Deutscher Gewerkschaftsbund

03.09.2022

DGB trauert um Dieter Schulte

Der Deutsche Gewerkschaftsbund trauert um seinen langjährigen Vorsitzenden Dieter Schulte, der in der Nacht zum 3. September im Alter von 82 Jahren verstorben ist. Er war mit Leib und Seele Gewerkschafter. Der DGB hat ihm sehr viel zu verdanken. Unser tief empfundenes Mitgefühl gehört seiner Familie.

Ehemaliger DGB-Vorsitzender Dieter Schulte

DGB

Dieter Schulte – einer von uns

Dieter Schulte war mit Leib und Seele Gewerkschafter. Er hat den DGB in vielfältiger Weise geprägt. Vieles von dem, was er umgesetzt hat, wirkt bis heute nach. Ein sichtbares Zeichen dafür ist, dass der DGB-Bundesvorstand seit 1999 in Berlin ansässig ist, wo er seine Aufgabe als politischer Arm der Mitgliedsgewerkschaften wahrnimmt. Ein anderes Zeichen ist das Verbindungsbüro des DGB in Brüssel, dessen Gründung Schulte in dem Wissen vorangetrieben hat, dass Europa für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur in Deutschland immer mehr an politischer Bedeutung gewinnen wird.

Dieter Schulte war ein vom Stahl und vom Ruhrgebiet geprägter Gewerkschafter. Nach dem Besuch der Volksschule in Duisburg trat er bereits während seiner Maurer-Lehre der Gewerkschaft bei. Nach verschiedenen ehrenamtlichen Funktionen bei der Thyssen Stahl AG wurde Dieter Schulte Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats. 1991 wurde er zum Geschäftsführenden Vorstandsmitglied der IG Metall und Leiter des Zweigbüros in Düsseldorf gewählt.

Die Entwicklung der europäischen und internationalen Stahlindustrie hat er immer aufmerksam beobachtet: In den siebziger Jahren kam es durch die verschärfte Weltmarktkonkurrenz zu einem massiven Abbau von Produktionskapazitäten und Personal in Deutschland. Dagegen setzte er auf einen sozialverträglich gestalteten Strukturwandel. Den Kahlschlag in der ostdeutschen Stahlindustrie konnte Schulte durch seine Verbindungen auf europäischer Ebene, im Präsidium der Treuhand und durch die Unterstützung der Politik verhindern. So blieben die Stahlwerke Brandenburg, Hennigsdorf und Eisenhüttenstadt und auch die ostdeutschen Werften zumindest damals erhalten.

Das Wirken im DGB

Am 14. Juni 1994 wurde Dieter Schulte als Nachfolger für den plötzlich verstorbenen Heinz-Werner Meyer zum Vorsitzenden des DGB gewählt. Ohne große Vorerfahrung oder eine Karriere in den DGB-Strukturen hat er die Aufgabe übernommen. Es zeigte sich: Dies war kein Hindernis, sondern erlaubte ihm im Gegenteil einen offenen Blick für die Aufgaben des DGB. Schulte sah sich selbst als Reformer. Dass er kein Freund von Ideologie und fundamentaler Konfrontation war, hat er nicht verschwiegen. Dieter Schulte vollendete die DGB-Reform und schuf stabile Strukturen und neue Angebote, die gegen die Intention einiger Gewerkschaftsvorsitzender und Plädoyers aus der Wissenschaft („Schafft den DGB ab“) umgesetzt werden konnten. Mit dieser Neuordnung wurde der DGB auf der lokalen, regionalen, Landes- und Bundesebene schlagkräftiger. Außerdem gelang Dieter Schulte nach einem schwierigen Abstimmungsprozess die Einigung, den gewerkschaftlichen Rechtsschutz in einer gewerkschaftsnahen Rechtsschutz GmbH zu bündeln und zu professionalisieren.

Im November 1996 verabschiedeten die Gewerkschaften auf dem außerordentlichen Bundeskongress in Dresden nach jahrelangen, teilweise heftigen Kontroversen ein neues und bis heute gültiges Grundsatzprogramm. Dieter Schulte kam es darauf an, sowohl die großen Risiken wie auch die Chancen der Globalisierung in den Blick zu nehmen und gewerkschaftliche Antworten auf sie zu finden.

Wenige Wochen zuvor hatten auf der Bonner Hofgartenwiese mehr als 200.000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter demonstriert – gegen den von der Regierung Kohl geplanten Sozialabbau, die Lockerung des Kündigungsschutzes und Verschlechterungen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Dies leitete den Anfang vom Ende der CDU/FDP-Regierung ein. Die von Dieter Schulte initiierte Kampagne „Deine Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ war eine der politisch erfolgreichsten des DGB und seiner Gewerkschaften.

