Deutscher Gewerkschaftsbund

23.03.2018

Gute Bildung gibt es nicht zum Nulltarif

einblick April 2018

Die neue Bundesregierung will Impulse in der Bildungspolitik setzen. Welche Vorhaben den Menschen nutzen und wo Union und SPD noch eine Schippe drauflegen müssen, erklärt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack.

 

Kinder schreiben an Schultafel

DGB/Gennadiy Poznyakov/123rf.com

In den Vereinigten Staaten und in Europa verzeichnen autoritäre, nationalistische Parteien einen deutlichen Zulauf bei den Wahlen. Sie werden bei weitem nicht nur von Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und Arbeitslosen getragen. Auch in Deutschland haben viele FacharbeiterInnen mit mittlerem Bildungsabschluss, aber auch etliche Bessersituierte rechtspopulistisch gewählt.

Diese Wähler scheinen von dem Programm dieser Parteien nicht sonderlich überzeugt. Das zeigen auch erste Wahlanalysen. Das Gros dieser Menschen erhofft sich von den Rechtspopulisten keine Lösungen ihrer Probleme – und trotzdem geben sie ihre Stimme diesen Parteien. „Apokalyptischen Populismus“ nennt Wendy Brown, Politikwissenschaftlerin aus Berkeley, diese Haltung. Der radikale Wandel steht im Mittelpunkt, der Inhalt der gewählten Partei ist zunächst zweitrangig.

"Bei der Weiterbildung und im Studium bleibt ein tiefer Graben zwischen Gewinnern und Verlierern."

Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes

DGB/Simone M. Neumann

Elke Hannack, 56, ist seit 1. Juni 2013 stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Zuvor war sie unter anderem stellvertretende DGB-Bezirksvorsitzende in NRW und ver.di-Bundesvorstandsmitglied. Beim DGB-Bundesvorstand ist sie verantwortlich für die Ressorts Frauen-, Gleichstellungs- und Familienpolitik, Öffentlicher Dienst und Beamtenpolitik sowie Jugend- und Bildungspolitik.

Das gesellschaftliche Konfliktpotenzial speist sich aus Abstiegsängsten und tatsächlich Abgehängten. Heute arbeitet ein gutes Drittel in unsicheren Jobs: Menschen hängen in Werkverträgen fest, sind befristet angestellt, verdingen sich als Leiharbeiter oder als (Schein-)Selbstständige. Das trifft längst nicht nur Geringqualifizierte, sondern auch WissenschaftlerInnen, ArchitektInnen oder JournalistInnen.

Mehr noch: Die Verantwortung für sozialen Abstieg wird individualisiert. Wer auf der Rolltreppe abwärts fährt, hat sich eben nicht fit gehalten. Aus dem Versprechen Aufstieg durch Bildung ist längst eine Abstiegsdrohung geworden: Wer sich nicht bildet, fällt durch das soziale Netz.

Wer eine offene Gesellschaft verteidigen will, muss die sozialen Sorgen vieler Menschen aufgreifen: Die Ängste der alleinerziehenden Altenpflegerin, die wenig Geld verdient und sich vor Altersarmut fürchtet, müssen stärker ein Thema werden. Das gilt auch für die mangelnden Perspektiven des jungen Hauptschülers, der zahllose Bewerbungen schreibt und trotzdem keinen Ausbildungsplatz findet. Die prekäre Lage der Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, und die Sorge der FacharbeiterInnen vor sozialem Abstieg gehören auf die Tagesordnung der Regierung.

Wer die Spaltung unserer Gesellschaft bekämpfen und sozialen Zusammenhalt sichern will, darf sich nicht allein auf die Bildungspolitik fokussieren. Dennoch bleibt es unerlässlich, die Polarisierung in unserem Bildungssystem zu überwinden.

Und es gibt noch viel zu tun. Die Zahl der Jugendlichen ohne Schul- und Berufsabschluss ist bedrückend hoch. Bei der Weiterbildung und im Studium bleibt ein tiefer Graben zwischen Gewinnern und Verlierern. Die vermeintliche Bildungsrepublik ist ein sozial gespaltenes Land. Deshalb brauchen wir eine neue gesellschaftliche Bildungsstrategie.

"Aus dem Versprechen Aufstieg durch Bildung ist längst eine Abstiegsdrohung geworden."

Der Koalitionsvertrag gibt hier wichtige Reformimpulse: Ein nationaler Bildungsrat kann der Ort sein, an dem Bund, Länder und Sozialpartner eine solche Strategie gemeinsam entwickeln. Dass das unselige Kooperationsverbot abgeschafft werden soll – und der Bund dann endlich Bildungsinfrastruktur in Ländern und Kommunen finanzieren darf, ist ein wichtiger Schritt. Erst das macht Investitionen in Bildungsinfrastruktur rechtssicher möglich.

Die Regierungsparteien haben viele Ideen der Gewerkschaften aufgegriffen. Die Schulen werden digital ausgestattet. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, zumindest in der Grundschule, kommt. Es gibt eine Investitionsoffensive für berufliche Schulen. Eine Mindestausbildungsvergütung soll im Berufsbildungsgesetz verankert werden. Die Förderung von Meister-Kursen wird verbessert. Das BAföG soll gestärkt werden und der Bund dauerhaft in die Finanzierung der Hochschulen einsteigen.

Doch es gibt auch Leerstellen im Koalitionsvertrag: Rund 300 000 Jugendliche stecken in den vielen Maßnahmen im Übergang von der Schule in die Ausbildung. Sie haben oft keine Aussicht auf einen Berufsabschluss. Ihnen droht ein Leben in prekärer Beschäftigung oder Arbeitslosigkeit. Ernsthafte Ansätze zum Abbau der Ausbildungslosigkeit fehlen.

Grundsätzlich gilt: Gute Bildung gibt es nicht zum Nulltarif. Nimmt man die Ziele des Dresdner Bildungsgipfels von 2008 als Maßstab, müssten Bund, Länder und Kommunen bereits heute rund 27 Milliarden Euro mehr in Bildung und Forschung investieren. Die versprochenen zusätzlichen elf Milliarden Euro für Bildung sind wichtig, reichen aber nicht aus, um die Vorhaben solide zu finanzieren. Der Bund muss in der Legislatur bei den Bildungsinvestitionen noch eine Schippe drauf legen.


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