Deutscher Gewerkschaftsbund

06.03.2017
Mindestlohn-Workshop "Umgehungen - Kontrollen - Sanktionen"

Mindestlohn-Betrug: Mehr Kontrollen nötig

Der Mindestlohn kommt noch immer nicht bei allen an, die Kontrollen müssen personell und technisch aufgestockt werden. Und Beschäftigte, die um den Mindestlohn betrogen werden, sollten sich juristisch wehren.

Das sind die Kernaussagen aus dem DGB-Mindestlohn-Workshop "Umgehungen - Kontrollen - Sanktionen", zu dem der DGB am 23. Februar 2017 nach Berlin eingeladen hatte. Rund 40 Workshop-TeilnehmerInnen aus Wissenschaft, Gewerkschaften, Behörden und Beratungsstellen diskutierten, wie das Mindestlohngesetz besser umgesetzt werden kann, damit Mindestlohnverstöße effektiver aufgedeckt und geahndet werden können.

8,84 Euro in Scheinen und Münzen

DGB/C. Falk

Zunächst leitete DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell ins Thema ein. Er gab einen Überblick über die bisher messbaren Effekte des Mindestlohns und hob dabei die positiven Verdienst- und Beschäftigungsentwicklungen seit Einführung des Mindestlohns hervor. Er betonte jedoch auch, dass zahlreiche Mindestlohnberechtigte nach wie vor von Verstößen berichten und stellte in diesem Zusammenhang die DGB-Forderungen für eine bessere Durchsetzung des Mindestlohns vor.

DGB-Forderungen zur besseren Durchsetzbarkeit des Mindestlohns:

  1. Die Beweislast bei Mindestlohnansprüchen sollte umgekehrt werden: Nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber soll künftig nachweisen müssen, wie lange ein Beschäftigter tatsächlich gearbeitet hat.
  2. Wir fordern die Einführung des Verbandsklagerechts schon lange, aber auch für Klagen gegen Mindestlohnverstöße wäre es sehr hilfreich.
  3. Es muss zudem ein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern geschaffen werden.
  4. Das Gesetz zur Bekämpfung von Schwarzarbeit sollte auf den Einzelhandel sowie das Bäcker- und Fleischereihandwerk ausgedehnt werden. So werden Kontrollen der FKS erleichtert.
  5. Mehr Rechte für Beschäftigte bei neuen Arbeitsverträgen. Sie sollen verpflichtend mehr Bedenkzeit erhalten, bevor sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben. So können sie sich vorher beraten lassen.
  6. Es sollten mehr Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften zur Unterstützung des Zolls eingerichtet werden.
  7. Der Prüfdienst der Rentenversicherung sollte aufgestockt werden.

Prof. Dr. Carsten Schröder vom DIW stellte die Eckpunkte der in Kürze erscheinenden Studie  zur Anpassung der Stundenlöhne nach der Mindestlohnreform vor. Danach erhielten sieben bis acht Prozent der Beschäftigten sogar im Jahr des Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes 2015 noch weniger als 8,50 Euro Lohn pro Stunde (vier Prozent verdienten sogar weniger als 7,65 Euro). Besonders betroffen seien dabei MinijobberInnen, Teilzeitbeschäftigte, Beschäftigte aus der Landwirtschaft, der Gastronomie und dem Handel.

Auch höhere Lohngruppen profitieren

Positiv: Es gibt auch Hinweise auf die so genannten Spillover-Effekte im zweiten Lohn-Quintil. Einfach gesagt: Nicht nur Beschäftigte in der untersten Lohngruppe profitieren vom Mindestlohngesetz durch steigende Löhne. Auch das zweite Fünftel der ArbeitnehmerInnen, deren Löhne schon vor der Einführung des Mindestlohngesetzes mindestens 8,50 Euro betragen hatte, profitierte von steigenden Löhnen.

