Für die Bundestagswahl 2021 stellen die Corona-Pandemie und ihre Bewältigung eine herausfordernde Ausgangslage dar. Die Aus- und Nachwirkungen der Krise insbesondere auf Beschäftigungsperspektiven und die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land und in Europa bleiben schwer absehbar. In dieser wirtschaftlich und gesellschaftlich labilen Situation steht für die deutschen Gewerkschaften ein verantwortlicher Umgang mit den Krisenfolgen an erster Stelle – angefangen beim Erhalt von Arbeitsplätzen Über die Sicherung unserer Sozialsysteme und die gerechte Finanzierung und Verteilung der Krisenkosten bis hin zur Verteidigung von Grund- und Freiheitsrechten.
DGB
Mit unserer Tarifpolitik und den Instrumenten der Mitbestimmung leisten wir, aus eigener Kraft und gemeinsam mit den betrieblichen Interessenvertretungen, einen wichtigen Beitrag, dass die Krisenbewältigung nicht zu Lasten der Beschäftigten geht. Gleichzeitig nehmen wir aber auch die Politik in Verantwortung. Deshalb fordern wir jetzt und für die Zeit nach der Bundestagswahl:
Demokratie beginnt in der Arbeitswelt. Gewerkschaften Übernehmen gemeinsam mit den Betriebs- und Personalräten Verantwortung und gestalten Zukunft. Auch in Zeiten der Pandemie hat sich wieder gezeigt, wie wichtig der Schutz der Beschäftigten durch Tarifverträge und Mitbestimmung ist. Eine gelungene Gestaltung der Transformation verlangt eine flächendeckende Tarifbindung und mehr Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Um diese Stärke auch in Zeiten des Wandels erhalten zu könnten, brauchen wir bessere Rahmenbedingungen vom Gesetzgeber.
Die Transformation unserer Wirtschaft und Arbeitswelt und durch sie bedingte gesellschaftliche Veränderungsprozesse führen bei vielen Menschen zu Verunsicherung. Rechtspopulistische und –extremistische Kräfte versuchen, diese und die Besorgnis der Menschen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren - auch indem sie gezielt die Politik zur Bekämpfung der Pandemie in Frage stellen.
Die Gewerkschaften setzen sich für eine Politik des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Chancengleichheit ein, die gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West schafft, gleiche Verwirklichungschancen für Männer und Frauen gewährleistet, die Lasten der Pandemiebewältigung sozial gerecht verteilt, die Prinzipien demokratischer Rechtsstaatlichkeit verteidigt und eine politische Kultur demokratischer Teilhabe fördert – und das generationenübergreifend und unabhängig von der Herkunft.
Das Engagement gegen Extremismus, Antisemitismus und Rassismus bedarf gezielter Unterstützung durch die Politik. Wir wollen, dass die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Initiativen ermutigt und dauerhaft finanziell unterstützt werden.
Wir fordern von allen demokratischen Parteien im Bundestagswahlkampf:
die Abschaffung von sogenannten „Ohne-Tarif“-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden als Instrument zur Umgehung von Tarifschutz
die verbindliche Fortgeltung von Tarifverträgen in ausgegliederten Unternehmenseinheiten.
eine Erleichterung des Verfahrens zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung geltender Tarifverträge sowie die Erstreckung regional allgemeinverbindlicher Tarife auf Entsendefirmen.
ein Bundestariftreuegesetz, damit Tariftreue von Unternehmen neben weiteren sozialen Kriterien wie Ausbildungsquoten zur Voraussetzung für die öffentliche Auftragsvergabe und die Bewilligung staatlicher Fördermittel wird.
die Förderung der Tarifbindung im Handwerk durch die Anerkennung von Innungen als öffentlich-rechtliche Institutionen. So werden Innungen in die Pflicht genommen, ihrer Aufgabe als Tarifverband nachzukommen.
die Möglichkeit für Gewerkschaftsmitglieder, ihren Gewerkschaftsbeitrag zusätzlich zum Arbeitnehmer-Pauschbetrag steuerlich geltend machen zu können. Auch Mitglieder, deren Einkommen so gering ist, dass kein Lohnsteuerabzug ausgelöst wird, sollten entlastet werden.
eine gesetzliche Stärkung und Erweiterung betrieblicher Mitbestimmungsrechte, die den veränderten Anforderungen von Transformation und Digitalisierung gerecht wird, die Erosion bestehender Mitbestimmungsstrukturen stoppt und ihren Ausbau fördert. Dafür erforderlich sind v.a.
eine deutliche Vereinfachung des Wahlverfahrens sowie ein verbesserter Kündigungsschutz für alle Beteiligten, um die aktuell grassierende Behinderung von Betriebsratswahlen zu verhüten.
die Aufnahme neuer Mitbestimmungsrechte in das Betriebsverfassungsgesetz zu Themen wie Umwelt- und Klimaschutz, Digitalisierung und KI, Internationalisierung.
die Stärkung der Gestaltungsoptionen von Betriebsräten in traditionellen Mitbestimmungsfeldern wie Beschäftigungssicherung, Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen und Leiharbeit, Weiterbildung und Mobile Arbeit.
