Deutscher Gewerkschaftsbund

04.10.2012

Ausbildungsmarkt: "Die Stelle muss man erst mal kriegen"

Tausende Jugendliche finden Jahr für Jahr nach der Schule keinen Ausbildungsplatz. Gleichzeitig melden Arbeitgeberverbände immer wieder einen Bewerbermangel und beklagen, dass viele junge Menschen „nicht ausbildungsreif“ seien. Aber wie sieht der Ausbildungsmarkt vor Ort tatsächlich aus? Wir haben auf einer Ausbildungsmesse nachgefragt - eine Momentaufnahme aus Brandenburg.

Plakat einer Ausbildungsmesse

"Find raus, was passt." Die Ausbildungsmesse im brandenburgischen Königs Wusterhausen hat die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Dahme-Spreewald organisiert. DGB/Steinborn

Ein Samstagvormittag Ende September, Oberstufenzentrum Brückenstraße im brandenburgischen Königs Wusterhausen. Vor der Turnhalle steht ein Aufsteller mit einem Plakat und der Aufschrift „Ausbildungsmesse Landkreis Dahme-Spreewald. Find raus, was passt.“ – darunter das Bild zweier Fische im Goldfischglas.

Ausbildung statt Jobcenter

Wer vom Parkplatz zum Eingang der Turnhalle geht, muss vorbei am örtlichen Jobcenter, einem grauen Zweckbau. „Da wollen wir nicht hin, oder?“, scherzt eine Mutter, die mit ihrem Sohn den Weg zur Turnhalle nimmt. Er sagt nichts. Vor der Turnhalle stehen zwei Bagger einer Baumaschinenfirma, die so potenzielle BewerberInnen auf sich aufmerksam machen will. Rund 40 Unternehmen und Behörden aus der Region präsentieren sich zwischen Kletterwänden und Basketball-Körben und werben um Auszubildende. Die Messe ist gut besucht, die Gänge zwischen den Ständen voll mit Jugendlichen und ihren Eltern. „Siehst du, die suchen alle jemanden“, sagt die Mutter, die über das Jobcenter gescherzt hatte. „Aber die Stellen muss man auch erst mal kriegen“, antwortet ihr Sohn.

Viele Bewerbungen – trotzdem keine Stelle

Er heißt Tim, ist seit kurzem mit der Oberschule fertig – und hat noch keine Ausbildungsstelle. Obwohl er nicht wählerisch ist, wie er sagt. Wie schwierig es für ihn und seine Freunde sei, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, will ich wissen. „Die meisten, die schnell einen Platz bekommen haben, kannten irgendjemand in einer Firma“, sagt Tim. „Und die anderen schreiben hunderte Bewerbungen und bekommen trotzdem nichts“, fügt er hinzu. „Aber deswegen sind wir ja hier. Damit du die Leute kennenlernst“, sagt Tims Mutter. „Wir kennen ja leider keinen mehr in einem Betrieb, wir sind ja auch alle arbeitslos“, sagt sie, lacht verlegen und begleitet ihren Sohn zum ersten Stand.

DGB fordert Ausbildungsgarantie

Dutzende Bewerbungen und trotzdem keinen Ausbildungsplatz? Fälle wie den von Tim soll es nach dem Willen des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in Zukunft nicht mehr geben: Der DGB fordert eine Ausbildungsplatzgarantie für alle jungen Menschen. Diese Garantie soll in den Sozialgesetzbüchern verankert werden. Für Jugendliche, die trotz Bewerbung ohne Ausbildungsplatz bleiben, müssen außer- und überbetriebliche Ausbildungsplätze bereitgestellt werden, die einen engen Bezug zur betrieblichen Praxis ermöglichen.
Mehr Infos zur Ausbildungsgarantie

Ausbildungsstart: Die wichtigsten Fragen und Antworten

Wie sollte mein Ausbildungsvertrag aussehen? Muss ich als Azubi Überstunden machen? Kann ich meinen Ausbildungsplatz auch noch wechseln? Vor und zu Beginn einer Ausbildung haben junge Menschen viele Fragen. Die DGB-Jugend bietet mit der Online-Beratung Dr. Azubi Hilfe. Die wichtigsten Fragen und Antworten haben wir hier zusammengefasst.

Auch Julia ist mit ihrer Mutter zur Ausbildungsmesse gekommen. In der Hand hält sie Broschüren und Flyer mehrerer Firmen. „Die sind alle total freundlich und erklären einem genau, was man bei ihnen lernen kann“, sagt Julia, die in die zehnte Klasse einer Oberschule geht. Eigentlich wolle sie Tierarzthelferin werden. „Aber einen Tierarzt gibt es hier nicht“, sagt sie ein wenig enttäuscht. Stattdessen habe sie sich aber über mehrere Gesundheitsberufe informiert. Ein Flyer ist von einem Sozialverband, ein anderer von einem großen Klinikkonzern. Ob sie sich auch über die Arbeitsbedingungen ihrer möglichen Arbeitgeber informiert habe, frage ich. „Wie viel Geld man bekommt meinen Sie? Ja, das habe ich auch gefragt. Das ist in Ordnung.“ „Außerdem kann sie noch zuhause wohnen“, sagt Julias Mutter. „Da braucht man ja noch nicht so viel.“

