Immer mehr Berufstätige müssen immer längere Arbeitswege zurücklegen. Der DGB-klartext warnt vor falschen Lösungen zu Lasten der Beschäftigten und zeigt auf, was stattdessen getan werden muss.
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Auf ein hohes Medienecho stieß kürzlich eine Analyse zu sozialversicherungspflichtigen Berufspendlern durch das Bundesinstitut für Bau, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Danach ist der Anteil jener, die nicht am Arbeitsort wohnen, in den letzten anderthalb Jahrzehnten von 53 auf 60 Prozent gestiegen. Der Arbeitsweg hat sich im Schnitt von 14,6 auf 16,8 Kilometer erhöht. Die Zahl der Fernpendler, die einen Weg von mehr als 150 Kilometern zurücklegen, ist von einer auf 1,3 Millionen gestiegen. Besonders drastisch war die Entwicklung in den Metropolen: Frankfurt a.M. verzeichnete einen Anstieg von 14 Prozent auf 348.000 Einpendler, die „Pendlerhauptstadt“ München ein Plus von 21 Prozent auf 355.000 und die höchste Dynamik zeigte Berlin mit einem Zuwachs von 53 Prozent auf 274.000 Menschen, deren Arbeitsweg in die Stadtgrenzen hineinreicht.
So beachtlich die Zahlen, so wenig überraschen die Ursachen dieser Entwicklung: Werden Unternehmen aufgekauft und Betriebsteile zusammengelegt, so passiert das selten zu Gunsten abgelegener Orte. Wird dann auch noch zu wenig bezahlbarer Wohnraum in den Metropolregionen geschaffen und von der Politik nicht wirksam genug auf die Mietpreisentwicklung Einfluss genommen, dann kommen die Berufstätigen nicht umhin, immer längere Wege und Fahrtzeiten in Kauf nehmen zu müssen.
DGB
Da ist es ziemlich absurd, hier und da zu hören, man solle deshalb die Benzinpreise in die Höhe treiben und die Pendlerpauschale abschaffen. Angeblich gingen hiervon für die Berufspendler die falschen „Anreize“ aus. Wäre daran etwas Wahres, so müssten die Befunde des BBSR anders aussehen. Denn: 2004 wurde die Pauschale von 36 Cent für die ersten zehn und 40 Cent für jeden weiteren Kilometer auf einheitlich nur noch 30 Cent gekürzt und seither nicht mehr erhöht. Insbesondere für Fernpendler bedeutete das herbe finanzielle Verluste. Richtig wäre es hingegen, den Weg zur Arbeit wieder besser anzuerkennen und dabei auf mehr Verteilungsgerechtigkeit zu achten. Dazu sollte die Pendlerpauschale wieder angehoben und so ausgestaltet werden, dass der Steuervorteil einkommensunabhängig wirkt, weil höhere Einkommen derzeit ungleich stärker profitieren. Ein Pendler mit Durchschnittseinkommen könnte so bei einer einfachen Wegstrecke von 33 Kilometern um rund 200 Euro im Jahr entlastet werden.
Vor allem aber dürfen Standortentscheidungen in Unternehmen nicht über die Köpfe der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen hinweg getroffen werden. Ebenso wichtig ist der jährliche Neubau von rund 450.000 bezahlbaren Wohnungen, der sich z.B. durch bessere Abschreibungssätze leicht beflügeln ließe. Zusätzlich dazu sind jährlich 100.000 neue preis- und belegungsgebundene Wohnungen als Ersatz für den aus der Sozialbindung herausfallenden Wohnraum nötig. Und schließlich bedarf es eines fairen Länderfinanzausgleichs, damit die Lebensverhältnisse zwischen Deutschlands Regionen nicht noch ungleicher werden. Stefan Körzell vom DGB Bundesvorstand bringt es auf den Punkt: „Die Arbeiterbewegung hat nicht 150 Jahre für eine Verkürzung der Arbeitszeit gekämpft, damit wir heute mehr Zeit für den Weg zur Arbeit aufbringen!“