Deutscher Gewerkschaftsbund

21.11.2011
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Michael Sommer - "Wir verstehen Bildung als soziale Frage“

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Die deutschen Hochschulen erleben einen historischen Umbruch. Sie werden nach dem Vorbild privatwirtschaftlicher Steuerung umgebaut - die Demokratische und Soziale Hochschule bleibt zunehmend auf der Strecke. Um dem etwas entgegen zu setzen haben Hans-Böckler-Stiftung, DGB und Gewerkschaften das Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule erarbeitet.

Von Michael Sommer

Die soziale Spaltung in unserem Bildungswesen zeigt sich auch an den Hochschulen: Noch immer muss man Arbeiterkinder an den deutschen Hochschulen mit der Lupe suchen: Die aktuelle Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks untermauert diesen Befund. Von 100 Kindern, die nicht aus Akademiker-Familien stammen, schaffen es nur 24 an die Hochschule. Bei Kindern aus Akademiker-Familien sind es 71. Noch immer finden Menschen ohne Abitur kaum den Weg an unsere Hochschulen. Gerade einmal ein Prozent der Studierenden ist ohne Abitur an die Hochschulen gelangt.

Das BAföG ermöglicht vielen Menschen aus ärmeren Familien ein Studium. In den vergangenen Jahren wurde es systematisch geschwächt. Lag die Zahl der BAföG-Empfänger in den 70er Jahren noch bei knapp 50 Prozent, ist sie heute auf unter 20 Prozent gesunken. Allein im vergangenen Jahrzehnt hat man den BAföG-Beziehern sieben Nullrunden zugemutet.

Kurzum: Der Weg in die Bildungsrepublik Deutschland ist sehr weit. In kaum einem anderen Land hängen die Bildungschancen der Kinder so sehr vom Geldbeutel ihrer Eltern ab wie in Deutschland. Bildung und eben auch Hochschulbildung ist und bleibt ein Erb-Privileg der höheren Schichten!

Gute Bildung und gute Hochschulen sind aber kein Luxus, den man sich in guten Zeiten gönnen kann. Dabei geht es nicht nur darum, dass in der modernen Arbeitswelt der Bedarf an Hochqualifizierten wächst. Bildung hat längst eine weitere Funktion übernommen. Gute Bildung und Bildungsabschlüsse sind ein wichtiger Platzanweiser in unserer Gesellschaft. Die Zeugnisse unsere Schulen und Hochschulen entscheiden über die Berufsperspektiven und damit auch Lebensperspektiven der Menschen. Bildungsfragen sind deshalb Machtfragen.

"Gute Bildung und Bildungsabschlüsse sind ein wichtiger Platzanweiser in unserer Gesellschaft. Bildungsfragen sind deshalb Machtfragen. Die Gewerkschaften werden diesem Verteilungskampf nicht tatenlos zu sehen. Wir verstehen Bildung als soziale Frage."

Die Gewerkschaften werden diesem Verteilungskampf nicht tatenlos zu sehen. Wir verstehen Bildung als soziale Frage. Wir können die Interessen unserer Kolleginnen und Kollegen nur machtvoll vertreten, wenn wir uns um Bildungsfragen kümmern. Es ist kein Zufall, dass am Anfang der Gewerkschaftsbewegung gerade Arbeiterbildungsvereine standen.

Und deshalb kämpfen wir auch heute für Chancengleichheit im Bildungswesen. Wir kämpfen für das Recht auf einen Kita-Platz - und gegen die soziale Auslese im gegliederten Schulsystem. Wir streiten gegen kurze Schmalspurausbildungen, die junge Menschen zu Handlangern in Betrieben degradieren. Wir streiten gegen soziale Barrieren auf dem Weg in die Hochschulen – sei es durch Studiengebühren, die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen oder eine schlecht gemachte Bologna-Reform. Wir kämpfen auch gegen soziale Spaltung bei der Beteiligung an wissenschaftlicher Weiterbildung.

Wenn heute fast 40 Prozent eines Jahrgangs an die Hochschule wechseln, dann sind eben auch die Hochschulen ein wesentlicher Teil des Verteilungskampfes. Und deshalb muss die Hochschulpolitik einen ähnlichen Stellenwert bei den Gewerkschaften haben wie die berufliche Bildung.

