Deutscher Gewerkschaftsbund

28.03.2013

Öffentlicher Nahverkehr: Finanzierung für die Zukunft sichern

Ein guter öffentlicher Nahverkehr ermöglicht Mobilität für alle, ist energie- und umweltfreundlicher als Individualverkehr und schafft Arbeitsplätze. Trotzdem haben viele Kommunen kaum noch Geld für ihr Bus- und Bahnnetz. Der DGB forderte Mitte März auf der Tagung "Mit Bus und Bahn in die Zukunft?" ein sicheres Finanzierungskonzept - und sieht dabei den Bund in der Pflicht.

Schild U-Bahn S-Bahn

Was ist der beste Weg für eine sichere Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)? Die DGB-Tagung "Mit Bus und Bahn in die Zukunft?" suchte Antworten. Colourbox

Die künftige Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) steht auf der Kippe. Denn Geld ist in allen öffentlichen Haushalten knapp.

Dabei ist der ÖPNV enorm wichtig, um Mobilität und damit gleichwertige Arbeits- und Lebensbedingungen in ganz Deutschland zu ermöglichen. Wie kann also das Angebot an Bussen und Bahnen auf hohem Niveau aufrechterhalten oder sogar ausgebaut werden? Diese Frage stellten der DGB, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und die Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt der Technischen Universität (TU) Berlin bei ihrer gemeinsamen Tagung „Mit Bus und Bahn in die Zukunft?“ am 12. März in Berlin.

Doro Zinke, Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, warnte vor den Folgen der Schuldenbremse für den ÖPNV. Die Schuldenbremse behindere öffentliche Investitionen und sorge dafür, dass Straßen nicht repariert, Schwimmbäder geschlossen und Schulen nicht renoviert würden. „Billiger heißt auf Dauer immer schlechter“, so Zinke – auch für den öffentlichen Nahverkehr. Eine öffentliche Hand, die nur noch daran interessiert sei „kurzfristig kein Geld auszugeben“, ruiniere die Zukunft der Gesellschaft.

Finanzierung auch nach 2019 sichern und transparenter gestalten

Für den DGB ist klar: Es besteht dringender Handlungsbedarf, damit Länder und Kommunen auch in Zukunft in der Lage sind, einen leistungsfähigen Öffentlichen Personenverkehr bereitzustellen, der seinen Teil zur öffentlichen Daseinsvorsorge beiträgt. Der DGB sieht dabei den Bund in der Verantwortung – auch über das Jahr 2019 hinaus. Das Bundesprogramm zum Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) und daran anschließende Länderprogramme sind derzeit noch bis 2019 befristet. In einer gemeinsamen Kommission von Bund und Ländern sollte deshalb zügig ein Konzept für die Gemeindeverkehrs- und ÖPNV-Finanzierung erarbeitet werden, fordert der DGB.

Der Gewerkschaftsbund hält es außerdem für sinnvoll, die Gemeindeverkehrsfinanzierung insgesamt auf eine neue Grundlage zu stellen. Die bisher getrennten Förder- und Finanzierungssysteme für Regional- und Nahverkehr sowie für den Gemeindestraßenbau sollten zusammengeführt und die bisher auf verschiedene Töpfe verteilte Finanzierung stärker gebündelt und transparenter gestaltet werden.

25 Milliarden Euro für ÖPNV

Diese Transparenz wäre auch dringend notwendig. Denn das komplizierte System der ÖPNV-Finanzierung ist selbst für Fachleute oft schwer nachvollziehbar. So vielfältig die Verkehrsmittel des Öffentlichen Nahverkehrs mit Bussen, Straßenbahnen, U-, S- und Regionalbahnen, Schiffen und Fähren sind – so vielschichtig sind auch die Finanzierungswege, erklärte Dr. Jürgen Gies vom Deutschen Institut für Urbanistik (difu). Vom Bund fließen Mittel über die Länder an kommunale Aufgabenträger oder die Kommunen direkt. Doch ganz gleich, wo die Mittel herkommen: Die Finanzierung muss stimmen. Gies appellierte deshalb an alle Akteure des ÖPNV-Systems, für ausreichende Mittel für den Nahverkehr zu streiten.

