Die deutschen Hochschulen erleben einen historischen Umbruch. Sie werden nach dem Vorbild privatwirtschaftlicher Steuerung umgebaut - die Demokratische und Soziale Hochschule bleibt zunehmend auf der Strecke. Um dem etwas entgegen zu setzen haben Hans-Böckler-Stiftung, DGB und Gewerkschaften das Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule erarbeitet.
Von Michael Sommer
Die soziale Spaltung in unserem Bildungswesen zeigt sich auch an den Hochschulen: Noch immer muss man Arbeiterkinder an den deutschen Hochschulen mit der Lupe suchen: Die aktuelle Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks untermauert diesen Befund. Von 100 Kindern, die nicht aus Akademiker-Familien stammen, schaffen es nur 24 an die Hochschule. Bei Kindern aus Akademiker-Familien sind es 71. Noch immer finden Menschen ohne Abitur kaum den Weg an unsere Hochschulen. Gerade einmal ein Prozent der Studierenden ist ohne Abitur an die Hochschulen gelangt.
Das BAföG ermöglicht vielen Menschen aus ärmeren Familien ein Studium. In den vergangenen Jahren wurde es systematisch geschwächt. Lag die Zahl der BAföG-Empfänger in den 70er Jahren noch bei knapp 50 Prozent, ist sie heute auf unter 20 Prozent gesunken. Allein im vergangenen Jahrzehnt hat man den BAföG-Beziehern sieben Nullrunden zugemutet.
Kurzum: Der Weg in die Bildungsrepublik Deutschland ist sehr weit. In kaum einem anderen Land hängen die Bildungschancen der Kinder so sehr vom Geldbeutel ihrer Eltern ab wie in Deutschland. Bildung und eben auch Hochschulbildung ist und bleibt ein Erb-Privileg der höheren Schichten!
Gute Bildung und gute Hochschulen sind aber kein Luxus, den man sich in guten Zeiten gönnen kann. Dabei geht es nicht nur darum, dass in der modernen Arbeitswelt der Bedarf an Hochqualifizierten wächst. Bildung hat längst eine weitere Funktion übernommen. Gute Bildung und Bildungsabschlüsse sind ein wichtiger Platzanweiser in unserer Gesellschaft. Die Zeugnisse unsere Schulen und Hochschulen entscheiden über die Berufsperspektiven und damit auch Lebensperspektiven der Menschen. Bildungsfragen sind deshalb Machtfragen.
"Gute Bildung und Bildungsabschlüsse sind ein wichtiger Platzanweiser in unserer Gesellschaft. Bildungsfragen sind deshalb Machtfragen. Die Gewerkschaften werden diesem Verteilungskampf nicht tatenlos zu sehen. Wir verstehen Bildung als soziale Frage."
Die Gewerkschaften werden diesem Verteilungskampf nicht tatenlos zu sehen. Wir verstehen Bildung als soziale Frage. Wir können die Interessen unserer Kolleginnen und Kollegen nur machtvoll vertreten, wenn wir uns um Bildungsfragen kümmern. Es ist kein Zufall, dass am Anfang der Gewerkschaftsbewegung gerade Arbeiterbildungsvereine standen.
Und deshalb kämpfen wir auch heute für Chancengleichheit im Bildungswesen. Wir kämpfen für das Recht auf einen Kita-Platz - und gegen die soziale Auslese im gegliederten Schulsystem. Wir streiten gegen kurze Schmalspurausbildungen, die junge Menschen zu Handlangern in Betrieben degradieren. Wir streiten gegen soziale Barrieren auf dem Weg in die Hochschulen – sei es durch Studiengebühren, die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen oder eine schlecht gemachte Bologna-Reform. Wir kämpfen auch gegen soziale Spaltung bei der Beteiligung an wissenschaftlicher Weiterbildung.
Wenn heute fast 40 Prozent eines Jahrgangs an die Hochschule wechseln, dann sind eben auch die Hochschulen ein wesentlicher Teil des Verteilungskampfes. Und deshalb muss die Hochschulpolitik einen ähnlichen Stellenwert bei den Gewerkschaften haben wie die berufliche Bildung.
Das „Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule“ ist der gewerkschaftliche Vorschlag für die Hochschulen der Zukunft. Ich will vier Punkte hervorheben.
Oft werden wir gefragt, wie wir diese Bildungsreformen bezahlen wollen. Letztlich ist alles eine Frage der Prioritäten. Union und FDP müssen sich entscheiden: Wollen sie kostspielige Steuersenkungen für reiche Erben und Firmen? Wollen sie 35 Milliarden in eine Kopfpauschale im Gesundheitswesen stecken? Oder wollen sie mehr Geld in ein gutes Bildungswesen investieren?
Und natürlich gibt es auch Spielraum zur Umverteilung im System: Warum finanziert der Staat mit Milliarden handverlesene Exzellenz-Universitäten, während in den Hörsälen der Putz von den Wänden bröckelt, Studierende wie bei einer Tombola aus den Seminaren gelost werden und viele Hochschulen junge Menschen mit lokalen NCs vom Studium ausgrenzen? Die Gewerkschaften wollen keine Leuchttürme in der Wüste. Wir wollen flächendeckend gut ausgestattete, öffentliche Hochschulen.
Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion
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