Seit Juni 2013 ist Marlis Tepe Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Das Magazin für Beamtinnen und Beamte befragte sie unter anderem zum Lehrkräftebedarf in Deutschland.
Beamtenmagazin: In der Diskussion über die demografische Entwicklung in Deutschland taucht der Begriff „demografische Rendite“ auf. Was verbirgt sich hinter diesen Worten und welche Position vertritt die GEW?
Kay Herschelmann
Marlis Tepe: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler geht zurück und damit theoretisch auch die Zahl der Lehrkräfte. Die entsprechende Einsparung von Stellen ist die sogenannte demografische Rendite. Sie muss im Bildungssystem bleiben, weil es bisher strukturell unterfinanziert ist. Vorgaben wie Stundentafeln, Fördermaßnahmen oder Klassengröße können schon heute nicht erfüllt werden. Wir brauchen zusätzliche Verbesserungen: 15 bis 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler können lediglich Überschriften in Zeitungen lesen und sind von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Wir brauchen mehr individuelle Förderung und multiprofessionelle Teams. Ganztagsschulen müssen ausgebaut werden, damit die Menschen Familie und Beruf besser vereinbaren können, aber auch damit beispielsweise Kinder nichtdeutscher Muttersprache mehr gefördert werden. Der Umbau zu einem inklusiven System kann nur gelingen, wenn mehr Lehrkräfte und weitere Professions-Gruppen eingestellt und die Pädagoginnen und Pädagogen begleitende Fortbildungen erhalten. Schließlich fehlt eine Vertretungsreserve von mindestens fünf Prozent. Krankheiten von Lehrkräften führen zu Belastungen anderer, Unterrichtsausfall oder weniger integrativer Förderung.
Die Planung des Lehrkräftebedarfs ist wesentlich für die Unterrichtsversorgung. Wie bewertet die GEW die jüngste Prognose der Kultusministerkonferenz dazu?
Eine große Gruppe von Lehrkräften geht in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Der Ersatzbedarf ist enorm. Die Zahlen der KMK folgen der Sparlogik. Wir brauchen jedoch eine Berechnung, der bildungspolitische Entscheidungen, etwa für ein inklusives Bildungswesen, zu Grunde liegen. Die GEW plant deshalb eine eigene Bedarfsanalyse.
Ihre Gewerkschaft fordert ein inklusives Schulsystem. Wie muss man sich das vorstellen und wie könnte es in unserem föderal geprägten Bildungssystem umgesetzt werden?
Ein inklusives Schulsystem bedeutet in erster Linie längeres gemeinsames Lernen aller Schülerinnen und Schüler. Bislang haben wir das nur in den Grundschulen. Die meisten Länder wollen aber eine Zweigliedrigkeit in der Sekundarstufe. Für Menschen mit Behinderungen muss der Besuch allgemeinbildender Schulen möglich sein, damit sie nicht ausgeschlossen sind.
Als Hauptschullehrerin haben Sie viele Jahre Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Wenn Sie sich in deren Lage versetzen, welches Problem schätzen Sie dann als besonders drängend ein?
Fehlende Berufsperspektiven, daneben das Gefühl zu den materiell Abgehängten zu gehören. Hauptschülerinnen und Hauptschülern stehen immer weniger Berufe offen. In ihre Qualifizierung muss investiert werden.