Ein düsteres Bild von der Finanzlage der Kommunen zeichnete Dr. Wulf Holger Arndt von der TU Berlin. Die kommunale Pro-Kopf-Verschuldung sei zwar in den Bundesländern stark unterschiedlich. Insgesamt jedoch seien die Kassenkredite, also die Schulden zur Finanzierung der laufenden Ausgaben, seit 1995 um das Dreizehnfache gestiegen. Das habe zur Folge, dass inzwischen 40 Prozent der Kommunen Probleme damit hätten, den Eigenanteil aufzubringen, den sie für einen Antrag auf Fördermittel nachweisen müssten: Wer ohnehin finanzielle Probleme hat, kommt also besonders schlecht an die Fördermittel. Gleichzeitig bestehe in den meisten Kommunen ein enormer Investitionsbedarfe in den Bereichen Straßen, Schulen, Abwasser und ÖPNV, erklärte Arndt. Der kommunale Investitionsrückstand habe 2011 fast 100 Milliarden Euro erreicht. So sei die kommunale Daseinsvorsorge strukturell gefährdet.

ÖPNV hat enormen gesellschaftlichen Nutzen

Die Folgen unterlassener Investitionen seien immens und gefährdeten eine nachhaltige Entwicklung, warnte Arndt – gerade im Verkehrsbereich. Dabei liege der Nutzen des öffentlichen Nahverkehrs auf der Hand: Er kostet die Gemeinden wenig, verbraucht wenig Flächen und Energie, verschmutzt die Umwelt weniger als der Individualverkehr, ist die sicherste Transportart, macht Arbeitsplätze besser und kostengünstiger erreichbar und bietet eine Mobilitätsgarantie für alle. Dieser gesellschaftliche Nutzen des ÖPNV dürfe in der Finanzierungs- und Kostendebatte nicht zu kurz kommen, so Arndt.

Der Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter, (Bündnis 90/Die Grünen) Vorsitzender des Verkehrsausschusses, forderte einen effizienteren Umgang Finanzmitteln im Verkehrsbereich ein. Wenn mehr Geld für das System bereitgestellt werde, müsse in Zukunft auch ein sauberer Nachweis über die effiziente Verwendung geliefert werden. Für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz müsse eine Nachfolgeregelung gefunden werden, meinte Hofreiter. Diese neue Regelung müsse aber bessere Förderkriterien definieren und für Ersatzinvestitionen geöffnet werden.

Schuldenbremse nicht auf ÖPNV übertragen

Die Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe BVG, Sigrid Nikutta, bezifferte den Investitionsbedarf der BVG in den kommenden neun Jahren auf fast zwei Milliarden Euro. Allein die Berliner U-Bahntunnel seien in der Regel Anfang des letzten Jahrhunderts entstanden und müssten regelmäßig ausgebessert werden. Angesichts dieses Finanzbedarfs sehe sie die Gefahr, dass die Schuldenbremse oder eine vergleichbare Regelung auf kommunale Unternehmen ausgeweitet werden könnte, so Nikutta. Reiner Bieck, Vorstandsmitglied der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), und Ingo Koch, Betriebsratsvorsitzender bei DB Regio Nord-Ost, thematisierten die Ausschreibungen von ÖPNV-Strecken und -Aufträgen. Auch Fahrgäste und Beschäftigte müssten von Ausschreibungen profitieren – stattdessen gebe es in einigen Ausschreibungstexten gravierende rechtliche Lücken, die eine Bezahlung unterhalb des Branchentarifvertrags möglich machten, kritisierte Koch.

Das Programm der Tagung


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