Deutscher Gewerkschaftsbund

01.12.2011
Beamtenmagazin 11+12/2011

Praxisforen Schöneberger Forum: Steht der öffentliche Dienst vor dem Kollaps?

Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Regierungsvertreter und Wissenschaftler debattierten beim Schöneberger Forum des DGB über die Folgen des Sparzwangs und Wege aus der Finanznot. In vier Praxisforen wurde die Fragestellung der Veranstaltung „Ausgebremst! Der öffentliche Dienst vor dem Kollaps?“ diskutiert, wir haben die Ergebnisse zusammen gefasst.

Bildung: Investitionen zahlen sich aus

Investitionen in Bildung und Soziales sparen langfristig Geld. Das ist die Erkenntnis aus wissenschaftlichen Studien, die Prof. Wolfgang Böttcher von der Universität Münster im Forum „Bildung ist MehrWert! Bildungsinvestitionen trotz Spardrucks“ vorstellte. Internationale Studien zeigten, dass präventive Bildungs- und Sozialpolitik die Kosten reduzieren könne, die andernfalls für Versäumnisse und Fehlentwicklungen aufgewendet werden müssen. Böttcher nannte beispielsweise als „Folgekosten unzureichender Bildung“ höhere Erwerbslosenquoten, höhere soziale Transferleistungen und Gesundheitsausgaben. Die in den Studien untersuchten Bildungsprogramme erzielen „deutlich Renditen“, wie Böttcher darlegte. Der Erziehungswissenschaftler resümierte: „Der Nutzen ist höher als die Kosten“. Er empfahl, in Bildung ärmerer Schichten und von Kinder im Alter bis zu drei Jahren zu investieren. Die frühe Kindheit bringe die höchsten Renditen. Böttcher schlug vor, die Länder sollten nach dem Beispiel Hannelore Krafts in Nordrhein-Westfalen Kredite für Bildungsinvestitionen aufnehmen und damit für Renditen sorgen. Die Ministerpräsidentin hat ein Programm für Bildungsketten gestartet, um Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen zu fördern. 

Nach Aussage des GEW-Vorsitzenden Ulrich Thöne müsste Deutschland jährlich gut 50 Milliarden Euro mehr aufwenden, um die Anforderungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu erfüllen. Im Vergleich zum OECD-Durchschnitt liege das Land auf einem hinteren Platz. Während im internationalen Vergleich auf 1.000 Schüler 86 Lehrer kämen, seien es in Deutschland nur 63. Die zusätzlichen Mittel müssen Thöne zufolge in den Ausbau und eine bessere Qualität des Angebots an Ganztagsschulen, Weiterbildung und Studienplätzen für Lehrer fließen und in die Sanierung von Schulen und Hochschulen.

Sinkende Investitionen haben nicht zwangsläufig eine geringere Qualität der Ausbildung zur Folge, wie Harald Ulrich Pfeifer vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) darlegte. Betriebe investierten laut Erhebung des BIBB im Jahr 2000 durchschnittlich 6.500 Euro pro Jahr in einen Auszubildenden. Im Jahr 2007 waren es nur noch rund 4.000 Euro. Der Grund für die gesunkenen Kosten ist, dass die Lehrlinge stärker in produktive Prozesse eingebunden sind. Das sei ihnen wichtig, berichtete Pfeifer aus Befragungen. Die Jugendlichen übten vor allem mehr Fachkräftearbeiten aus. Der Wissenschaftler unterstrich: „Es ist wichtig, dass die Auszubildenden nicht ausgenutzt werden.“


Polizei: Sicherheit in Gefahr

Nach Darstellung von Fachleuten haben die Haushaltskürzungen bei der Polizei ein bedrohliches Maß erreicht: sie gefährden nicht nur die Gesundheit der Beschäftigten, sondern auch die innere Sicherheit. Der Polizei fehle zunehmend Personal und Ausstattung, um die Sicherheit des Landes weiter zu garantieren, bemängelte der GdP-Bundesvorsitzende Bernhard Witthaut im Forum „Notruf Polizei! Kernbereiche des öffentlichen Dienstes im Sparzwang“. 10.000 Dienstposten seien bereits abgebaut worden, mit der Einsparung weiterer 10.000 Stellen sei zu rechnen.

Die Polizei habe zunehmend mit Einsätzen bei Fußballspielen und Demonstrationen zu tun. „Der Schutz der Bürger im Alltag kommt zu kurz“, warnte Witthaut. Personalmangel führe dazu, dass die Zeiten vom Notruf bis zur Ankunft der Polizei am Einsatzort länger werden, ergänzten Zuhörer. In ostdeutschen Regionen könne die Polizei frühestens nach 45 Minuten am Ort eines Einbruchs sein. Personalmangel verstärke auch die dienstliche Belastung und Leistungsdruck. Witthaut kritisierte, dass Länder mit besserer Personalpolitik wie Nordrhein-Westfalen (NRW) gleichwohl unter dem Sparzwang litten. Die Polizei aus NRW reise durch die Republik, um Länder zu unterstützen, die Großeinsätze nicht mehr mit eigenen Kräften bewältigen können.

