Deutscher Gewerkschaftsbund

04.03.2021
FDP-Aktienrente

Rente kürzen, hoffen und die Probleme in die Zukunft verschieben

Der FDP Vorschlag senkt den Arbeitgeberbeitrag mittelfristig um rund 10 Prozent. Die Beschäftigten müssen auf 6,5 Prozent Rendite hoffen, um die gerissenen Lücken wenigsten bei Altersrenten bei Rentenbeginn in einem höheren Alter auszugleichen. Bei Erwerbsminderung, Witwen-/Witwerrenten, Kindererziehung und anderen Fällen, soll es keinen Ausgleich für die Rentenkürzungen geben.

Miniatur Rentnerpaar steht auf Goldmünzen

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Auch in der FDP ist nun scheinbar die Erkenntnis gereift, dass private Rentenversicherungen nicht halten, was sich die Politik vor 20 Jahren von ihnen versprach. Dabei spricht es Bände, wenn die Partei des orthodoxen Glaubens an den Markt nun auf eine staatliche Lösung setzt.

Die Ziele der FDP hingegen sind wenig überraschend: die Arbeitgeber sollen massiv entlasten werden. Dazu soll die gesetzliche Rente massiv gekürzt werden; rund 20 Prozent stärker als ohnehin schon vorgesehen. Konkret:

  • Das Rentenalter soll faktisch eins zu eins mit der Lebenserwartung steigen – technisch versteckt in der Rentenberechnung.
  • Der vorzeitige abschlagsfreie Rentenbeginn bei 45 Jahren Arbeit und Kindererziehung soll gestrichen werden.
  • Das Rentenniveau soll doppelt so schnell sinken wie bisher und dazu die Haltelinien abgeschafft und der Nachholfaktor reaktiviert werden, um das Rentenniveau schon ab 2022 wieder zu senken.
  • Sogar die „Mütterrente“ zu streichen wird erwogen.

So will die FDP die Ausgaben für die gesetzliche Rente gegenüber dem geltenden Recht um weitere rund 20 Prozent kürzen. Ziel ist, den Beitragssatz zur Umlage mittelfristig um zusätzlich rund 4 Prozentpunkte gegenüber dem geltenden Recht abzusenken. Parallel dazu soll ein paritätisch finanzierter Zusatz-Beitrag (2-Prozentpunkte) in eine Aktienrente investiert werden. Dies soll ein Kapitalstock unter dem Dach der gesetzlichen Rentenversicherung sein, der vollständig international in Aktien investiert werden soll. Mittelfristig soll durch die erwartete Rendite von 6,5 Prozent auf diese Aktienrente das verringerte Rentenniveau ausgleichen. Allerdings nur bei den Altersrenten und nicht bei Erwerbsminderungs- und Witwen-/Witwerrenten. Und nur bezogen auf das Jahr des Rentenbeginns, während des Rentenbezugs hingen sinkt das Versorgungsniveau weiter, denn die Renten bleiben gegenüber dem geltenden Recht noch deutlicher hinter der Lohnentwicklung zurück und eventuell sogar hinter der Inflation. Und es wird unterstellt, dass die Menschen durch den neuen Alterskorridor nach schwedischem Vorbild deutlich länger Arbeiten und später in Rente gehen, also mehr Beiträge zahlen, um kürzer Rente zu beziehen.

Das positive Ergebnis der begleitenden Modellrechnungen verwundert nicht. Denn angenommen wird ja, dass die Rendite auf Aktien dauerhaft mehr als doppelt so hoch ist, wie das Wachstum des Wohlstands. Unter diesen Annahmen würde die Aktienrente ab etwa Mitte der 2030er Jahre bei Rentenbeginn die Lücke für die Altersrente schließen. Dabei zeigt Schweden als Vorbild dieses Modell, dass die Ergebnisse keineswegs immer positiv sein müssen.

Der Vorschlag der FDP ist weder innovativ noch neu. Er verschärft nur das 2002 eingeführte Beitragssatzdogma und kürzt dafür die gesetzliche Rente noch weiter. Er kopiert wesentliche Ideen des 1998 eingeführten schwedischen Reformmodells. Das Schwedische Modell geht einen Schritt weiter und ist eine reine Beitragszusage, das heißt der Beitragssatz zur Umlage und zur Kapitalsäule ist dauerhaft auf zusammen 18,5 Prozent festgeschrieben. Die Renten werden dann nur entsprechend der Finanzlage bzw. dem Anlageergebnis angepasst und können auch sinken. Auf das schwedische Reformmodell verweisen regelmäßig verschiedene wirtschaftsliberale Ökonomen und unternehmensnahe Organisationen als Musterbeispiel (so beispielsweise auch Prof. Dr. Börsch-Supan in der Rentenkommission).

