Deutscher Gewerkschaftsbund

Die ILO und internationale Arbeitsnormen

IV. Das Überwachungssystem der Internationalen Arbeitskonferenz

Um die Übereinkommen zu gewährleisten, verfügt die IAO über ein einzigartiges, weil internationales Überwachungssystem, bestehend aus Berichts-, Beschwerde- und Klageverfahren. Gibt es bei den Mitgliedsstaaten Probleme bei der Anwendung der Standards, versucht die IAO die Länder zu unterstützen.

(Sämtliche Berichte der IAO-Ausschüsse zu Deutschland können in englischer Sprache im Internet eingesehen werden unter: http://www.ilo.org/ilolex/english/newcountryframeE.htm).

 

Das Berichtsverfahren

Das Berichtssystem der Internationalen Arbeitskonferenz

Das Aufsichtssystem der Internatiionalen Arbeitskonferenz (IAO)
Berichtssystem für ratifizierte Übereinkommen gem. Art. 22 IAO-Verfassung
nach Däubler et al: S. 212

Nach Artikel 22 der IAO-Verfassung müssen Mitgliedstaaten der IAO jährlich über den Stand der Umsetzung der von ihnen ratifizierten Übereinkommen und Empfehlungen berichten. In der Praxis variiert die Kontrolldichte jedoch abhängig von den jeweiligen Übereinkommen zwischen einem Jahr und fünf Jahren. Gewerkschaften und Arbeitgeber können Stellungnahmen zu den Berichten abgeben, eine Möglichkeit, die in der Praxis eher von Gewerkschaftsseite wahrgenommen wird.

Die Berichte der Regierungen werden durch den IAO-Sachverständigenausschuss überwacht, der aus unabhängigen herausragenden Rechtssachverständigen besteht. Aufgabe dieses Gremiums ist es, auf Umsetzungslücken hinzuweisen und Empfehlungen zur Behebung des jeweiligen Problems abzugeben. Dabei stehen ihm zwei verschiedene Berichtsformen zur Verfügung. Bei Unklarheiten in den Berichten, fehlenden Informationen und erstmaligen Rechtsverstößen übermittelt der Sachverständigenausschuss „direkte Anfragen“ (direct requests) an die betroffene Regierung. Bei wiederholten Rechtsverstößen bzw. Umsetzungsproblemen veröffentlicht er dagegen die schärfer formulierten „Beobachtungen“ (observations). Darüber hinaus erstellt der Sachverständigenausschuss in regelmäßigen Abständen „allgemeine Erhebungen“ (general surveys) zu einzelnen Übereinkommen. Sie dienen als Auslegungshilfe zu den jeweiligen Vorschriften und geben Impulse zur Weiterentwicklung der jeweiligen Übereinkommen und Empfehlungen.

Anhaltende Umsetzungsprobleme können ein eingreifendes Handeln durch den Ausschuss für die Durchführung der Normen der Internationalen Arbeitskonferenz zur Folge haben.  Dabei handelt es sich um ein „dreigliedriges“ politisches Gremium der Internationalen Arbeitskonferenz, das jährlich die Situation in einer Reihe von Ländern, häufig mit besonderen Umsetzungsproblemen, diskutiert und das Land auf politischem Wege zur Verbesserung der Situation anhält. Beispiel?

 

Das Beschwerde- und Klageverfahren
 

Das Beschwerdeverfahren:

Das Beschwerdeverfahren ermöglicht es Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden, Umsetzungs- oder Durchführungsprobleme in einem individuellen Beschwerdeverfahren zu thematisieren (Artikel 24 IAO-Verfassung). Für jede zulässige Beschwerde richtet der Verwaltungsrat – das Exekutiv-Organ der IAO – einen Sonderausschuss ein. Dieser untersucht, ob die Beschwerde begründet ist und empfiehlt ggf. Maßnahmen zur Behebung des Verstoßes, über deren Umsetzung der betroffene Mitgliedstaat Bericht erstatten muss. Erfolgt dies nicht oder sind die ergriffenen Maßnahmen nach Auffassung des Sonderausschusses nicht ausreichend, können die Beschwerde und  die Antwort des Mitgliedstaates veröffentlicht werden (Artikel 25 IAO-Verfassung). Nach Ende des Beschwerdeverfahrens wird die Überwachung des Falles durch den Konferenzausschuss fortgesetzt. Dieses Verfahren ist von deutschen Gewerkschaften in Bezug auf das eigene Land bislang nicht genutzt worden, könnte in Zukunft aber bei Einschnitten in Sozial- und Arbeitsgesetzgebung durchaus eine Rolle spielen. Ein möglicher Streitgegenstand könnte z.B. §10 SGB II sein, der verlangt, das Arbeitslose nahezu jede Arbeit annehmen müssen.

