Eine Firma, die eine Praktikantin fünfeinhalb Jahre beschäftigt und mit 300 Euro brutto im Monat für einen Vollzeitjob vergütet, begeht Lohnwucher. Das hat das Landesarbeitsgericht München entschieden.
Der Fall: Nach erfolgreich abgeschlossener Realschule bemühte sich die Klägerin zunächst vergeblich um eine Ausbildungsstelle bemüht. Bei einem Versicherungsmakler bekam sie eine Praktikantenstelle angeboten. Sie sollte der Ausbildung zur Finanzfachwirtin dienen. In dem als Praktikumsvertrag beschriebenen Vertrag waren 43 Wochenstunden und ein monatliches Entgelt von 300,00 Euro brutto vereinbart. Nachdem sie gekündigt hatte, verlangte die Frau von der Firma eine rückwirkende Vergütung auf der Basis des Mindestlohnes. Mit ihrer Klage hatte sie Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht: Zwischen Klägerin und Versicherungsmakler bestand ein Arbeitsvertrag, befand das Gericht. Daran ändere auch nichts, dass ihr Arbeitsverhältnis im Vertrag als „Praktikum“ bezeichnet wurde. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung, sondern die tatsächliche Durchführung des Vertrages. Ein Praktikumszweck ist nicht erkennbar. Die Arbeitnehmerin hat Arbeitsleistungen erbracht, die bezahlt worden sind. Der vereinbarte Stundenlohn von 1,62 Euro ist sittenwidrig und damit nichtig. Der Arbeitgeber hat die Unerfahrenheit der bei der Einstellung 17-Jährigen ausgenutzt. Weder ihr noch ihren Eltern war die Verschiedenheit der Begriffe „Praktikum“ und „Berufspraxis“ bewusst. Darüber hinaus war die junge Frau dringend auf eine berufliche Perspektive angewiesen, nachdem sie sich über ein Jahr erfolglos um eine Ausbildungsstelle beworben hatte. Ihr Arbeitgeber schuldet ihr daher den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Für die gesamte Beschäftigungszeit hat er also 60.673 Euro zu zahlen. Davon abzuziehen ist die bereits erhaltene Vergütung.
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 13. Juni 2016 – 3 Sa 23/16