Die FDP will zwei zentrale Punkte des schwedischen Modells auf Deutschland übertragen

1) die Aktienrente: ein Kapitalstock innerhalb der GRV, der in Aktien investiert.

2) einen „Alterskorridor“, in dem die Versicherten den Rentenbeginn „frei“ wählen können, allerdings bei versicherungsmathematischen Abschlägen auf die Lebenserwartung.

Aktienrente

Als Lösung der demographisch steigenden Altersquotienten setzt die FDP auf mehr Kapitaldeckung als Ersatz der gesetzlichen Umlage – nicht als Ergänzung. Dazu sollen zwei Prozentpunkte des Lohns in einen Kapitalfonds fließen. Die oben erwähnten Leistungskürzungen würden aber den Beitrag zur Umlage nach den Modellrechnungen von Prof. Dr. Werding erst Mitte der 2030er Jahre um mehr als zwei Prozentpunkte senken. Um bis dahin einen höheren Beitragssatz zu vermeiden soll der Staat Schulden aufnehmen, um das Defizit zu decken bzw. den Aktienfonds zu finanzieren.

Der Kapitalstock bei der DRV soll dabei vollständig weltweit in Aktien investiert werden. Dabei wird für jeden Versicherten ein eigenes Konto geführt – es soll keinen Ausgleich zwischen den Personen und Generationen geben. Ein Lebenszyklusmodell soll, wenn der Renteneintritt näher rückt, das Geld schrittweise in „sichere“ Anlagen umschichten und kurzfristige Verluste vermeiden. Die FDP bzw. der von ihr beauftragte Prof. Dr. Werding erwarten eine Rendite (offensichtlich netto nach Kosten) von 6,5 Prozent auf den Beitrag und schätzen dies sogar noch als „konservativ“ gerechnet ein. Ob sich die Erwartungen, anders als bei den privaten Renten, hier tatsächlich erfüllen kann frühestens in 20 oder 30 Jahren eingeschätzt werden. Dann können Fehler aber natürlich nur schwer korrigiert werden. Scheitert das Modell, zahlen die künftigen Generationen die Rechnung, durch höhere Staatsschulden und deutlich geringere Renten.

Wie so oft bei solchen Modellen, wird die Verrentung des Geldes bei Rentenbeginn nicht vertieft. Dabei liegen hierin ganz wesentliche Kosten und Risiken. So wäre eine klassische Rentenversicherung mit einer garantierten Zahlung ebenso denkbar wie eine Zielrente, bei der das verfügbare Geld auf eine regelmäßige Zahlung umgerechnet wird und sich nach Anlageergebnis entwickelt: ist das Ergebnis besser (schlechter) als erwartet, wird die Zahlung erhöht (gesenkt) – durch „Puffer“ können die Zahlungen mittelfristiger kalkuliert werden und kurzfristig Schwankungen mindern.

Rentenkorridor, nur ein anderes Wort für höhere Altersgrenzen

Nach dem Willen der FDP sollen die Menschen innerhalb eines definierten Alterskorridors (bspw. 63 bis 70 Jahre) den Rentenbeginn frei wählen. Die Rente wird dann aber versicherungsmathematisch auf die erwartete Rentenbezugszeit (Lebenserwartung) umgerechnet. Wer früher geht bekommt also weniger Rente. Die rechnerischen Abschläge sind in diesem Modell höher als heute in Deutschland. Und die Abschläge sinken Anfangs nur sehr langsam. Erst mit steigendem Alter gehen die Abschläge spürbar zurück. Je älter die Person bei Rentenbeginn ist, desto überproportional höher fällt die Rente aus.

Die hohen Abschläge führen dazu, dass sich viele Menschen einen früheren Rentenbeginn nicht leisten können. Zumal die FDP bisher auch immer gefordert hat, dass nur in Rente gehen darf, wer ein Einkommen über dem Existenzminimum hat. Ziel ist, massive finanzielle Anreize für das längere Arbeiten zu setzen, bzw. den frühen Rentenbeginn zu bestrafen. Die FDP fordert also „Frühverrentung für Besserverdienende“ und länger arbeiten für alle anderen.

Abbildung 1 zeigt exemplarisch, wie sich Ab- und Zuschläge im geltenden Recht und nach dem FDP Modell verhalten würden. Dabei ist zu beachten: steigt die Lebenserwartung um ein Jahr, dann ist bei gleichem Alter des Rentenbeginns der Abschlag im FDP Modell proportional um rund fünf Prozentpunkte höher.

