Deutscher Gewerkschaftsbund

05.03.2021
Arbeitsmarkt: Zahl des Monats

Bei Corona-Infektion: LeiharbeiterInnen müssen dreimal häufiger in einer Klinik behandelt werden

Warum haben LeiharbeiterInnen ein deutlich höheres Risiko an Corona zu erkranken und erleiden häufiger einen schweren Verlauf? Eine Analyse der Barmer-Krankenkasse zeigt: Sie müssen dreimal so häufig wie der Durchschnitt aller anderen Beschäftigten im Krankenhaus behandelt werden, wenn sie an Corona erkranken.

Erntehelferinnen bei der Erdbeerernte

DGB/123rf/Ruud Moriyn

Bei einer Analyse auf Basis von Routinedaten der BARMER Krankenkasse für alle erwerbstätigen Stammversicherten im Alter von 15 bis 65 Jahre wurden für den Zeitraum vom 01. Januar bis 31. Mai 2020 alters- und geschlechtsspezifische Inzidenzraten für Covid-19 berechnet.

Was nachgewiesen wurde: "Das höchste (Infektions-)Risiko wurde unter den Beschäftigten in Leiharbeit im industriellen Bereich sowie in der Post- und Logistikbranche beobachtet."

Die teils schweren Corona-Ausbrüche in den letzten Monaten in Betrieben der industriellen Fleischverarbeitung aber auch in großen Lager- und Verteilzentren der Logistikbranche bestätigen dieses Bild.

Mehrere Gründe für Corona-Infektionen bei LeiharbeiterInnen könnten dahinter stehen:
  • Anders als bei Normalarbeitsverhältnissen teilen sich in der Leiharbeit Verleiher und Entleiher die Zuständigkeit für den Arbeits- und Gesundheitsschutz der LeiharbeitnehmerInnen. Sie müssen zusammenarbeiten, sich wechselseitig informieren und Maßnahmen zur Verhütung von Gefahren abstimmen. Diese Formen der Kooperation werden nicht überall ausreichend praktiziert. Beispielsweise zeigt sich aus früheren Erhebungen, dass trotz des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Leiharbeitsbeschäftigten signifikant seltener Gefährdungsbeurteilungen der Arbeitsplätze durchgeführt werden als bei Beschäftigten im Normalarbeitsverhältnis.
  • Auch ist aus früheren Studien bekannt, dass LeiharbeitnehmerInnen deutlich häufiger als andere Beschäftigte unter Bedingungen von Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit oder Zugluft arbeiten. Ohne geeignete Schutzmaßnahmen können diese Bedingungen eine stärkere Verbreitung des Virus begünstigen. Gleichzeitig haben LeiharbeitnehmerInnen einen geringen Einfluss auf die Ausgestaltung ihrer Arbeitszeit: Während nur 41 Prozent der Leiharbeitsbeschäftigten angeben, ihre eigene Arbeit häufig selbst planen und einteilen zu können, sind es bei regulär Beschäftigten 73 Prozent. Dies trifft auch auf die Gestaltung von Pausenzeiten zu, was vor dem Hintergrund des pandemiebedingten Abstandsgebotes in Pausenräumen, Kantinen, Umkleide- und Waschräumen besonders problematisch ist.
  • In der aktuellen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel werden Arbeitgeber zur Verringerung wechselnder innerbetrieblichen Kontakte angehalten. Dem steht die für die Leiharbeit typische hohe Fluktuation grundsätzlich entgegen. Ein höheres Infektionsrisiko wird dadurch begünstigt. 
  • Mit knapp 40 Prozent hat ein überdurchschnittlich großer Anteil der LeiharbeitnehmerInnen einen ausländischen Pass. Darunter fallen sowohl viele Geflüchtete als auch mobile Beschäftigte aus anderen Ländern der EU, die in Deutschland auf eine Unterbringung in Wohnheimen bzw. Gemeinschaftsunterkünften angewiesen sind. Wie erst jüngst die Situation in der Fleischindustrie gezeigt hat, tragen eine enge Belegung dieser Unterkünfte und oftmals mangelnde Hygienestandards auch zu einem höheren Infektionsrisiko bei. 
Es gibt zu wenige Kontrollen bei der Leiharbeit

Um eine Sicherstellung der Mindeststandards beim Arbeits- und Gesundheitsschutz insbesondere in der Pandemie zu gewährleisten, müssten häufiger Kontrollen sowohl bei den Verleihfirmen als auch bei den Entleihern stattfinden. Die Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes erfordert vor allem beim Einsatz von ständig wechselndem Personal aus Leiharbeitsfirmen eine viel häufigere und engmaschigere Kontrolle der Einhaltung der geltenden Arbeitsschutzbestimmungen. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Seit Jahren werden die Kontrollen immer weniger, weil die Arbeitsschutzbehörden der Länder personell kaputt gespart wurden. Die Folge: bundesweit muss ein Betrieb nur alle 22,5 Jahre mit einer Betriebskontrolle rechnen. Dabei gibt es Bundesländer, in denen ein Betrieb statistisch nur alle 47 Jahre kontrolliert wird. Das lässt manchen Betrieben sehr viel Raum, den notwendigen Arbeits- und Gesundheitsschutz zu vernachlässigen. Während das Stammpersonal über Betriebsräte aktiv werden kann, sind Beschäftigte in Leiharbeit in den Einsatzbetrieben häufig ungeschützt.

Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz will die Bundesregierung diesen Trend stoppen. Erstmals ist eine Mindestkontrollquote von 5 Prozent der Betriebe vorgesehen, allerdings erst ab 2026. Auch wenn sich der DGB hier deutlich ambitioniertere Ziele gewünscht hätte, ist die Festlegung ein Schritt in die richtige Richtung und sollte von den Bundesländern schnellstmöglich umgesetzt werden.

Arbeits- und Gesundheitsschutz von LeiharbeitnehmerInnen evaluieren

Zudem wird aktuell das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) im Auftrag der Bundesregierung evaluiert. Abgesehen von den wichtigen Fragen der finanziellen Gleichbehandlung von LeiharbeitnehmerInnen (Equal Pay) und der eventuellen Übernahmeeffekte infolge der Einführung einer Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten im AÜG, sollte bei der Evaluierung auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie – eine Rolle spielen. Eine Klärung der Frage, warum sich LeiharbeitnehmerInnen häufiger infizieren und daraus abzuleitende Handlungsempfehlungen wären seitens der Evaluierung zu erwarten. 

ErntehelferInnen sind dreimal häufiger mit Corona in der Klinik

DGB


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