Deutscher Gewerkschaftsbund

19.02.2021
Gastbeitrag von Achim Truger

Wirtschaftsweiser fordert: Schuldenbremse reformieren

Wenn die Schuldenbremse nicht reformiert wird, droht ein harter Konsolidierungskurs der öffentlichen Haushalte, warnt der Ökonom Achim Truger, der seit 2019 Mitglied im Rat der Wirtschaftsweisen ist. Im einblick skizziert er, wie eine solche Reform aussehen könnte.

Miniaturen von Menschen zwischen Geldscheinen und Münzen

DGB/calvste/123RF.com

Gegenwärtig steht die Überwindung der Coronakrise zu Recht im Fokus der Wirtschaftspolitik. Allerdings wird Deutschland auch nach der Überwindung der Coronakrise vor großen Herausforderungen stehen. Die sozial-ökologische Transformation muss noch deutlich ambitionierter als bisher angegangen werden. Auch hinsichtlich Bildung, Forschung, Digitalisierung, im Gesundheitswesen und bei der traditionellen Infrastruktur gibt es massive Handlungs- und Investitionsbedarfe. Nicht alles davon muss staatlich finanziert werden. Dennoch wird der öffentliche Ausgabenbedarf sehr groß sein.

Eine Reform der Schuldenbremse könnte in Deutschland die nötigen Spielräume zur Finanzierung von Zukunftsaufgaben schaffen.

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung und das Institut der Deutschen Wirtschaft forderten unterstützt von DGB und BDI schon 2019 gemeinsam ein über die bisherigen Planungen hinausgehendes Investitionspaket im Umfang von 450 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre.

Porträt Achim Truger

Achim Truger, 51, ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Staatstätigkeit und Staatsfinanzen
an der Universität Duisburg-Essen.
Foto: Uni Duisburg-Essen_Bettina Engel-Albustin/fotoagentur ruhr moers

Es ist kaum vorstellbar, dass zentrale Zukunftsaufgaben in dieser Dimension ohne eine Reform der Schuldenbremse umgesetzt werden können. Wenn die wirtschaftliche Erholung nicht viel kräftiger ausfällt als bislang erwartet, werden die öffentlichen Haushalte noch über Jahre hinweg mit bedeutenden Mindereinnahmen im Vergleich zur Vorkrisenplanung zu kämpfen haben.

Kehrt man in dieser Situation – wie von manchen gefordert – schnell wieder zur Regelgrenze der Schuldenbremse zurück, werden die öffentlichen Haushalte in den nächsten Jahren auf Konsolidierungskurs gezwungen. Die vorgeschriebene Tilgung der bislang aufgenommenen Corona-Schulden verengt die ohnehin geringen Kreditspielräume zusätzlich. Dann werden Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen unausweichlich, was die Erholung der Konjunktur empfindlich schwächen würde. In einem solchen Umfeld werden sich große zusätzliche Investitionssummen kaum mobilisieren lassen.

Ökonomisch wäre eine beschleunigte Konsolidierung also völlig kontraproduktiv, zumal angesichts der Tatsache, dass die auf absehbare Zeit extrem niedrigen – wenn nicht negativen – Zinsen die Kosten der Staatsverschuldung extrem reduziert haben. Dies gilt umso mehr, wenn die Staatsverschuldung zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen verwendet wird, die einen langfristigen Nutzen stiften. Genau deshalb fordert die finanzwissenschaftliche Goldene Regel der öffentlichen Investitionen die Kreditfinanzierung öffentlicher Nettoinvestitionen, denn diese erhöhen den öffentlichen Kapitalstock und schaffen Produktivität und Wachstum auch für zukünftige Generationen.

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Zukünftige Generationen sollten daher über den Schuldendienst auch zur Finanzierung herangezogen werden. Andernfalls müssten heutige Generationen über höhere Steuern oder Ausgabenkürzungen die gesamte Finanzierungslast tragen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade in Konsolidierungsphasen dazu führt, dass öffentliche Investitionen unter die Räder geraten.

Um technische Schwierigkeiten zu vermeiden, bietet sich eine pragmatische Umsetzung an: Bund und Länder sollten als Ersatz für die bisherige Schuldenbremse investive Ausgaben in Höhe von insgesamt zwei Prozent des BIP dauerhaft auf Kredit finanzieren dürfen. Ein strukturelles Defizit in dieser Höhe sollte Tragfähigkeitsprobleme ausschließen.

Da eine zweifelsfreie ökonomische Definition des Investitionsbegriffs und die Festlegung von Abschreibungen unmöglich ist, sollte die Politik im demokratischen Wettbewerb jeweils für einen bestimmten Zeitraum vorab die als investiv zu klassifizierenden Ausgaben nach klaren Kriterien festlegen. Je nach politischer Präferenz könnten also etwa auch Investitionen in Bildung und nicht nur in Beton gefördert werden. Personalkosten für Wartung und Instandhaltung und für Lehrkräfte könnten so mitfinanziert werden. Und die Spielräume könnten auch zur Förderung kommunaler Investitionen genutzt werden.

Bund und Länder sollten als Ersatz für die bisherige Schuldenbremse investive Ausgaben in Höhe von insgesamt zwei Prozent des BIP dauerhaft auf Kredit finanzieren dürfen.

Eine solche Reform der Schuldenbremse könnte in Deutschland die nötigen Spielräume zur Finanzierung von Zukunftsaufgaben schaffen. Ist die notwendige Zweitdrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung realistisch? Immerhin sprechen sich nicht nur der derzeitige Koalitionspartner der Union, die SPD, sondern auch die Grünen als potenzielle Koalitionspartner der Union nach der Bundestagswahl im Herbst, seit langem für eine Lockerung der Schuldenbremse aus. Und wie der Vorstoß von Kanzleramtsminister Helge Braun zeigt, wächst offenbar auch in Teilen der Union die Einsicht, dass die Schuldenbremse reformbedürftig ist. Zudem sprach sich kürzlich eine Mehrheit der Landtagsabgeordneten für eine investitionsorientierte Reform der Schuldenbremse aus.


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