Liniendiagramm: Die Ab- und Zuschläge im Verhältnis zwischen geltendenm Recht und nach dem FDP Modell

DGB

Das heute bestehende System eines abschlagsfreien Rentenbeginns mit der Regelaltersgrenze (RAG) beziehungsweise bei 45 Beitragsjahren zwei Jahre früher soll abgeschafft werden. Dies gilt auch für die daran gekoppelte Berechnung der Abschläge bzw. Zuschläge.  

Die FDP will so den Beitragssatz zum Rentensystem (Umlage und Aktienrente zusammen) noch weiter reduzieren und noch größere Teile des Rentensystems dem Kapitalmarkt überantworten. Dazu werden die Leistungen der GRV-Umlage umfassend gekürzt. Wie schon unter Riester und Rürup wird in Modellrechnungen angenommen und dargestellt, dass die Kürzungen durch die Aktienrente in wenigen Jahren überkompensiert würde und danach alle ein höheres Rentenniveauhätten, bei einem insgesamt geringeren Beitragssatz. Das Sicherungsniveau wird dabei zusätzlich noch um etwa 2 Prozentpunkte optisch überhöht, in dem für die Standardrente mehr als 45 Entgeltpunkte unterstellt werden. Wie unter Riester und Rürup ist nur die Leistungskürzung sicher. Ob sich die Erwartungen an den Kapitalmarkt erfüllen, bleibt abzuwarten. Erfüllen sich diese Erwartungen nicht, bleiben die Versicherten auf den unzureichenden Renten sitzen – In Schweden hat der Staat daher in den letzten 20 Jahren vielfach eingegriffen, um zu geringe Leistungen bzw. Rentensenkungen zu vermeiden. 

Als Anschubfinanzierung für ihre Aktienrente schlägt die FDP schuldenfinanzierte Hebelgeschäfte mit Wetten auf Zinsdifferenzen vor. Der Staat soll weit über 100 Mrd. Euro an zusätzlichen Schulden aufnehmen. Das Geld soll dann spekulativ in Aktien angelegt werden, in der Hoffnung, dass die Rendite auf die Aktien höher ist als die Zinszahlungen des Staates. Ob diese Wette auf Zinsdifferenzen über die kommenden 15 bis 20 Jahre auf geht, wird sich zeigen. Wenn nein, zahlen die künftigen Generationen die Rechnung.

Und natürlich ist der Traum von praktisch sicheren 6,5 Prozent Rendite der Traum nach dem kapitalistischen Paradies: Wohlstand für alle ohne Arbeit. Es braucht nur ein wenig Menschenverstand, um zu verstehen: weniger Beitrag und trotzdem mehr Rente, das kann nicht aufgehen, denn irgendwer muss das Geld ja erarbeiten. Denn, wie Friedrich Merz so treffend formulierte: „Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können“.

Kurz-Hintergrund schwedisches Rentensystem

Das gesetzliche Rentensystem in Schweden ist ein System der reinen Beitragszusage, ein Leistungsziel im Sinne eines Rentenniveaus wird nicht verfolgt. Die durchschnittlichen Leistungen in Schweden liegen heute bereits unter denen von Deutschland. Das harte Beitragssatzdogma führt dazu (laut EU Ageing Report 2018: Table II.1.18), dass die Leistungen in Schweden bis 2070 stärker und noch tiefer sinken als in Deutschland – und zwar inklusive des kapitalgedeckten Teils. In den vergangen 20 Jahren haben die Schweden rund 20-mal in das System korrigierend eingegriffen (auch außerhalb des Rentenrechts, durch Steuersenkungen und andere Entlastungen für Rentner*innen), da die Nettorenten zu stark gesunken sind. Die Verheißung von mehr Rente bei weniger Beitrag hat sich dort jedenfalls nicht erfüllt.

Der Rentenbeginn kann in Schweden in einem bestimmten Alterskorridor beginnen, der „Rentenkorridor“. In Deutschland ist ein Rentenbeginn ab einem bestimmten Alter möglich, nach oben gibt es aber keine Grenze. Wesentliches Element ist in Schweden, dass die Rente versicherungsmathematisch auf die fernere Lebenserwartung bei Rentenbeginn berechnet wird. Dies ist eine vollständige Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung, da mit steigender Lebenserwartung die Rente entsprechend geringer ausfällt. Das ist weniger transparent als in Deutschland, wo dies über die Regelaltersgrenze und darauf bezogene Abschläge geregelt wird. Zudem vermeidet es „Debatten“ über höhere Altersgrenzen, da sie stets automatisch voll berücksichtigt werden.

In der Summe bleibt also außer einer garantierten Leistungskürzung nur die Hoffnung, dass der Kapitalmarkt genug abwirft. Gelingt dies wieder nicht, dann bleiben wie bisher auch, die Versicherten und insbesondere die künftigen Generationen auf den Kosten und Problemen sitzen. Verlässlichkeit sieht anders aus.


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