Der Koalitionsvertrag sieht vor, Geringverdienende bei den Sozialbeiträgen zu entlasten. Dieses Vorhaben ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Koalition will dies erreichen, in dem die sogenannte Gleitzone – sogenannte Midi-Jobs – ausgeweitet wird. Aus Sicht des DGB sollte eine Entlastung zielgenau und sachgerecht sein. Die Gleitzone kann diesem Anspruch nur begrenzt gerecht werden.
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Bei gutem Lohn sind Beiträge leichter zu tragen als in gering bezahlter und prekärer Beschäftigung. Beiträge zu den Sozialversicherungen sind steuerlich abzugsfähig, doch Geringverdienende profitieren kaum von dieser Regelung.
Gute Löhne, Gute Arbeit und ein starker Sozialstaat sichern ein gutes Leben der Erwerbstätigen, ihrer Angehörigen und ihrer Kinder. Gute Sozialversicherungen sichern eine hochwertige Versorgung bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit und ein gutes Auskommen in Zeiten der Arbeitslosigkeit, im Alter oder bei Erwerbsminderung. Finanziert und ermöglicht wird dies durch die Solidarität der Versicherten unter- und miteinander, denn nur gemeinsam sind der Verlust des Lohns oder die Kosten einer Krankheit hochwertig, günstig und verlässlich abgesichert. Hochwertige Leistungen und ein guter Lohnersatz sind unerlässlich für die Beschäftigten, bedürfen aber entsprechender Beiträge.
Bei gutem Lohn sind Beiträge leichter zu tragen als in gering bezahlter und prekärer Beschäftigung. Zumal die Beiträge zu den Sozialversicherungen steuerlich abzugsfähig, was höheren Einkommen spürbar bei den Sozialbeiträgen entlastet. Geringverdienende profitieren von dieser Regelung hingegen kaum. Unstrittig ist: Das eigentliche Problem ist der zu geringe Lohn. Höhere Löhne und bessere Arbeit sind die anzustrebende Lösung, damit alle am Wohlstand beteiligt werden.
Im Hier und Jetzt muss der Beitrag aber auch bei geringem Lohn tragbar sein. Hier setzt der Vorschlag der Bundesregierung an. Sie hat im Koalitionsvertrag festgelegt, geringer Einkommen zu entlasten indem sie die sogenannte Gleitzone (Midi-Jobs) ausweitet. Die Gleitzone soll nicht mehr wie bisher von 450,01 bis 850 Euro gelten, sondern von 450,01 bis 1300 Euro. Die so veringerten Beiträge zur Rentenversicherung sollen, anders als heute, nicht mehr die Rentenansprüche der Beschäftigten mindern. Das ist in jedem Fall zu begrüßen. Der Vorschlag entzieht den Sozialversicherungen allerdings gut 600 Millionen Euro an Einnahmen und erhöht die Ausgaben der Rentenversicherung. Ein Ausgleich aus Steuermitteln ist im Koalitionsvertrag nicht vereinbart.
Aus Sicht des DGB ist die Gleitzone kein zielgenaues und sachgerechtes Instrument Geringverdienende zu entlasten. Dazu wurde sie auch nie konzipiert. Der Bruttolohn ist kein hinreichender Anhaltspunkt, um zielgenau Haushalte mit geringem Einkommen zu entlasten. Es ist auch nicht sachgerecht, geringe Löhne oder geringe Einkommen durch die Sozialversicherungen zu subventionieren, da dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.
Der DGB ist der Auffassung, dass die Ausweitung der Gleitzone nicht zielgenau und nicht sachgerecht ist und dass hierzu Alternativen zu prüfen sind. Nötig ist grundsätzlich eine Politik für gute Löhne und eine gerechte Lohnstruktur, damit geringe Einkommen erst gar nicht existieren. Ergänzenden sind gezielt Haushalte mit geringem Einkommen zu entlasten. Zielgenauer und sachgerechter Ansatzpunkt ist hier das Steuerrecht. Durch eine andere Gestaltung der Einkommensteuer (Grundfreibetrag, Tarifverlauf, etc.) könnten gezielte ärmere Haushalte entlastet werden. Über das Steuersystem könnten die ärmeren Haushalte zusätzlich bei der Beitragszahlung zu den Sozialversicherungen aktiv und zielgenau unterstützt werden, ohne jedoch den Sozialversicherungen direkte Beitragseinnahmen zu entziehen.
Ein SV-Entlastungsbetrag, wie ihn das DIW dargestellt hat, wäre ein solcher zielgenauer und sachgerechter Ansatz. Die Arbeitnehmenden würden ihren regulären Beitrag zu den Sozialversicherungen zahlen. Bis zu einem Höchstbetrag – beispielsweise 100 Euro im Monat – würden diese Beiträge im Lohnabzugsverfahren direkt die Steuerschuld senken. Liegt die Steuer niedriger, würde der zusätzliche Betrag als Negativsteuer ausgezahlt. Damit wird der Nettolohn unmittelbar erhöht. Der SV-Entlastungsbetrag würde mit der bereits im Steuerrecht existierenden Entlastungswirkung durch den Abzug der Sozialbeiträge als Vorsorgeaufwendungen bei der Einkommensteuer verrechnet. Mit steigendem Einkommen schmilzt der Vorteil also langsam ab. Damit würde die Entlastung gezielt Haushalte mit geringem Einkommen erreichen, welche zwar volle Sozialbeträge aber nur wenige oder keine Steuern zahlen. Außerdem könnten so Kinder oder besondere steuerrechtlich anerkannte Fragen, wie eine Schwerbehinderung, Alleinerziehend zu sein oder hohe Gesundheitsausgaben automatisch berücksichtigt werden und diese Haushalte ebenfalls gezielt fördern.
Studie des DIW "Progressive Sozialbeiträge können niedrige Einkommen entlasten" (PDF)