die Schließung von Schlupflöchern bei der Unternehmensmitbestimmung durch den deutschen und europäischen Gesetzgeber. Dies beinhaltet insbesondere
eine Reform der SE-Gesetzgebung, die Erstreckung der Unternehmensmitbestimmung auf ausländische Rechtsformen, das Schließen der „LÜCKE in der Drittelbeteiligung“,
die Einführung einer Europäischen Rahmenrichtlinie Unterrichtung, Anhörung und Unternehmensmitbestimmung sowie
eine am Vorbild der Montanindustrie orientierte Modernisierung der Unternehmensmitbestimmung, die u.a. darauf abzielt, das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden für alle Maßnahmen der strategischen Ausrichtung des Unternehmens durch ein Schlichtungsverfahren zu ersetzen und die Schwellenwerte der Mitbestimmungsgesetze zu senken.
eine nachhaltige Gleichstellungsstrategie, mit der alle politischen Planungen, Vorhaben und Finanzentscheidungen daraufhin geprüft werden, ob und inwiefern sie die Gleichstellung von Männern und Frauen vorantreiben.
die Stärkung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte von Seniorinnen und Senioren sowie Migrantinnen und Migranten auf allen politischen Ebenen.
Pandemie-bedingt verlaufen die ohnehin rasanten Veränderungen unserer Arbeitswelt wie im Zeitraffer. Umso wichtiger ist die Wiederherstellung eines sozial geordneten Arbeitsmarktes mit sicheren Arbeitsplätzen, die ein selbstbestimmtes Leben und verlässliche Perspektiven ermöglichen.
Beschäftigte brauchen in der Corona-Krise und in der Transformation bedarfs- und geschlechtergerechte Qualifizierung und einen besseren Arbeitsschutz. Sie haben Anspruch auf größere Zeitsouveränität. Und sie müssen bezahlte Erwerbs- und unbezahlte Sorgearbeit gerecht zwischen den Geschlechtern verteilen können. Junge Menschen haben ungeachtet der Pandemie Anspruch auf gute Bildungs- und Ausbildungschancen.
Wir fordern von allen demokratischen Parteien im Bundestagswahlkampf:
• eine aktive, an den Herausforderungen der Transformation orientierte Arbeitsmarktpolitik, die durch passgenaue und verbindliche Freistellungs- und abgesicherte Weiterbildungsansprüche Sicherheit im digitalen und sozial-ökologischen Wandel schafft. Dies erfordert insbesondere
Verbesserungen für Auszubildende und im Bildungssystem vor allem durch
Unser Sozialstaat wirkt. Die Menschen in unserem Land können sich auf ihn verlassen. Aber die Herausforderungen für die sozialen Sicherungssysteme sind groß. Ihre langfristige Leistungsfähigkeit und ihr hohes Leistungsniveau können nur durch solidarische Lösungen garantiert werden. Das zeigt sich besonders deutlich bei der gesetzlichen Rente. Die Erfahrungen in der Corona-Krise haben deutlich gemacht, dass die fortschreitende Ökonomisierung und Privatisierung tiefe Spuren im Sozialstaat und bei der öffentlichen Daseinsvorsorge hinterlassen haben. Ungleichheit und Spaltung wurden befördert, die Versorgungssicherheit der Menschen hat Über die Jahre gelitten. Die Beschäftigten etwa im Gesundheitswesen, in den Bildungsbereichen und in der Pflege von Kranken und Älteren brauchen gute Löhne und Arbeitsbedingungen. Und es wird deutlich mehr Personal benötigt. Es reicht nicht aus, wenn die Politik den vorwiegend weiblichen Beschäftigten für ihren tagtäglichen Einsatz applaudiert. Personenbezogene Dienstleitungen müssen endlich aufgewertet werden.
Gesundheitliche Daseinsvorsorge muss sich vor allem nach den Bedarfen der Versicherten und der Beschäftigten richten. Das Streben nach Renditen muss künftig ausgeschlossen werden, wo es um das höchste menschliche Gut, die Gesundheit, geht.
Wir fordern von allen demokratischen Parteien im Bundestagswahlkampf:
paritätische Beiträge zur gesetzlichen Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung.
ein paritätisch finanziertes, solidarisches und selbstverwaltetes Gesundheitssystem.
den Umbau der Gesetzlichen Krankenversicherung zu einer solidarischen Bürgerversicherung für Alle.
die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zu einer Pflegebürgervollversicherung, die alle pflegerischen Kosten abdeckt und die Pflegebedürftigen spürbar entlastet.
den Einstieg in eine solidarische Erwerbstätigenversicherung bei der gesetzlichen Rente, die alle nicht obligatorisch Abgesicherten einbezieht
Allen im Alter ein Leben in Würde ermöglicht und Ausdruck der Anerkennung von langjähriger Beitragszahlung ist, einschließlich Zeiten der Kindererziehung und Pflege
einen guten Übergang in eine abschlagsfreie Rente für Beschäftigte ermöglicht, die jahrzehntelang unter enormen Belastungen arbeiten mussten.
die Stärkung und größere Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge, die eine doppelte Besteuerung von Rentenbeiträgen bzw. Rentenzahlungen grundsätzlich ausschließt.