Die Bundespolizei hat nach Aussage von Prof. Gerd Strohmeier die Grenze der Belastbarkeit zum Teil deutlich überschritten. Laut einer Befragung des Chemnitzer Wissenschaftlers bewerten drei Viertel der Teilnehmer ihre Arbeitsbelastung als hoch oder sehr hoch. Ein Großteil der 40.000 Beschäftigten ist frustriert. In dieser Situation wirkten sich Haushaltskürzungen verheerend für Gesundheit und innere Sicherheit aus, sagte Strohmeier.

Referenten und Besucher des Forums monierten als wesentliches Problem, dass die Politik keine Aufgabenkritik vornehme. Witthaut forderte: „Über die Mindeststandards für die öffentliche Daseinsvorsorge muss diskutiert werden.“


Kommunen: Mehr Einnahmen nötig

„Die Kommunen haben ein Einnahmenproblem.“ Dr. Achim Truger, Forscher bei der Hans-Böckler-Stiftung, sah die Ursache für die Finanzprobleme der Kommunen nicht in einer verschwenderischen Ausgabenpolitik. Die Ausgaben sinken seit Anfang der 1990er Jahre, wie Truger im Forum „Klamme Kommunen in der Klemme. Öffentliche Daseinsvorsorge der Kommunen unter dem Spardiktat“ schilderte. Wegen der starken Konjunkturanfälligkeit ihrer Einnahmen – vor allem der Gewerbesteuer – seien die Gemeinden in den vergangenen zehn Jahren besonders stark von der im Durchschnitt schwachen Konjunktur betroffen gewesen. Außerdem hätten gravierende Steuersenkungen die staatlichen Einnahmen geschwächt. Die Kommunen seien davon durch ihre Anteile an den jeweiligen Steuern und über den kommunalen Finanzausgleich und gekürzte Zuweisungen des Bundes betroffen. Die Konjunktur werde sie nicht retten, Steuererhöhungen seien nötig.

Herbert Freese vom niedersächsischen Landkreistag sprach sich dafür aus, den Kommunen mehr Freiheit bei der Gestaltung ihrer Einnahmen zu geben. Das eröffne auch Optionen, um auf die Schuldenbremse zu reagieren, die ihnen ab 2020 neue Kredite verbietet. Momentan könnten Kommunen nur mit Sparen reagieren. „Das erste Problem der Schulden ist, dass sie die Politikgestaltung kaputtmachen“, sagte Freese.

Der Vorschlag für eine größere Einnahmeautonomie stieß bei den übrigen Referenten auf Ablehnung. Achim Meerkamp vom ver.di-Bundesvorstand teilte Trugers Ansicht, dass ein Wettbewerb unter den Kommunen die Folge wäre. Meerkamp forderte eine finanzielle Mindestausstattung für die Kommunen im Sinne einer absoluten Untergrenze.


Beschäftigte: Gesundheitsförderung enttäuscht

Die Sparpolitik im öffentlichen Dienst „geht auf die Knochen der Beschäftigten“. Ingrid Sehrbrock, stellvertretende DGB-Vorsitzende, prangerte Stellenabbau und die dadurch zunehmende Arbeitsbelastung für die Beschäftigten an. „Irgendwann hält der Mensch das nicht mehr aus“, sagte sie im Forum „Einsparungen – Personalabbau – Arbeitsverdichtung. Folgen der Sparpolitik für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst“. Zum Beleg führte sie die Fehlzeiten wegen Krankheit an. Sie sind in der Bundesverwaltung innerhalb eines Jahres um 1,42 Arbeitstage gestiegen. Die Quote erreichte 2009 sieben Prozent – der höchste Anstieg in einem Jahr seit 1998. Dennoch betreibe der öffentliche Arbeitgeber kaum Prävention.  Sehrbrock zeigte sich enttäuscht über die Umsetzung der vom DGB 2009 mitunterzeichneten „Initiative zur Förderung des Gesundheitsmanagements in der Bundesverwaltung“. Es gehe nur „schleppend voran“.

Udo Kertz aus dem Bundesgesundheitsministerium bestätigte: „Wir sind die einzigen, die für den gesamten Geschäftsbereich was Vorzeigbares haben“. Der Vorsitzende des Hauptpersonalrats sprach von der Vereinbarung zu betrieblichem Gesundheitsmanagement. Kertz zufolge fehlt das Bewusstsein und die Befürworter. „Gesundheitsmanagement ist mit Mehrarbeit verbunden, die muss im Wesentlichen die Verwaltung leisten.“ Ex-Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) habe dazu vermerkt „kw - künftig wichtig“. Kertz kam auch auf die Kosten zu sprechen: „Nirgendwo in den Ministerien gibt es einen Titel für Gesundheitsförderung. Das Geld wird aus Fortbildung oder Haushaltsresten genommen.“

Dr. Hans Hofmann, Abteilungsleiter im Bundesinnenministerium, zeigte Möglichkeiten auf, um den Einsparungen zu begegnen. Eine Schlüsselrolle falle der Fortbildung zu. Hofmann erwähnte einen neuen Ausbildungsgang zum Kaufmann im Büromanagement. Der Bund investiere in arbeitserleichternde Technik und in Personalgewinnung. Er wendet 57 Millionen Euro auf, um Fachkräfte konkurrenzfähig bezahlen zu können. Ein Gesetz zur Fachkräftegewinnung ermöglicht es, jungen Computerspezialisten monatlich bis zu 690 Euro mehr zu zahlen. Hofmann kündigte weitere Zulagen an, unter anderem soll Schichtdienst bei Zoll und Bundespolizei besser honoriert werden.


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