Deutscher Gewerkschaftsbund

28.07.2017
Einkommen

DGB-Faktencheck: Niedriglöhne in Deutschland

Der Niedriglohnsektor bietet Geringqualifizierten ein "Sprungbrett" in den Arbeitsmarkt und in besser bezahlte Tätigkeiten, behaupten die Arbeitgeber. Der DGB-Faktencheck zeigt: Das ist falsch. Selbst die OECD widerspricht den Arbeitgeber-Thesen.

gestapelte goldene Geldmünzen

Colourbox.de

Fakt oder Fake?

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) stellt die Thesen auf:

  • der Niedriglohnsektor ist für Geringqualifizierte ein „Sprungbrett in gute Beschäftigung“
  • der Niedriglohnsektor ist ein Einstieg in besser entlohnte Tätigkeiten

DGB-Faktencheck

Niedriglohnsektor ist kein "Sprungbrett" für Geringqualifizierte

Der Niedriglohnbereich wächst nicht mehr – auch dank des Mindestlohns und der guten Konjunktur. Wenn die Wirtschaft boomt, müsste auch der Niedriglohnsektor kleiner werden. Das ist aber nicht der Fall. Das reiche Deutschland hat den größten Niedriglohnbereich in Westeuropa – nur übertroffen von den EU-Ländern Lettland, Rumänien, Litauen, Polen und Estland. Mehr als jeder fünfte Beschäftigte muss für weniger als 10 Euro die Stunde arbeiten.

Die These, der Niedriglohnsektor sei für Geringqualifizierte ein Sprungbrett, ist nicht haltbar. Zwei Drittel der Niedriglohnbeziehenden haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, weitere 10,5 Prozent sogar einen Hochschulabschluss. Die große Mehrheit verfügt also mindestens über ein mittleres Qualifikationsniveau. Wenn die BDA anführt, ein Viertel aller Niedriglohnbezieher steige binnen eines Jahres in eine besser entlohnte Tätigkeit auf, sind das nur begrenzt Geringqualifizierte.

Struktur der Beschäftigten im Niedriglohnbereich nach Bildung (1995 und 2013)

Quelle: IAQ 2015

Niedrige Löhne werden vor allem dort gezahlt, wo die Arbeitgeber sie durchsetzen können, bzw. die Beschäftigten sich nicht ausreichend zur Wehr setzen können. Dabei kommt den Arbeitgebern entgegen, dass das sogenannte Normalarbeitsverhältnis an Bedeutung verliert. Damit werden auch Strukturen zerschlagen, die den Beschäftigten helfen, gute Löhne durchzusetzen, wie Tarifverträge und Mitbestimmung (Betriebsräte). Hartz IV setzt die Menschen zusätzlich unter Druck, eine niedrig bezahlte Beschäftigung aufzunehmen.

Atypische Beschäftigung fördert den Niedriglohnsektor. Vor allem Menschen, die in Leiharbeit, in Werkverträgen, befristet oder als Soloselbstständige arbeiten, erhalten nur niedrige Löhne – das hat wenig mit der Qualifikation zu tun. Vor allem Minijobs gehören zu den Motoren des Niedriglohnsektors: 7,5 Millionen Menschen arbeiten in solchen Kleinstarbeitsverhältnissen, knapp 5 Millionen von ihnen – vorwiegend Frauen – sind ausschließlich darauf angewiesen.

Anteil von Beschäftigten mit Niedriglöhnen in Deutschland 2014
(in Prozent)

Insgesamt

21,4

Minijober/-innen

64,8

Atypisch Beschäftigte

41,1

Leiharbeiter

39,5

Befristet Beschäftigte

33,9

Teilzeit (sozialversicherungspflichtig)

22,8

Vollzeit

10,2

Normalbeschäftigte

9,6

(Angaben Bundesregierung 2016)

Auch OECD widerspricht Arbeitgeber-Thesen

Auch die These, der Niedriglohnsektor sei ein Einstieg in besser bezahlte Beschäftigung, ist nicht haltbar. Die OECD hat in ihren Länderberichten (2014, 2016) wiederholt festgestellt, dass das Armutsrisiko in Deutschland durch den wachsenden Niedriglohnbereich gestiegen ist. „Die Aufwärtsmobilität von einkommensschwachen Arbeitskräften und Geringverdienern hat effektiv abgenommen“ (OECD 2014). Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) spricht von „Einsperreffekten“ atypischer Beschäftigung: „Die Ergebnisse […] zeigen eindeutige Einsperreffekte atypischer Beschäftigung. Das heißt, der Übergang in Normalarbeitsverhältnisse gelingt signifikant schlechter aus atypischer Beschäftigung als aus Arbeitslosigkeit. Einsperreffekte können für alle Formen atypischer Beschäftigung nachgewiesen werden“ (RWI, 2016: Risiken atypischer Beschäftigungsformen für die berufliche Entwicklung und Erwerbseinkommen im Lebensverlauf, S.177, Berlin)

Die meisten Geringverdiener bleiben in der Zone niedrigen Einkommens, sie wechseln nur zwischen verschiedenen Formen prekärer Beschäftigung sowie wiederholten Phasen der Arbeitslosigkeit. Besonders hoch ist die Fluktuation in der Leiharbeit. Die Beschäftigten wechseln vorwiegend zwischen Arbeitslosigkeit und Leiharbeit oder in neue Leiharbeit, aber selten in unbefristete Beschäftigung. Von Oktober 2015 bis September 2016 wurden 349.000 Menschen arbeitslos, die zuvor in Leiharbeit beschäftigt waren (BA 2017). Auch der Übergang aus einem Minijob ist gering.


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