Werben um die Besten

Am Stand eines Industrieunternehmens aus der Region drängen sich sechs oder sieben Jugendliche. „Die Tätigkeit bei uns ist sehr vielseitig. Ihr bekommt Einblick in viele verschiedene Produktionsbereiche“, erklärt ihnen der Mitarbeiter der Firma. Die Jugendlichen informieren sich über Bewerbungsfristen, Ausbildungsberufe und Bezahlung. Als es wieder leerer geworden ist, suche ich das Gespräch: „Sie werben ja richtig um die Azubis.“ „Klar, deswegen sind wir ja hier.“ Ob es Probleme bereite, Bewerber zu finden, frage ich. „Wir bekommen Dutzende Bewerbungen. Aber wir suchen die Besten.“


Was denn „die Besten“ ausmache, frage ich nach. „Wenn Sie die Auswahl hätten zwischen einem Oberschüler mit Durchschnittsnoten und einem technikinteressierten Abiturienten oder Oberschüler mit Top-Noten, würden Sie doch auch den Zweiten nehmen“, sagt er. Und um diese Jugendlichen müsse man eben werben. Doch nicht nur BewerberInnen mit Bestnoten haben eine Chance. „Das Engagement ist wichtig“, sagt der gelernte Industriemechaniker. Genau deswegen seien Ausbildungsmessen wie diese für Unternehmen so wertvoll: „Wer an einem Samstag Freizeit opfert, hier auf eine Messe kommt und sich informiert, der zeigt schon dadurch Interesse und Engagement. Die sind interessant für uns.“

Vom Bauernverband bis zur Bundeswehr

Tatsächlich fällt auf, dass sich alle Arbeitgeber an diesem Samstag in den persönlichen Gesprächen mit den Jugendlichen mächtig ins Zeug legen, um für ihre Ausbildungsberufe zu werben. Viele haben Auszubildende aus ihren Betrieben mitgebracht, die die künftigen Azubis überzeugen sollen: Die Küche eines örtlichen Hotels wirbt mit der Kreativität des Kochberufs, der Bauernverband Südbrandenburg mit Arbeit in der Natur und großen Landmaschinen, die Finanzverwaltung mit der Sicherheit der Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst und eine Baufirma mit dem Wortspiel, dass man als Azubi bei ihr alles „anbaggern“ dürfe. Auch die Bundeswehr ist präsent und informiert über zivile Ausbildungs- und kostengünstige Studiengänge.

Bankkaufleute und Mechatroniker sind am zufriedensten

Jedes Jahr nimmt die DGB-Jugend die 25 häufigsten Ausbildungsberufe mit ihrem Ausbildungsreport unter die Lupe. Dafür werden Azubis zu ihren Erfahrungen in der Ausbildung befragt. Die besten Beurteilungen für die Qualität der eigenen Ausbildung gab es 2012 erneut von angehenden Bank- und Industriekaufleuten sowie von Mechatronikern. Auf den letzten drei Rängen sind wie im Vorjahr die Ausbildungsgänge für FachverkäuferInnen im Lebensmittelhandwerk sowie für Restaurant- und Hotelfachleute gelandet.
Zum Ausbildungsreport 2012

Trotz des großen Angebots wirken viele Jugendliche und ihre Eltern nach einigen Minuten auf der Messe nervös, beginnen zu diskutieren. Auch Tims Mutter: „Die haben ja alle bald schon Bewerbungsschluss“, sagt sie. In der Tat steht an vielen Ständen ein Hinweisschild mit den Bewerbungsfristen: in der Regel November oder Dezember 2012. Und das für den Ausbildungsbeginn in 2013.

Ein Jahr im Voraus bewerben

„Wir müssen uns die Leute eben so früh wie möglich sichern“, erklärt die Mitarbeiterin eines Pflegeanbieters. „Wenn wir erst nächstes Jahr anfangen zu suchen, sind die Besten schon weg.“ Schon wieder der Begriff: „die Besten“. Ich frage die Pflegekraft, ob sie meint, dass die Jugendlichen hier auf der Messe zu „den Besten“ gehören und einen Ausbildungsplatz in der Region finden werden – die Antwort kommt mir bekannt vor: „Die Jugendlichen hier auf der Messe sind ja nicht das Problem. Wer hier hin kommt, Einsatz zeigt und sich so früh schon kümmert, der findet in der Regel auch eine Stelle.“ Und die anderen, frage ich. „Das kann ich nicht sagen. Aber ich denke, die werden Probleme bekommen.“ Die Eltern müssten ihre Kinder auch mal an die Hand nehmen und sich mit um die Ausbildungsplatzsuche kümmern, fügt sie noch hinzu.

„Ich muss den Job mein ganzes Leben machen“

Tim steht am Stand einer großen schwedischen Möbelhauskette, seine Mutter dahinter. Er unterhält sich lange mit der Mitarbeiterin. Nach dem Gespräch will ich wissen, wie es gelaufen ist. „Meine Noten wären für die ok“, sagt Tim. „Bei denen im Lager arbeiten wäre cool. Gabelstapler fahren.“ Er grinst. Auf jeden Fall will er eine Bewerbung abschicken. „Aber erst lassen wir uns nochmal beim Amt beraten, wie du die am besten schreibst“, sagt seine Mutter. „Da musst du dir jetzt ein bisschen mehr Mühe geben.“

Julia steht mit ihrer Mutter in der provisorisch eingerichteten Turnhallen-Cafeteria. Sie will sich noch Zeit mit ihrer Entscheidung lassen. „Ich muss den Job ja vielleicht mein ganzes Leben lang machen. Da will ich vorher schon gut überlegen“, sagt sie. Krankenschwester könne sie sich nach dem Messebesuch aber auch als Beruf vorstellen – statt Tierarzthelferin. „Ist kein schlechter Beruf, bin ich ja schließlich auch“, sagt ihre Mutter und nippt an ihrem Kaffee.

(Text: Timm Steinborn)

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