Die Energie- und Mobilitätswende sowie die Digitalisierung von Produkten und Prozessen werden unsere Wirtschaft stark verändern. Die Gestaltung dieser Transformation muss sich in Deutschland und Europa daran orientieren, dass sie gerecht abläuft und die Beschäftigten die Umbauprozesse mitgestalten können. Die Sicherung natürlicher Lebensgrundlagen und der Erhalt von Wohlstand und Beschäftigung sind kein Gegensatz. Wir setzen uns dafür ein, dass Mobilität klimafreundlich, für alle zugänglich und bezahlbar ist, der Energiesektor für Haushalte und Industrie ausreichend bezahlbare Elektrizität aus erneuerbaren Energien bereitstellt, speichert und transportiert, die industrielle Wertschöpfung auf die neuen Technologien und Produkte ausgerichtet wird und die Beschäftigten verlässliche berufliche Perspektiven bekommen.
Negative wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgeschäden der Corona-Pandemie wurden durch massive staatliche Konjunktur- und Investitionsprogramme in Grenzen gehalten. Damit wurden zugleich wichtige und richtige Weichen für eine nachhaltige Gestaltung des sozial-ökologischen Umbaus gestellt. Anspruchsvolle CO2-Regulierung hat Folgen für die Beschäftigung und für die Wirtschaftsstruktur. Politisches Handeln muss deshalb nachvollziehbare Wege zur Realisierung der Ziele aufzeigen und vor allem durch eine gezielte Industrie-, Dienstleistungs- und Strukturpolitik den erforderlichen Wandel unterstützen, der durch eine aktive Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik flankiert wird. Das ist die Grundlage dafür, dass politische Entscheidungen nicht bloß als „Zielbasar“ erlebt werden, und Beschäftigte und Verbraucher die Folgen zu tragen haben.
Wir fordern von allen demokratischen Parteien im Bundestagswahlkampf:
In der Pandemie hat sich erneut gezeigt, dass die Menschen von einem handlungsfähigen und aktiven Staat profitieren: erhebliche öffentliche Investitionen, Konjunkturprogramme und umfassende Sozialleistungen haben das Schlimmste verhindert. Das kann zur Blaupause für die Transformationsaufgaben werden, die vor uns liegen. Wir können es uns nicht länger leisten, am falschen Dogma des „schlanken Staates“ festzuhalten. Es ist höchste Zeit, die Einnahmensituation und die finanzpolitischen Handlungsspielräume von Bund, Ländern und Kommunen deutlich zu verbessern. Und es ist Zeit für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West sowie mehr Verteilungs- und Geschlechtergerechtigkeit beim Einsatz öffentlicher Gelder.
Gleichzeitig müssen die Kosten für die Überwindung der Corona-Krise und für die erfolgreiche Gestaltung des Übergangs in eine klimaneutrale und digitale Wirtschafts- und Arbeitswelt gerecht verteilt werden. Keinesfalls dürfen die Lasten einseitig auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Daher braucht unser Land eine andere Steuerpolitik, die die Finanzierung unseres Gemeinwesens durch eine gerechte Lastenverteilung sicherstellt.
Wir fordern von allen demokratischen Parteien im Bundestagswahlkampf:
Kein EU-Mitgliedstaat ist in der Lage, die Herausforderungen von Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung, Flucht und Migration sowie die Pandemiefolgen im Alleingang zu bewältigen. Um gemeinsam handlungsfähig zu sein, müssen sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf die EU-Gründungsidee als soziales Friedensprojekt und die gemeinsamen humanitären und demokratisch-rechtsstaatlichen Werte zurückbesinnen. Das EU-Aufbauprogramm, mit dem die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise abgefedert werden, könnte für einen solidarischen Neuanfang stehen.
Gleichzeitig ist Europa tief gespalten. Großbritannien hat mit dem ungeordneten Brexit den endgültigen Bruch mit der EU vollzogen. Die Regierungen von Polen und Ungarn treten demokratische Prinzipien mit Füßen und höhlen den Rechtsstaat aus. Der Brand des Flüchtlingslagers Moria auf Lesbos hat verdeutlicht, wie wenig die EU-Mitgliedstaaten willens sind, gemeinsam ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden.
Als größter Mitgliedstaat nimmt Deutschland mit seiner Europapolitik entscheidenden Einfluss auf den künftigen Kurs der europäischen Integration. Die deutsche Europapolitik ist deshalb besonders gefordert, wenn es darum geht, sich für ein souveränes, solidarisches und handlungsfähiges Europa stark zu machen.
Wir fordern von allen demokratischen Parteien im Bundestagswahlkampf:
ein solidarisches, soziales und handlungsfähiges Europa,
ein geeintes und souveränes Europa, das sich stark macht für eine faire Gestaltung der Globalisierung und Transformation, indem es
ein Europa, das seiner humanitären Verantwortung nachkommt