Das „Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule“ ist der gewerkschaftliche Vorschlag für die Hochschulen der Zukunft. Ich will vier Punkte hervorheben.

  1. Es geht um den freien Zugang zu den Hochschulen. Und dazu gehört für uns ganz klar die Abschaffung der Studiengebühren. Wer Facharbeitern und Kleinverdienern mehr Bildung ermöglichen will, muss Bildungsgebühren vom Kindergarten bis zur Hochschule abschaffen. Eine aktuelle Studie des Hochschul-Informationssystems (HIS) hat gefragt, warum rund 86.000 potenzielle Studierende nach dem Abitur kein Studium beginnen. Ein Drittel dieser jungen Menschen gab an, dass ihnen schlicht das Geld dafür fehlt. Der Ansturm deutscher Studierender auf Österreich, das gerade seine Studiengebühren gestrichen hat, zeigt, wie abschreckend Gebühren wirken.


  2. Die Bundesregierung hat das so genannte Deutschland-Stipendium aufgelegt und will es zu einer festen Säule der Studienfinanzierung machen. Das ist der falsche Weg. Das Herzstück einer staatlichen Studienfinanzierung muss das BAföG sein. Es bietet den Studierenden einen klaren Rechtsanspruch, während sie beim Stipendium auf das Wohlwollen der Geldgeber angewiesen sind. Das BAföG ist seit den 70er Jahren besonders für ärmere Familien die Strickleiter für den sozialen Aufstieg. Deshalb: Wir haben nichts gegen Stipendien. Sie können aber ein starkes BAföG nur ergänzen.


  3. Die Machtfrage stellt sich auch innerhalb der Hochschulen. Unter dem Schlagwort der Autonomie wird die Demokratie an den Hochschulen Schritt für Schritt abgebaut. Externe – oft einseitig zusammengesetzte – Hochschulräte hebeln Mitbestimmung und Partizipation an den Hochschulen vielfach aus. Das alles passt nicht zu einer demokratischen Hochschule, die ja noch immer in öffentlicher Verantwortung steht. Wir wollen echte Mitbestimmung an den Hochschulen – auch für die Beschäftigten und die Studierenden. Deshalb müssen diese Hochschulräte abgeschafft werden.


  4. Ein Machtgefälle gibt es noch immer zwischen Hochschulen und beruflicher Bildung. Hier sind nicht die Arbeitgeber die Bremser. Viele Hochschulen mauern, wenn es um die Aufnahme von Menschen ohne Abitur geht. Wenn wirklich alle Menschen ihre Begabungen entfalten sollen, müssen die Barrieren zwischen Hochschule und beruflicher Bildung eingerissen werden. Grundsätzlich muss eine abgeschlossene Berufsausbildung den Zugang zur Hochschule öffnen. Es reicht aber nicht aus, nur den Zugang zu regeln. Wenn wir mehr Menschen, die im Berufsleben stehen, an die Hochschulen bringen wollen, brauchen wir auch mehr berufsbegleitende Studiengänge, eine bessere Anerkennung beruflicher Leistungen, veränderte Curricula und eine bessere Studienförderung.


Oft werden wir gefragt, wie wir diese Bildungsreformen bezahlen wollen. Letztlich ist alles eine Frage der Prioritäten. Union und FDP müssen sich entscheiden: Wollen sie kostspielige Steuersenkungen für reiche Erben und Firmen? Wollen sie 35 Milliarden in eine Kopfpauschale im Gesundheitswesen stecken? Oder wollen sie mehr Geld in ein gutes Bildungswesen investieren?

Und natürlich gibt es auch Spielraum zur Umverteilung im System: Warum finanziert der Staat mit Milliarden handverlesene Exzellenz-Universitäten, während in den Hörsälen der Putz von den Wänden bröckelt, Studierende wie bei einer Tombola aus den Seminaren gelost werden und viele Hochschulen junge Menschen mit lokalen NCs vom Studium ausgrenzen? Die Gewerkschaften wollen keine Leuchttürme in der Wüste. Wir wollen flächendeckend gut ausgestattete, öffentliche Hochschulen.


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