Deutscher Gewerkschaftsbund

31.01.2018

Gewalt im Dienst: Das Maß ist voll

einblick Februar 2018

Sie wollen helfen und einfach nur ihre Arbeit tun – und werden angegriffen und oft auch verletzt. Beschäftigten bei Polizei, Rettungsdiensten, bei der Bahn oder im öffentlichen Dienst schlägt immer wieder Gewalt entgegen. Das Phänomen ist nicht neu, aber es äußert sich massiver.

Polizisten

DGB/Best Sabel/Eisenmeier

Ein Schlag, ein Tritt, eine Beleidigung – für viele Beschäftigte in Jobcentern, in Schulen, in Bus und Bahn gehören körperliche oder verbale Übergriffe inzwischen zum Arbeitsalltag. Doch es trifft auch Ordnungs- und Rettungskräfte. Zu Jahresbeginn schreckten Angriffe auf Feuerwehren und Rettungssanitäter die Öffentlichkeit auf. Besonders in Berlin, Leipzig und Nordrhein-Westfalen (NRW) kam es zu Gewaltexzessen gegen die Menschen im Einsatz, die – wie Feuerwehr und Notärzte – anderen helfen wollen. „Vor allem in der Silvesternacht wurde die zunehmende Brutalität gegen Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften sichtbar“, betont auch der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow.

Übergriffe auf Polizeibeamtinnen und -beamte werden jährlich erfasst: Fast 72 000 Polizistinnen und Polizisten wurden 2016 bedroht, angegriffen, beleidigt oder verletzt. Das sind elf Prozent mehr als im Vorjahr. Seit 2011 werden die Zahlen in der Polizeilichen Kriminalstatistik veröffentlicht und sind seitdem meist gestiegen.

Polizist

Die Junge Truppe der GdP macht mit der Kampagne „Auch Mensch“ klar: Auch PolizistInnen haben ein Privatleben, Familien und Freunde. GdP

In anderen Bereichen des öffentlichen Diensts ist die Datenlage hingegen dünn. Die GEW und die Fachgruppe Feuerwehr von ver.di bestätigen, dass Gewalt gegen LehrerInnen und Rettungskräfte nicht neu ist, aber  diese heute massiver sei. Das beobachtet auch die GdP. Die Übergriffe gegen PolizistInnen geschehen zunehmend in alltäglichen Situationen. „Polizisten werden angegriffen, weil sie Polizisten sind“, erklärt Malchow. Zunehmend auch „völlig ohne Anlass“. Polizeibeamte berichten verstärkt davon, dass sich Menschenmengen zusammenfinden – zum Beispiel, wenn ein auf Rettungswegen falschparkendes Auto umgesetzt werden soll –, die sich per Handy verständigen und verbal und körperlich tätlich werden. Gerade weibliche Polizistinnen hätten in zunehmendem Maße mit Beleidigungen, Bedrohungen und Demütigungen zu kämpfen.

Grundsätzlich sei der Umgang in der Gesellschaft rauer geworden, sagt Malchow. Er weist darauf hin, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem sei, wenn die Gewalt immer weiter zunimmt. Die GdP fordert mehr Personal. Es gelte die alte Polizeiweisheit: „Das effektivste Mittel gegen Kriminalität ist eine hohe Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden“.

Mehr Sicherheitspersonal in den Zügen der Deutschen Bahn fordert auch die EVG. 2016 wurden bisher die meisten Übergriffe registriert: 2374 Fälle von leichter oder schwerer Körperverletzung. Für 2017 wurden bis zum dritten Quartal bereits 1847 Übergriffe gemeldet. Alles deutet also darauf hin, dass die Gesamtzahlen höher als im Vorjahr sein werden. „Seit dem Beginn der Erhebung 2012 sind die Zahlen stetig gestiegen“, erklärt Marco Rafolt von der EVG. Brennpunkte sind NRW, Bayern und Hessen. Vor allem am Wochenende und nachts kommt es zu Gewalt durch alkoholisierte Fahrgäste.

"Es muss wieder mehr in die Menschen und nicht so sehr in Technik investiert werden. Der verstärkte Einsatz von Videoüberwachung an den Bahnhöfen hält keinen von tätlichen Angriffen ab. Wir brauchen in den Zügen, die als schwierig gelten, immer eine Doppelbesetzung und wir brauchen mehr gut ausgebildetes Sicherheits-Personal, das vor Ort ist und schlichten kann, wenn eine Eskalation droht." Alexander Kirchner, EVG-Vorsitzender

Am häufigsten betroffen sind Mitarbeiter der DB Sicherheit – doch auch in Regionalzügen gab es zuletzt einen deutlichen Anstieg. Auch Beschäftigte in Reisezentren, bei Busunternehmen, deren FahrerInnen die EVG vertritt, und bei Privatbahnen sind von Gewalt betroffen. Im September letzten Jahres hat die EVG die Telefon-Hotline „Ruf Robin“ gestartet. Hier können sich KollegInnen nach Gewalterfahrungen melden. Die Hotline bietet rechtliche Beratung und vermittelt Angebote, um das Erlebte zu verarbeiten. Seit September 2016 haben bereits über 100 KollegInnen angerufen.

Logo "Ruf Robin"

Die Hotline der EVG ist seit 12. September 2017 geschaltet. Kolleginnen und Kollegen erhalten hier nach Übergriffen rechtliche Beratung und soziale Unterstützung. EVG

Am wichtigsten sei jedoch, dass der Arbeitgeber den Arbeitsschutz sicherstellt, erklärt Marco Rafolt. Die EVG hat mit der DB vereinbart, dass ZugbegleiterInnen der DB-Regio Abwehrspray tragen dürfen, wenn sie es wünschen, und nachdem sie in der praktischen Handhabung und rechtlichen Grundlagen geschult wurden. Die Beschäftigten der DB-Sicherheit tragen Stichschutzwesten.

Maßnahmen wie Schutzwesten oder Selbstverteidigungskurse für Feuerwehrleute lehnt Arno Dick, Leiter der Fachgruppe Feuerwehr bei ver.di ab. Er fordert, dass Feuerwehrleute für gefährliche Situationen geschult werden, entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen und mehr Personal. „Die Weiterbildung bleibt auf der Strecke, weil man die Leute im Einsatz braucht“, kritisiert Dick. Darüber hinaus müssten auch öffentliche Arbeitgeber und Dienstherren den Einsatzkräften deutlicher als bisher ihren Respekt entgegenbringen.


Jeder Übergriff ist einer zu viel

Angesichts der zunehmenden Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst, fordert der DGB: mehr Unterstützung durch die öffentlichen Arbeitgeber oder Dienstherren und mehr Personal. „Die Beschäftigten dürfen mit dem Erlebten nicht alleine gelassen werden“, macht der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann deutlich.

Auch die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack betont: „Auch der Schutz der Beschäftigten gehört zu den Aufgaben von Führungskräften.“ Angriffe und verbale Ausfälle nannte sie „jenseits des Tolerierbaren“. Die Dienstherren müssten verpflichtende Schulungen zu präventiven Deeskalationsstrategien anbieten und ausreichend Personal einstellen.

Die Studie "Aktuelle Entwicklungstendenzen und zukünftiger Personalbedarf im öffentlichen Dienst", die im Auftrag des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung erstellt wurde, hat einen Personalmangel von 110 000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst festgestellt. Resultat: Die Beschäftigten sind an ihrer Belastungsgrenze. Elke Hannack fordert deswegen eine „zukunftsfähige Personalpolitik, die langfristig angelegt ist“.


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