Kommt bald die App zur Arbeitszeiterfassung

Antonius Allgaier von der IG BAU sprach im nächsten Programmpunkt über die Notwendigkeit  besserer Kontrollen tariflicher und gesetzlicher Mindestlöhne und berichtete dabei über Beispiele aus dem Baugewerbe, wo es bereits seit 1997 Branchenmindestlöhne nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz gibt.
Allgaier stellte die Idee der "elektronischen Stechuhr"  vor,  die in Schweden bereits seit einem Jahr umgesetzt wird. Dabei geht es um ein rechtssicheres Instrument zur Arbeitszeiterfassung bei mobilen Einsätzen via Smartphone-App. Hierbei müssten jedoch die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte und mögliche Kollisionen mit dem Arbeitnehmerdatenschutz beachtet werden. Lückenlose Bewegungsprofile der ArbeitnehmerInnen aufgrund von GPS-Funktionen der App seien selbstverständlich von Gewerkschaften abzulehnen. Es müsse auch ein einheitliches System für alle rechtsverbindlich festgelegt werden. Hier stecke man noch in den Kinderschuhen, werte aber die Erfahrungen aus Schweden aus und suche nach Lösungen.

Zu wenig Stellen für Mindestlohn-Kontrollen

Dr. Claudia Weinkopf vom IAQ moderierte die Gesprächsrunde mit Vertretern von der Deutschen Rentenversicherung und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll, zum Teil gleichzeitig als Personalräte aktiv bei ver.di und der GdP. Sie schilderten sehr anschaulich aus der Praxis, woran es aus ihrer Sicht hakt: Zu wenig Stellen, zum Teil hohe Fehlbestände, so dass die Kontrolldichte in 2015 deutlich zurückgegangen ist im Vergleich zu den Vorjahren.

Diskussionsrunde

Diskussionsrunde, unter anderem mit Vertretern der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) beim Zoll DGB/C. Falk

Zudem sei die technische Ausstattung mangelhaft; so arbeiteten die Kollegen bei Prüfungen immer noch mit Fragebögen in Papierform, anstatt die Angaben direkt elektronisch einzugeben zur rascheren Weiterbearbeitung und zum Austausch mit beteiligten Behörden. Behindernd seien auch unterschiedliche Kontrollrhythmen  bei Rentenversicherung und FKS  sowie zum Teil fragwürdige Vorgaben aus dem Bundesfinanzministerium zur Umstrukturierung der Zollarbeit. So waren sich die Diskutanten einig, dass es auch künftig präventive Streifenfahrten geben muss, damit spontan auch in kleineren Betrieben geprüft werden kann. Auch bessere gesetzl. Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung für eine effektivere Kontrolle befürworteten alle.  Es sei z.B. absurd, den Unternehmen 7 Tage für die Arbeitszeiterfassung der Beschäftigten einzuräumen; das biete der Manipulation Tür und Tor und erschwere die Kontrollen.

Missbrauch von Arbeitszeitkonten

Abschließend referierte Sandra Kothe-Woywode vom DGB-Rechtsschutz Stralsund über den aktuellen Stand der Rechtsprechung zum Mindestlohn.  Bei den anhängigen Klagen gehe es hauptsächlich um den Missbrauch von Arbeitszeitkonten und die Anrechnung von Zuschlägen. Viele Fälle seien bislang durch zwei Instanzen gegangen, werden nun aber verstärkt auch dem höchsten Gericht, dem Bundesarbeitsgericht, zur Entscheidung vorgelegt.

Viele Beschäftigte in Mecklenburg-Vorpommern  scheuten aus Angst um ihren Job davor zurück, ihre Arbeitgeber zu verklagen um ihre Mindestlohnansprüche geltend zu machen. Die Juristin wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Mindestlohngesetz eine großzügige Verjährungsfrist von drei Jahren vorsieht. Das bedeutet, dass Mindestlohnansprüche aus dem Jahr 2015 bis Ende 2018 eingeklagt werden können, also auch, wenn die oder der betroffene längst den Arbeitgeber gewechselt haben sollte.


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