Betrieben im Durchschnitt 24 Prozent weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen in tarifgebundenen Unternehmen. Je nach Beschäftigung betragen die Unterschiede bis zu 32 Prozent, und auch der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern, der so genannte Gender Pay Gap, ist in nicht tarifgebundenen Betrieben deutlich höher. Nicht zuletzt verschaffen sich die tarifflüchtigen Betriebe auch noch unfaire Vorteile zu Lasten der tarifgebundenen, verantwortungsvollen Arbeitgeber. Die Tarifbindung ist zur entscheidenden Gerechtigkeitsfrage geworden für die Beschäftigten, für die Gesellschaft und für die Volkswirtschaft. Deshalb kann es in der Tarifbewegung 2016 nicht nur darum gehen, für die Beschäftigten, die Teil des Tarifsystems sind, eine angemessene Entgelterhöhung durchzusetzen. Es muss auch darum gehen, die Destabilisierung des gesamten Tarifsystems zu verhindern. Wenn es also demnächst vor Betriebstoren heißen wird: „Wir für mehr“, dann ist diesmal nicht nur gemeint: „Wir für mehr Entgelt“, sondern auch: „Wir für mehr Gerechtigkeit! Wir für Mehr Tarifbindung!“

Erschienen in: einblick 6/2016 vom 11. April 2016


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