Deutscher Gewerkschaftsbund

02.09.2008

Höhere Reallöhne beleben Binnennachfrage

Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer hat in einem Interview mit der der Illustrierten "Super-Illu" für die Beschäftigten deutliche Reallohnzuwächse gefordert. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssten ihren gerechten, hart erarbeiteten Anteil am Aufschwung bekommen, wenn Gewinne, Dividenden und Managergehälter geradezu explodierten.

Super Illu: Die meisten Arbeitnehmer haben das Gefühl, der Aufschwung sei bisher an Ihnen vorbei gegangen. Wird sich das mit der Tarifrunde 2008 ändern?

Sommer: Davon gehe ich aus. ich erwarte, dass die allermeisten Beschäftigten als Ergebnis der Tarifrunden in diesem Jahr netto spürbar mehr im Portemonnaie haben. Es kann ja auch nicht angehen, dass Gewinne, Dividenden und Managergehälter geradezu explodieren und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die den Aufschwung hart erarbeitet haben, nicht ihren gerechten Anteil bekommen.

Nach Jahren der Bescheidenheit legen die großen Gewerkschaften Tarifforderungen von acht Prozent und mehr vor. Nun droht die Konjunktur abzukühlen, Arbeitgeber und Wirtschaftswissenschaftler mahnen schon wieder zum Maßhalten. Mit Recht?

Sommer: Das ist nichts als Ideologie und Eigennutz. Wenn die Wirtschaft lahmt, dürfen die Löhne nach Ansicht dieser Herren nicht steigen, weil das angeblich den erhofften Aufschwung verhindert. Und wenn der Aufschwung da ist, dürfen sie nicht steigen, um den angeblich sonst eintretenden Abschwung zu verhindern. Andersherum wird ein Schuh daraus: Nur eine kräftige Erhöhung der Reallöhne und damit eine Belebung der Binnennachfrage kann ein Übergreifen der US-Wirtschaftskrise auf Deutschland verhindern.

Wie hoch schätzen Sie die Bereitschaft der Beschäftigten ein, notfalls auch zu streiken?

Sommer: Die Gewerkschaften sind sicherlich in der Lage, notfalls eine härtere Gangart einzuschlagen, wenn auf ihre berechtigten Forderungen keine angemessenen Angebote der Arbeitgeber folgen.

Gilt für den Öffentlichen Dienst dasselbe wie für die Wirtschaft - oder müssen die Beschäftigten dort Abstriche machen, weil Bund, Länder und Kommunen noch riesige Schuldenberge abzubauen haben?

Sommer: Erstens haben die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes zweifelsfrei Nachholbedarf. Und zweitens kann der angesichts sprudelnder Steuereinnahmen und ausgeglichener Haushalte auch finanziert werden. Da kann man jetzt nicht wegen des Schuldenberges erneut Bescheidenheit vom Öffentlichen Dienst verlangen.

Von Tariferhöhungen bleibt netto oft nicht viel übrig. Bundeswirtschaftsminister Glos (CSU) will deshalb vor allem kleine und mittlere Einkommen steuerlich entlasten, Finanzminister Steinbrück (SPD) ist dagegen. Wer hat Ihre Unterstützung, Glos oder Steinbrück?

Sommer: Wir haben schlechte Erfahrungen mit Steuersenkungen gemacht, die meist Unternehmen und Besserverdienende massiv entlastet haben, Geringverdienern aber nichts oder wenig bringen. Deshalb ist aus meiner Sicht die Wiedereinführung der vollen Pendlerpauschale für alle vorrangig.

Stichwort gesetzlicher Mindestlohn: Bis 31. März sollen sich Branchen bei der Bundesregierung melden, in denen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften darüber einig sind. Mit welcher Resonanz rechnen Sie?

Sommer: Das ist unklar, weil in rund 10 Branchen darüber noch verhandelt wird. Wir wollen, dass keine Mindestlöhne unter 7,50 Euro beantragt werden. Es hängt also auch von den Arbeitgebern ab, ob und wie viele Branchen Mindestlöhne anmelden. Auf jeden Fall dürfte die Zeitarbeit dabei sein.

Zusätzlich hat die Große Koalition verabredet, in Branchen ohne flächendeckende Tarifverträge Lohnuntergrenzen über das Mindestarbeitsgesetz festzulegen. Welche Branchen kommen dafür in Frage?

Sommer: Alle mit einer Tarifbindung unter 50 Prozent. Welche konkret ausgesucht werden, soll von einem Hauptausschuss abhängen, in dem wir nicht direkt vertreten sind. Da weder das Gesetz verabschiedet ist, geschweige denn dieser Hauptausschuss bereits installiert wurde, ist noch alles offen.

Die Union scheint beim Mindestlohn jedoch eine Hinhaltetaktik fahren zu wollen. Wie werden die Gewerkschaften damit umgehen?

Sommer: In der Union gibt es ja auch andere Strategien und Einsichten. Nicht nur beim Arbeitnehmerflügel CDA setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein gesetzlicher Mindestlohn nicht unter 7,50 Euro die wirtschafts- und tarifpolitisch sauberste Lösung wäre. Wir werden weiter politischen Druck machen, um das durchzusetzen.

Unionspolitiker warnen, ein gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro würde im Osten Hunderttausende Arbeitsplätze vernichten. Immerhin verdient hier jeder Fünfte derzeit weniger als 7,50 Euro...

Sommer: Das ist Quatsch, weil es frei erfundene Horrorzahlen sind. Ein Mindestlohn von 7,50 Euro würde die Einkommen von 2,5 Millionen Beschäftigten um etwa 13 Milliarden Euro erhöhen und direkt Konsum und Konjunktur stützen. Das beweist auch eine Studie der Economic School of London über den Mindestlohn in Großbritannien: Der Mindestlohn erhöhte dort die Produktivität, führte in manchen Bereichen zu leichten Preissteigerungen und hat insgesamt die Beschäftigung vor allem wegen der damit verbundenen Ankurbelung der Binnennachfrage erhöht.

Zur politischen Landschaft allgemein: Die »Linke« hat sich spätestens mit ihren Wahlerfolgen in Niedersachsen und Hessen als fünfte politische Kraft etabliert. Ist das aus Sicht der Gewerkschaften eine Bereicherung?

Sommer: Damit wird eine Entwicklung zum Fünf-Parteien-System nachvollzogen, die es bereits seit längerem in unseren westlichen Nachbarstaaten gibt. Mittelfristig dürfte ein stabiles Fünf-Parteien-System in Deutschland neue Koalitionsmöglichkeiten und -notwendigkeiten eröffnen.

Ihr Rat an die SPD: Sollte sie bei ihrem strikten Abgrenzungskurs gegenüber der "Linken" im Westen und im Bund bleiben, oder die Zusammenarbeit mit ihr suchen?

Sommer: Das ist alleine die Entscheidung der SPD.

Interview: SuperIllu, 9. Februar 2008


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