Deutscher Gewerkschaftsbund

28.05.2018

Mobilitätspaket: 3 Fragen an Stefan Körzell

Warum ist der Transportsektor bei der Entsenderichtlinie ausgeklammert worden? Was bedeutet das für die Fahrer? Und wie kann man die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern? DGB-Vorstand Stefan Körzell beantwortet die wichtigsten Fragen zum Mobilitätspaket.

DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell

DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell DGB/Simone M. Neumann

Die Beratungen des Europäischen Parlaments zum Mobilitätspaket gehen in die entscheidende Phase. Aus Beschäftigtensicht drohen negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen von LKW-Fahrern. Doch zeigt der Fahrermangel bereits heute schon, dass die Arbeitsbedingungen flächendeckend inakzeptabel sind. Ohne entscheidende Korrekturen im Mobilitätspaket droht eine weitere Verschärfung dieser unannehmbaren Zustände.


3 Fragen an... DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell

Die Entsenderichtlinie ist von der EU evaluiert worden. Leider blieb der Transportsektor außen vor. Warum hat Brüssel diese Entscheidung getroffen?

Stefan Körzell: Die Kommission hat von Anfang an sektorspezifische Ausnahmen von den Mindeststandards und Schutzbestimmungen der Entsenderichtlinie vorgesehen. Angeblich hat die Auswertung der Sozialvorschriften gezeigt, dass sie weder effizient noch wirksam sind. Die Kommission sieht darin die Wurzel für schlechtere Arbeitsbedingungen und Wettbewerbsverzerrungen. Die Unterschiede bei der jeweiligen nationalen Umsetzung der Gesetze soll eine „Fragmentierung des Binnenmarktes“ verursacht haben.

Tatsächlich geht es darum, Unternehmen zu schützen, die vor allem auf Lohn- und Sozialdumping setzen und deshalb Fahrer auf monatelange Touren schicken. Dagegen muss der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort für Mann und Frau“ durchgesetzt werden.

Welche weiteren Nachteile haben Fahrer nun zu erwarten? Bereits jetzt leben sie über lange Zeiträume nur in ihren Fahrzeugen und auf Rastplätzen.

Stefan Körzell: Grundsätzlich kritisieren wir, dass die Kommission ihren Weg der Liberalisierung und Deregulierung weitergehen will, allen Versprechungen für ein sozialeres Europa zum Trotz. Bessere Kontrollen und die Durchsetzung der Regeln spielen kaum eine Rolle. Unser zentraler Kritikpunkt ist, dass die Schutzbestimmungen der Entsenderichtlinie für die Beschäftigten im Verkehrssektor erst nach mehreren Tagen gelten sollen. So würde Monat für Monat ein Dumping-Fenster geöffnet.

Zweitens sollen die Lenk- und Ruhezeiten so verändert werden, dass LKW-Fahrer drei Wochen am Stück in Europa unterwegs sein dürften. Sie müssten dann mindestens 20 statt 12 Tage am Stück im LKW verbringen. Die Kommission hatte zwar vorgeschlagen, dass dem Fahrer dann eine Rückkehr an den Wohnort zusteht. Aktuell schlägt die Ratspräsidentschaft allerdings vor, dass die reguläre Ruhezeit auch in abgegrenzten Zonen auf Raststätten verbracht werden kann. Dabei geht es aber nur um versicherungsrechtliche Fragen, bessere Bedingungen für die LKW-Fahrer spielen keine Rolle.

Die Obergrenze von maximal drei Kabotage-Operationen in einer Woche soll abgeschafft werden. Das wäre Rückenwind für Speditionen, die darauf setzen die Lohnkosten zu drücken. Durch diese Änderungen werden effiziente Kontrollen zusätzlich erschwert – das genaue Gegenteil dessen, was die Kommission eigentlich erreichen will.

Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um die Situation der Fahrer nachhaltig zu verbessern? Was müssen Gewerkschaften und Interessenvertretungen unternehmen?

Stefan Körzell: Der DGB fordert schon lange, die Gesetze nicht an die illegale Praxis anzupassen, sondern geltende Regeln wirksamer zu kontrollieren. Deshalb muss der digitale Fahrtenschreiber spätestens ab 2021 verpflichtend eingeführt werden, wie es der Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments vorgeschlagen hat. So kann die Kontrolldichte endlich erhöht werden. Geschäftsmodelle, die ausschließlich auf die Umgehung von Steuer- und Sozialgesetzen zielen, könnten wirksamer bekämpft werden.

Damit wirkliche Verbesserungen für LKW-Fahrer aus Ost- wie Westeuropa erreicht werden, muss die Entsenderichtlinie auch im Verkehr vom ersten Tag an gelten –  für alle Fahrten mit internationaler Beteiligung, egal, ob es sich um Kabotage, kombinierten oder grenzüberschreitenden Verkehr handelt. Die Mindestlohnregelungen müssen durchgesetzt werden. Weder die Lenk- und Ruhezeiten noch die Kabotage-Regelungen dürfen ausgeweitet werden. Wir brauchen mehr Personal für Kontrollen und die schnelle Einführung digitaler Tachographen. Alle Regeln müssen auch für Kleinbusse und LKW unter 3,5 Tonnen gelten.

Das Straßenverkehrspaket der EU-Kommission wird die Rahmenbedingungen für den grenzüberschreitenden Transport entscheidend bestimmen. Im Koalitionsvertrag kündigen Union und SPD den Kampf gegen Sozialbetrug und Sozialdumping an. Dem müssen Taten folgen: Die Bundesregierung muss sich in dieser entscheidenden Phase klar auf der Seite der Beschäftigten positionieren.


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