Deutscher Gewerkschaftsbund

16.12.2010
Drei Fragen an Ingrid Sehrbrock

Durchbruch beim Streikrecht für Beamte

Verbeamtete Lehrer dürfen streiken. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf kassierte jetzt die Disziplinarstrafe einer Lehrerin, die an einer Demo teilgenommen hatte. Ein wichtiger Erfolg im Kampf gegen das strikte deutsche Beamtenstreikverbot, meint DGB-Vize Ingrid Sehrbrock in unserem Interview.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat entschieden, dass verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer für die Teilnahme an einem Streik nicht bestraft werden dürfen. Ist das der Durchbruch beim Streikrecht für Beamte?

Ingrid Sehrbrock: Das ist ein wichtiger Teilerfolg. Bisher galt in Deutschland ein striktes Streikverbot für alle Beamtinnen und Beamte – ganz gleich welche Aufgaben sie übernehmen. Dagegen haben der DGB und seine Gewerkschaften seit Jahren gekämpft. Unser Ziel ist es, das Beamtenrecht zu verhandeln und zu vereinbaren. Streik ist für uns kein Selbstzweck, sondern das letzte Mittel im Arbeitskampf. Nun hat zum ersten Mal ein deutsches Gericht anerkannt, dass Sanktionen gegen streikende Beamtinnen und Beamte gegen die Menschenrechte verstoßen. Das gilt nach unserer Auffassung auch für jedes allgemeine Streikverbot.

DGB-Vizin Ingrid Sehrbrock

DGB/Simone M. Neumann

Das Gericht hat allerdings auch gesagt, dass die Streikteilnahme von Beamten nach deutschem Recht eine Verletzung der Dienstpflichten bleibt.

Das sehe ich anders. Wo nicht bestraft werden darf, kann auch keine Pflichtverletzung vorliegen. Alles andere macht doch keinen Sinn. Das Gericht beruft sich auf die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg und sagt, dass die Bestrafung von Lehrerinnen und Lehrern wegen der Teilnahme an einem Streik gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Im Klartext heißt das: Das Streikrecht ist ein Menschenrecht. Wenn das so ist, kann doch die Teilnahme an einem Streik keine Pflichtverletzung sein. Und faktisch kommt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf ja auch einer Anerkennung des Streikrechts gleich.

Wieso gibt es eigentlich das Streikverbot für Beamte in Deutschland?

Das fragen wir uns auch. Der Grundsatz, dass Beamte nicht streiken dürfen, gehört seit Jahrzehnten zu den Eckpfeilern des deutschen Beamtenrechts. Dahinter standen zum Teil strategische Gründe: Lokomotivführer wurden verbeamtet, damit sie nicht streiken dürfen, weil die Bahn kriegswichtig war. Daran erkennt man: Die Welt hat sich gedreht. Das Bundesverfassungsgericht hält an der Rechtsauffassung fest, dass ein Streik mit den besonderen Treuepflichten von Beamtinnen und Beamten nicht vereinbar sei. Deren Arbeitswirklichkeit hat sich in den letzten Jahrzehnten aber stark verändert. Frühere Kernbereiche - Bahn, Post und Telekom - wurden privatisiert. Das Streikverbot passt deshalb schon lange nicht mehr in die Zeit. Gerade am Beispiel der Lehrerinnen und Lehrer zeigen sich absurde Ergebnisse: Angestellte Lehrer dürfen streiken, verbeamtete nicht, obwohl sie die gleichen Tätigkeiten ausüben, oft sogar in derselben Schule. Dafür haben die Menschen kein Verständnis mehr.


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