Gegen Ende seiner Amtszeit war Dieter Schulte als Moderator beim Zusammenschluss von ÖTV, HBV, DPG, IG Medien und DAG zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gefragt. Die neue Gewerkschaft wurde im April 2000 in den DGB aufgenommen.

Dieter Schulte engagierte sich neben seinem Amt als DGB-Vorsitzender besonders in der Hans-Böckler-Stiftung. Er sorgte dafür, dass das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut des DGB in ein finanziell gesichertes Institut der Stiftung umgewandelt wurde und mit Prof. Heide Pfarr eine profilierte Frau als Direktorin bekam.

Seine Aufgaben im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und gegenüber EU-Parlament und EU-Kommission nahm Schulte sehr engagiert wahr.

Das politische Wirken

Dieter Schulte war Mitglied der SPD, aber er war vor allem Gewerkschafter. Das Vermächtnis Hans Böcklers, die politisch unabhängige und weltanschaulich nur ihren eigenen Werten verpflichtete Einheitsgewerkschaft, nahm er sehr ernst. Er verwahrte sich gegen eine parteipolitische Einflussnahme ebenso wie gegen eine Entpolitisierung des DGB zu Gunsten eines reinen mitgliederorientierten Dienstleistungsverbandes.

Dieter Schulte musste in seiner Amtszeit mit zwei sehr unterschiedlichen Regierungen zusammenarbeiten. Durch sein entschiedenes und klares Auftreten gewannen die Gewerkschaften Einfluss und Profil. Dieter Schulte war bei aller Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft konfliktfähig, wenn es nötig wurde.

Das von Schulte und den Vorsitzenden der Gewerkschaften ÖTV, IG BCE und IG Metall geschlossene „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ sollte angesichts der enormen Herausforderungen der Wiedervereinigung Beschäftigungssicherung, Strukturwandel und die Reform des Sozialstaates sozialpartnerschaftlich vereinbaren. Zudem konnte Schulte Bundeskanzler Kohl überzeugen, die Bildung europäischer Betriebsräte auf EU-Ebene durchzusetzen und soziale Verpflichtungen, wie die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, in die Verträge zur Vollendung des EU-Binnenmarktes zu schreiben.

Mit dem Vorschlag einer Vier-Tage-Woche regte Dieter Schulte die gesellschaftspolitische Diskussion um die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit an.

Nach seiner Wiederwahl als DGB-Vorsitzender im Mai 1998 begann die Zusammenarbeit mit der rot-grünen Bundesregierung hoffnungsvoll. Dieter Schulte hatte früh Gespräche mit den Grünen geführt und sollte auch die Bildung einer rot-grünen Regierung in NRW konstruktiv begleiten. Die Rücknahme der Arbeitsmarktderegulierungen der Regierung Kohl und der Sozialversicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte gehören zur positiven Bilanz der ersten Regierung Schröder. Schulte konnte zudem im Streit zwischen Arbeitsminister Riester und Wirtschaftsminister Müller über die Reform der Betriebsverfassung vermitteln und gewerkschaftliche Reformvorschläge für die Bildung von Betriebsräten beim Umbau kleiner und mittlerer Betriebe sichern. In enger Abstimmung mit dem Arbeitsministerium und dem Bundeskanzleramt sowie dem EGB konnte Schulte den Erhalt der deutschen Mitbestimmung in der neu gebildeten „Europäischen Aktiengesellschaft“ durchsetzen.

Doch die Zusammenarbeit mit der Regierung Schröder war schnell auch von Konflikten geprägt, nachdem die rot-grüne Bundesregierung auf größere Sozialreformen drängte. Vor allem die Auseinandersetzung um die Riester-Rente wurde sehr heftig geführt. Wichtigstes Ziel für Dieter Schulte war, die gesetzliche, umlagefinanzierte Rente zu erhalten. Als Aufsichtsrat des Thyssen-Krupp-Konzerns und durch seine Kontakte in die Unternehmensführungen wusste Dieter Schulte um die Ertragslage und die Interessen der Industrie und der Finanzwelt. Deswegen lehnte er die Steuerreformen der Regierung Schröder, wie die Abschaffung der Steuer bei Unternehmensveräußerungen oder massive Steuersenkungen für Großunternehmen, entschieden ab – sehr zum Ärger der Bundesregierung.

2002 sah Dieter Schulte die in seiner Antrittsrede 1994 skizzierten Aufgaben als weitgehend erfüllt an und übergab das Amt des DGB-Vorsitzenden an Michael Sommer.

Dieter Schulte sagte einmal: „Die Entscheidung, DGB-Vorsitzender zu werden, war richtig. Ich würde es immer noch einmal machen.“ Er war ein Glücksfall für den DGB und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. 

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben Dieter Schulte sehr viel zu verdanken!

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