Neben dem allgemeinen Beschwerdeverfahren existiert ein spezielles Verfahren für Verstöße gegen die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen (Ü87 und 98). Hierfür ist der Ausschuss für Vereinigungsfreiheit zuständig, dessen Mandat direkt aus der IAO-Verfassung abgeleitet ist. Er ist dreigliedrig („drittelparitätisch“) besetzt und tagt dreimal pro Jahr. Pro Sitzung werden 30 bis 40 Fälle aus der ganzen Welt behandelt. Eine Besonderheit dieses Verfahrens ist, dass Beschwerden auch gegen Länder eingereicht werden können, welche die relevanten Übereinkommen nicht ratifiziert haben, da sich die einschlägigen Pflichten auch aus der IAO-Verfassung ergeben. Der Ausschuss für Vereinigungsfreiheit hat im Laufe der Zeit über 2600 Fälle behandelt und eine detaillierte Spruchpraxis entwickelt, die Antworten auf nahezu jede Auslegungsfrage bietet. Auch deutsche Gewerkschaften haben hiervon verschiedentlich Gebrauch gemacht, insbesondere bei Fragen des Beamtenstreikrechts.

Das Beschwerde- und Klageverfahren

Das Beschwerde- und Klageverfahren nach Däubler et al: S. 212


Das Klageverfahren:

Das Klageverfahren stellt die ultima ratio des Kontrollsystems der IAO dar. Gemäß Art. 26 Abs. 1 und 2 IAO-Verfassung wird ein Untersuchungsausschuss vom Verwaltungsrat aus eigener Initiative eingesetzt, oder um die Klage eines Mitgliedstaates oder Delegierten der IAO gegen einen Mitgliedstaat zu untersuchen. Es handelt sich folglich nicht um ein dauerhaftes, sondern um ein Ad-hoc-Organ. Voraussetzung für die Einsetzung ist, dass der Mitgliedstaat die jeweiligen IAO-Übereinkommen ratifiziert hat und dass die Klage zulässig ist (Dagegen untersucht der Ausschuss für Vereinigungsfreiheit die Vereinbarkeit der Situation in dem jeweiligen Mitgliedstaat mit bestimmten Übereinkommen selbst dann, wenn der Mitgliedstaat die Übereinkommen nicht ratifiziert hat). Der Untersuchungsausschuss besteht üblicherweise aus drei Mitgliedern. Seine Kompetenz umfasst dabei die umfassende Untersuchung der Sachlage, einschließlich Besuche vor Ort. Dies ermöglicht ein flexibles und effizientes Vorgehen bei der Tatsachenermittlung. Die Arbeit der Kommission endet gemäß Art. 28 IAO-Verfassung mit einem Untersuchungsbericht.

Der Untersuchungsausschuss nimmt bei Fragen eines möglichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Vereinigungsfreiheit eine vom Ausschuss für Vereinigungsfreiheit unabhängige rechtliche Beurteilung vor. Die gesamte Untersuchung und die rechtliche Bewertung werden durch dasselbe Gremium durchgeführt, was den Vorteil hat, dass die Verfasser des Berichts einen hervorragenden Überblick über die Situation haben. Der Bericht des Untersuchungsausschusses wird allgemein als für die Regierung bindend angesehen, es sei denn, diese bringt den Fall vor den Internationalen Gerichtshof. Wenn das betroffene Land die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses nicht innerhalb der vorgegebenen Frist umsetzt, kann der Verwaltungsrat den Mitgliedern der Internationalen Arbeitskonferenz Maßnahmen vorschlagen, um das Land zur Beseitigung der Rechtsverletzung zu bewegen. Diese kann auch Sanktionen beschließen, deren Form jedoch nicht speziell festgelegt ist (Artikel 33 IAO-Verfassung).

Ein Beispiel aus der Praxis: 1990 wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der sich mit den Berufsverboten in Deutschland befasste. Er kam zu dem Ergebnis, dass der pauschale Ausschluss bestimmter politischer Gesinnungen vom gesamten öffentlichen Dienst einen Verstoß darstellte gegen Übereinkommen Nr. 111, welches sich gegen Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf richtet. Der vorläufig letzte Bericht eines Untersuchungsausschusses wurde 2004 veröffentlicht und beschäftigt sich mit der Verletzung von Gewerkschaftsrechten in Weißrussland. Seit November 2008 befasst sich eine Untersuchungskommission mit den Gewerkschaftsrechten in Zimbabwe.

Überwachung von nicht ratifizierten Übereinkommen:

Auch Länder, die ein Übereinkommen nicht ratifiziert haben, unterliegen bestimmten Überwachungsmechanismen. Neben dem bereits angesprochenen Beschwerdeverfahren des Ausschusses für Vereinigungsfreiheit existieren spezielle Berichtsverfahren, die den Ratifikationsfortgang überwachen. Nach Artikel 19 Abs. 5 IAO-Verfassung müssen Mitgliedstaaten die IAO regelmäßig über den Stand der Ratifikation von Übereinkommen und die maßgeblichen Hindernisse informieren. Dies wird dann in einer „Allgemeinen Erhebung“ (general survey) analysiert. Zudem besteht ein spezielles „follow-up“-Verfahren für Kernarbeitsnormen betreffende Übereinkommen, um das betreffende Land zu deren Ratifikation zu bewegen.


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