Deutscher Gewerkschaftsbund

09.07.2010
klartext 23/2010

Öffentlicher Dienst: Schlüssel zur Vollbeschäftigung

Mal die Stütze kürzen, mal zur Spargel-Ernte verdammen, mal müssen die Langzeitarbeitslosen Schnee schippen, Straßen fegen oder in Altersheimen vorlesen. An populistischen Vorschlägen mangelt es nicht im Land der Dichter und Denker. Sie werden als untauglich für den ersten Arbeitsmarkt erklärt, um sie dann in den zweiten und dritten Arbeitsmarkt zu drängen. So werden prekäre Beschäftigungsverhältnisse politisch gerechtfertigt. Anstatt den Betroffenen über Weiterqualifizierung eine wahre Aussicht auf einen dauerhaften und gut bezahlten Job anzubieten, wird von ihnen im Gegenzug für den Leistungsbezug die Verrichtung von „Zwangsarbeit“ abverlangt.

Beschäftigte im Öffentlichen Dienst

Damit nicht genug: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden für Hartz IV-Empfänger gestrichen, Qualifizierung spielt für die Langzeitarbeitslosen eine Randrolle. Stattdessen gibt es Ein-Euro-Jobs, die nach einem Bericht des Bundesrechnungshofes kein geeignetes Instrument für die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt darstellen. Noch schlimmer: Sie verdrängen sogar reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Damit hat dieses Instrument nicht nur sein Ziel verfehlt, sondern bewirkt eine volkswirtschaftlich unsinnige und sozial verwerfliche Entwicklung: Die Ausweitung des subventionierten Niedriglohnsektors.

Die Folgen eines solchen arbeitsmarktpolitischen Irrwegs mit den Arbeitnehmern zu „Discounterpreisen“ sind verheerend: Zum einen stellt sich die deutsche Volkswirtschaft dauerhaft auf die Erbringung von Dienstleistungen durch Billigarbeiter ein. Die Volkswirtschaft strukturiert sich allmählich um. Es werden zunehmend Geschäftskonzepte - wie z. B. bei den Postdienstleistern PIN und TNT - entwickelt, deren Kern auf prekärer Beschäftigung beruht. Mittlerweile arbeitet ein Drittel der Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Ursprünglich sollte der Niedriglohnsektor als Brücke zwischen dem ersten und dem zweiten (mittlerweile auch dem dritten) Arbeitsmarkt dienen, über die die Langzeitarbeitslosen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt finden. Nun funktioniert diese Brücke in umgekehrter Richtung. Immer mehr reguläre wird durch prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit ersetzt. Die erhoffte arbeitsmarktpolitische Erlösung blieb aus. Damit ist aber auch die Strategie der Mehrbeschäftigung durch die Discounterisierung des Arbeitsmarktes gänzlich gescheitert.

Die Prekarisierung des deutschen Arbeitsmarktes entspricht nicht den Bedürfnissen der Arbeitnehmer in Deutschland. Immerhin wünschen sich 92 Prozent der Beschäftigten dem DGB-Index Gute Arbeit zu Folge verlässliche und dauerhafte Arbeitsplätze. Ein Blick in die Arbeitsmarktstatistik zeigt jedoch, dass die Realität ganz anders aussieht: Selbst auf dem Höhepunkt eines für Deutschland kräftigen Aufschwungs war unsere Volkswirtschaft nicht in der Lage, für über 5 Millionen Arbeitsuchende eine Beschäftigung zu schaffen. Perspektivisch muss die Beschäftigungspolitik dieser Herausforderung auch mit einem Ausbau der Beschäftigung im öffentlichen Dienst begegnen.

Der Rückzug des Staates ist regelrecht greifbar: Die Anzahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist mit einem Anteil von etwa 10 Prozent an der Gesamtbeschäftigung in den letzten zehn Jahren stark zurückgegangen. Das hat massive Folgen für das öffentliche Leben in Deutschland. Die Versorgung unseres Landes mit öffentlichen Dienstleistungen und Gütern in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Pflege ist inzwischen zum Teil mangelhaft. Wenn man die Bildungsbeschlüsse der letzten Jahre ernst genommen hätte, wäre allein in diesem Bereich ein erhebliches Beschäftigungspotential entstanden und die herrschende Infrastrukturlücke hätte geschlossen werden können.

Andere europäische Länder sind uns da weit voraus. Der Anteil des öffentlichen Dienstes an der Gesamtbeschäftigung beträgt in den skandinavischen Ländern oder in Frankreich weit über 25 Prozent. Großbritannien, Niederlande und die USA liegen mit über 15 Prozent im Mittelfeld. Deutschland, Griechenland und Polen bilden das Schlusslicht in diesem Vergleich.

Wäre der Anteil der Beschäftigung im öffentlichen Dienst in etwa so hoch wie in Großbritannien, könnten wir die Arbeitsplatzlücke in Deutschland in einem nicht unerheblichen Umfang schließen. Der Öffentliche Dienst ist ein Schlüssel zur Vollbeschäftigung in Deutschland.


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