Deutscher Gewerkschaftsbund

06.09.2018
Interview

Chemnitz: „Die Rechten zündeln permanent“

Nach dem Tod eines Mannes in Chemnitz, nutzen Rechtspopulisten und Nazis die Situation, um gegen Ausländer zu hetzen. An zwei Abenden kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen, MigrantInnen wurden massiv bedroht. Der DGB-Regionsgeschäftsführer für Südwestsachsen Ralf Hron ist seit Jahren im Kampf gegen Rechts aktiv und berichtet, wie die Lage in der Stadt ist.

Durchgestrichenes Hakenkreuz

Colourbox

65 000 Menschen haben das Konzert für ein weltoffenes Chemnitz besucht. Was bedeutet das für die Stadt?

Wir sind dankbar, dass so viele Menschen an dem Konzert teilgenommen haben. Das war ein starkes Zeichen für Demokratie und Freiheit. Ich danke vor allem den vielen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern aus anderen Bundesländern, die uns unterstützen. Es ist schwer zu sagen, wie groß die langfristigen Schäden für die Menschen in Chemnitz durch die rechten Ausschreitungen sind. Tragisch ist, dass wir es über die Jahre immer wieder geschafft haben, den Rechten Paroli zu bieten. Anders als in Dresden konnte sich hier kein Pegida-Ableger breit machen. Auch bei den Anstrengungen zur Integration von Geflüchteten ist die Stadt vorbildlich. Ein breites Netzwerk arbeitet eng zusammen.

Ralf Hron vom DGB-Südwestsachsen

Ralf Hron, DGB-Regionsgeschäftsführer Südwestsachsen DGB

Wie konnte die rechte Szene so schnell mobilisieren?

Fakt ist, dass wir in der gesamten Region seit Jahren ein gravierendes Problem mit der rechten Szene haben. Nicht umsonst waren Zwickau und anderen Orte Rückzugsraum des NSU. Das rechte Netzwerk umfasst Organisationen wie den Dritten Weg, Pro Chemnitz, einige Hooligan-Gruppen und alte NPD-Kameradschaften. Diese Szene zündelt permanent und ist gut vernetzt. Chemnitz ist überall. Wir haben in Chemnitz aber nun öffentlich erlebt, wie sich die AfD mit Pegida verbündet hat.

Auf den Demonstrationen der Rechten kam es zu massiver Gewalt. Wie war dein Eindruck?

Ich bin seit 1990 auf Kundgebungen und Demos, um Rechte und Nazis-Aufmärsche zu stoppen. Das was letzte Woche passiert ist, habe ich selten erlebt. Äußerst aggressiv haben Nazis versucht, die Polizeikette zu durchbrechen und Gegendemonstranten anzugreifen. Die Polizei konnte nur das Schlimmste verhindern. Klare Straftaten wurden zunächst nicht verfolgt.

Was muss nun politisch passieren?

Es ist höchste Zeit, die schweren politischen Fehler der Vergangenheit endlich zu beheben. Seit Jahren kritisieren DGB und Gewerkschaften den Sparkurs im öffentlichen Dienst Sachsens. Immer weniger Polizei, Justiz und viel zu wenig Lehrerinnen und Lehrer. Insgesamt schlagen die Defizite im Bildungssektor nun voll durch. Da muss schnell etwas passieren. Wichtig war das Signal von Familienministerin Franziska Giffey, die uns besucht hat und den VertreterInnen der Zivilgesellschaft Unterstützung zugesagt hat. Von der Chemnitzer Oberbürgermeisterin erwarte ich nun, dass sie schnell in einen Dialog mit VertreterInnen der Bürgergesellschaft einsteigt. Die Gewerkschaften stehen dazu bereit. Wir müssen über die Zukunft sprechen. Die Stadt hat rund 265 000 Einwohner und 125 000 sozialversicherungspflichtige Jobs. In den kommenden Jahren werden 30 000 Beschäftigte in den Ruhestand gehen. Wir sind also darauf angewiesen, dass Menschen von außerhalb kommen, um hier zu arbeiten. Die Frage, wie wir Fachkräfte gewinnen, ist das Topthema. Dazu braucht es eine umfassende Willkommenskultur.

Wie kann vor Ort die Stimmung beruhigt werden?

Wir müssen mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen. Die Politik muss die berechtigten Sorgen hören, ernstnehmen und die Probleme angehen. Es geht um innere Sicherheit, um Bildung, aber auch um Respekt. Viele Menschen in Ostdeutschland sind enttäuscht, weil sie keine Perspektive für sich sehen. Die Entwertung der Lebensläufe im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs nach 1990 spielt eine große Rolle. Wir müssen allerdings auch klar sagen, dass es ein nicht tolerierbarer Tabubruch ist, wenn BürgerInnen mit Nazis auf die Straße gehen, die den Hitlergruß zeigen und Menschen bedrohen. In der aktuellen Situation geht es deshalb auch um Anstand.


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